Genua gedenkt Brückeneinsturz
Die einen bauen eine Brücke, die anderen ihr Leben wieder auf. Die Tragödie von August 2018 lässt die italienische Stadt immer noch nicht los.
Ein Jahr ist es her, dass der Polcevera-Viadukt in Genua einstürzte und 43 Menschen in den Tod riss. Die Aufarbeitung der Tragödie ist längst nicht abgeschlossen. Morgen ist eine Gedenkzeremonie in der Hafenstadt geplant.
(dpa) Die Brücke hat ihr nicht das Leben, aber einen Teil davon genommen. Wenn Iris Bonacci heute auf den verheerenden Brückeneinsturz in Genua zurückblickt, dann wirkt sie so aufgewühlt, als wäre er gerade erst passiert. Doch es ist bereits ein Jahr her, dass dieser unerschütterlich wirkende Viadukt einstürzte und 43 Menschen in den Tod riss. Am 14. August 2018 war das. Und seither ist in Genua nichts mehr, wie es vorher war.
Die 56-jährige Lehrerin hatte ihre Wohnung direkt unter der Morandi-Brücke. Von ihrem Balkon aus konnte sie die mächtigen Stützpfeiler und die Fahrbahn wie ein zweites Dach über ihrem Kopf sehen. „Mein Zuhause gibt es nicht mehr“, sagt Bonacci. Seit vorigem Jahr wohnt sie mit ihrem Partner in einer anderen Wohnung und hat eine Entschädigung bekommen. Die bringe aber nicht zurück, was verlorengegangen sei: Erinnerungsstücke, Routinen, die Nachbarn. Das letzte Mal habe sie im Mai für zwei Stunden die Wohnung besuchen können. Ende Juni vermischten sich die Trümmer der Brücke dann bei einer spektakulären Sprengung mit den Wänden ihres Hauses.
Der Abriss der alten Brücke ist fast vollendet. Mit ihr verschwindet ein Mahnmal, das einem die Ungeheuerlichkeit des Ereignisses immer wieder in Erinnerung rief.
Parallel zu den Abrissarbeiten läuft der Bau der neuen Brücke. Nicht mal ein Monat war seit dem Einsturz vergangen, da hatte sich Stararchitekt Renzo Piano schon etwas für seine Heimatstadt überlegt. Mindestens 1000 Jahre soll die neue Brücke halten, so sein Versprechen. Nur wann ein neues Bauwerk die Stadt wieder verbindet, ist die große Frage. Eine Antwort darauf gibt Marco Bucci, der Bürgermeister der italienischen Hafenstadt und Sonderkommissar für den Wiederaufbau. Am 15. April 2020 soll es so weit sein. Der erste Pfeiler ist fast fertig. Da, wo er steht, soll am Mittwoch der Toten gedacht werden. Erwartet werden nach Angaben der Nachrichtenagentur Ansa 450 Angehörige der Opfer.
„Die Tragödie ist etwas Negatives, aber wir haben uns entschieden, sie als Chance zu nehmen, damit Genua nach dieser Phase besser dasteht als zuvor“, sagt Bucci optimistisch der Ansa. Er scheut sich nicht, ein Datum für die Vollendung der neuen Brücke zu nennen – auch wenn er weiß, dass sich dieses immer wieder nach hinten verschieben könnte.
Der Abriss und der Wiederaufbau sind nicht alles, auf das in Genua ein Jahr nach dem Einsturz der Brücke gewartet wird. Ein Ende der juristischen Aufarbeitung der Katastrophe ist noch nicht absehbar. Gegen mehr als 70 Menschen wird inzwischen ermittelt und gegen den Autobahnbetreiber Autostrade per l‘Italia, der über den Konzern Atlantia von der Familie Benetton kontrolliert wird. Immer noch ist die Frage offen, ob der Einsturz der Brücke hätte verhindert werden können. „Die Brücke ist eingestürzt, weil sie sich nicht mehr auf den Beinen halten konnte. Wie ein Mensch, der eines natürlichen Todes stirbt“, sagte Staatsanwalt Francesco Cozzi kürzlich. „Wir müssen herausfinden, ob die Brücke hätte gerettet, geheilt werden können. Und das ist das, was wir mit den Ermittlungen überprüfen werden.“
Der Brückeneinsturz sei im Alltag in Genua immer noch allgegenwärtig, sagt Bonacci. Aber mittlerweile werde anders darüber gesprochen. Es gehe vor allem um die Folgen des Einsturzes für das Straßennetz. Industrieund Unternehmerverbände beziffern den entstandenen Schaden für Unternehmen in der Hafenstadt auf Hunderte Millionen Euro. Mit dem schnell angelaufenen Wiederaufbau sei die Hoffnung verknüpft worden, dass wenigstens auf der Straße die Normalität zurückkehrt. „Aber jetzt ist die Regierung zusammengebrochen“, sagt Bonacci. Italien steckt mitten in einer Regierungskrise. Vergangene Woche hatte der Innenminister und Chef der rechten Lega, Matteo Salvini, die Koalition mit der populistischen Fünf-Sterne-Bewegung aufgekündigt. Bei der Gedenkveranstaltung werden neben dem Staatspräsidenten Sergio Mattarella dennoch Regierungsvertreter beider Lager erwartet.