Saarbruecker Zeitung

Genua gedenkt Brückenein­sturz

Die einen bauen eine Brücke, die anderen ihr Leben wieder auf. Die Tragödie von August 2018 lässt die italienisc­he Stadt immer noch nicht los.

- Produktion dieser Seite: Ulrich Brenner, Iris Neu-Michalik, Oliver Schwambach

Ein Jahr ist es her, dass der Polcevera-Viadukt in Genua einstürzte und 43 Menschen in den Tod riss. Die Aufarbeitu­ng der Tragödie ist längst nicht abgeschlos­sen. Morgen ist eine Gedenkzere­monie in der Hafenstadt geplant.

(dpa) Die Brücke hat ihr nicht das Leben, aber einen Teil davon genommen. Wenn Iris Bonacci heute auf den verheerend­en Brückenein­sturz in Genua zurückblic­kt, dann wirkt sie so aufgewühlt, als wäre er gerade erst passiert. Doch es ist bereits ein Jahr her, dass dieser unerschütt­erlich wirkende Viadukt einstürzte und 43 Menschen in den Tod riss. Am 14. August 2018 war das. Und seither ist in Genua nichts mehr, wie es vorher war.

Die 56-jährige Lehrerin hatte ihre Wohnung direkt unter der Morandi-Brücke. Von ihrem Balkon aus konnte sie die mächtigen Stützpfeil­er und die Fahrbahn wie ein zweites Dach über ihrem Kopf sehen. „Mein Zuhause gibt es nicht mehr“, sagt Bonacci. Seit vorigem Jahr wohnt sie mit ihrem Partner in einer anderen Wohnung und hat eine Entschädig­ung bekommen. Die bringe aber nicht zurück, was verlorenge­gangen sei: Erinnerung­sstücke, Routinen, die Nachbarn. Das letzte Mal habe sie im Mai für zwei Stunden die Wohnung besuchen können. Ende Juni vermischte­n sich die Trümmer der Brücke dann bei einer spektakulä­ren Sprengung mit den Wänden ihres Hauses.

Der Abriss der alten Brücke ist fast vollendet. Mit ihr verschwind­et ein Mahnmal, das einem die Ungeheuerl­ichkeit des Ereignisse­s immer wieder in Erinnerung rief.

Parallel zu den Abrissarbe­iten läuft der Bau der neuen Brücke. Nicht mal ein Monat war seit dem Einsturz vergangen, da hatte sich Stararchit­ekt Renzo Piano schon etwas für seine Heimatstad­t überlegt. Mindestens 1000 Jahre soll die neue Brücke halten, so sein Verspreche­n. Nur wann ein neues Bauwerk die Stadt wieder verbindet, ist die große Frage. Eine Antwort darauf gibt Marco Bucci, der Bürgermeis­ter der italienisc­hen Hafenstadt und Sonderkomm­issar für den Wiederaufb­au. Am 15. April 2020 soll es so weit sein. Der erste Pfeiler ist fast fertig. Da, wo er steht, soll am Mittwoch der Toten gedacht werden. Erwartet werden nach Angaben der Nachrichte­nagentur Ansa 450 Angehörige der Opfer.

„Die Tragödie ist etwas Negatives, aber wir haben uns entschiede­n, sie als Chance zu nehmen, damit Genua nach dieser Phase besser dasteht als zuvor“, sagt Bucci optimistis­ch der Ansa. Er scheut sich nicht, ein Datum für die Vollendung der neuen Brücke zu nennen – auch wenn er weiß, dass sich dieses immer wieder nach hinten verschiebe­n könnte.

Der Abriss und der Wiederaufb­au sind nicht alles, auf das in Genua ein Jahr nach dem Einsturz der Brücke gewartet wird. Ein Ende der juristisch­en Aufarbeitu­ng der Katastroph­e ist noch nicht absehbar. Gegen mehr als 70 Menschen wird inzwischen ermittelt und gegen den Autobahnbe­treiber Autostrade per l‘Italia, der über den Konzern Atlantia von der Familie Benetton kontrollie­rt wird. Immer noch ist die Frage offen, ob der Einsturz der Brücke hätte verhindert werden können. „Die Brücke ist eingestürz­t, weil sie sich nicht mehr auf den Beinen halten konnte. Wie ein Mensch, der eines natürliche­n Todes stirbt“, sagte Staatsanwa­lt Francesco Cozzi kürzlich. „Wir müssen herausfind­en, ob die Brücke hätte gerettet, geheilt werden können. Und das ist das, was wir mit den Ermittlung­en überprüfen werden.“

Der Brückenein­sturz sei im Alltag in Genua immer noch allgegenwä­rtig, sagt Bonacci. Aber mittlerwei­le werde anders darüber gesprochen. Es gehe vor allem um die Folgen des Einsturzes für das Straßennet­z. Industrieu­nd Unternehme­rverbände beziffern den entstanden­en Schaden für Unternehme­n in der Hafenstadt auf Hunderte Millionen Euro. Mit dem schnell angelaufen­en Wiederaufb­au sei die Hoffnung verknüpft worden, dass wenigstens auf der Straße die Normalität zurückkehr­t. „Aber jetzt ist die Regierung zusammenge­brochen“, sagt Bonacci. Italien steckt mitten in einer Regierungs­krise. Vergangene Woche hatte der Innenminis­ter und Chef der rechten Lega, Matteo Salvini, die Koalition mit der populistis­chen Fünf-Sterne-Bewegung aufgekündi­gt. Bei der Gedenkvera­nstaltung werden neben dem Staatspräs­identen Sergio Mattarella dennoch Regierungs­vertreter beider Lager erwartet.

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FOTO: ANTONIO CALANNI/AP/DPA Parallel zu den Abrissarbe­iten der Brücke in Genua,die vor einem Jahr einstürzte,läuft der Bau einer neuen Brücke. Hier beobachtet ein Mann das Absenken eines Brückenabs­chnitts in der italienisc­hen Hafenstadt.
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FOTO: ANTONIO CALANNI/AP/DPA Die Autobahnbr­ücke Morandi war am 14. August 2018 teilweise eingestürz­t.

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