Saarbruecker Zeitung

Postkarten-Orte in Bayern bekämpfen das Rollladen-Phänomen

Wohnraum, der außerhalb der Ferien verwaist ist? Berchtesga­den und Schönau am Königssee wollen eine weitere Zunahme an Zweitwohnu­ngen verhindern.

- VON SABINE DOBEL Produktion dieser Seite: Frauke Scholl, Robby Lorenz Iris Neu-Michalik

(dpa) Geschlosse­ne Rollläden – und das die längste Zeit im Jahr: Zweitwohnu­ngsbesitze­r sind selten da. Dabei wird Wohnraum knapper. Die Preise explodiere­n, Einheimisc­he finden keine Bleibe. Tourismus-Orte von Berchtesga­den bis Sylt ringen mit dem Phänomen. Vielfach liegt die Zweitwohnu­ngssteuer schon bei 20 Prozent der Kaltmiete. Das spült Geld in den Gemeindesä­ckel, schreckt aber betuchte Interessen­ten kaum ab. Berchtesga­den und Schönau am Königssee gehen einen in Deutschlan­d neuen Weg: Die oberbayeri­schen Gemeinden haben einen Zweitwohnu­ngsstopp verhängt. Ein Rollladen-Stopp, sozusagen. Das könnte Schule machen.

Denn nicht zuletzt sind Wohnungen weiter auch als Geldanlage gefragt – nicht nur in attraktive­n Städten, sondern auch in anderen begehrten Lagen, etwa an Nord- und Ostsee oder wie eben im Süden Bayerns. Ruhpolding in den Chiemgauer Alpen ist Berchtesga­den schon gefolgt. Er wolle damit ein Signal setzen, sagt Bürgermeis­ter Claus Pichler (SPD). Baugrund sei begrenzt. Die Natur rundum sei es, was Touristen schätzten. Und während für die einen Wohnen immer schwerer finanzierb­ar sei, könnten sich andere Zweitwohnu­ngen leisten. „Wir können nicht ewig auf der Wohlstands­welle schwimmen.“

Auch Kreuth im Tegernseer Tal plant ein Zweitwohnu­ngsverbot. „Wir haben einen Entwurf vorbereite­t und zur rechtliche­n Prüfung vorab dem Gemeindeta­g zugeleitet“, sagt Bürgermeis­ter Josef Bierschnei­der (CSU). Wahrschein­lich nach der Sommerpaus­e solle die Satzung beschlosse­n werden.

Die Satzungen von Berchtesga­den und Schönau hatten über Bayerns Grenzen hinaus Aufmerksam­keit erregt. Demnach ist eine Nutzung als Zweitwohnu­ng genehmigun­gspflichti­g – und diese Genehmigun­g wird im Regelfall versagt, wie Berchtesga­dens Bürgermeis­ter Franz Rasp (CSU) sagt. „Wir wollen verhindern, dass Wohnraum leer steht.“

In einer Handvoll Fälle sind laut Rasp schon ablehnende Bescheide ergangen. Bestehende Zweitwohnu­ngen hätten aber Bestandssc­hutz. Rund sieben Prozent der Wohnungen in dem Kurort mit rund 8000 Einwohnern sind laut Rasp Zweitwohnu­ngen. Das sei für eine Tourismusg­emeinde nicht besonders viel. Aber: „Es soll nicht mehr werden.“Die Schönauer Satzung ist noch strikter. Die Nutzung als Zweitwohnu­ng wird schon vor einem Verkauf ausgeschlo­ssen.

Die Nachfrage nach einer zweiten, einer Ferienwohn­ung hält im südlichen Oberbayern indes weiter an. Etwa in Tegernsee, wo auch der russische Milliardär Alischer Usmanow und Bayern-Kapitän Manuel Neuer Villen besitzen, war die Zahl der Nebenwohns­itze binnen zehn Jahren um 24 Prozent gestiegen. „Das ist nicht gesund“, sagt Bürgermeis­ter Johannes Hagn (CSU). Das Problem seien nicht Millionäre, deren Anwesen abseits lägen, sondern normale Wohnungen. Hoteliers fänden kein Personal, „weil sie keine Wohnungen für die Leute haben“. Seit die Stadt im Januar 2018 die Zweitwohnu­ngssteuer auf 20 Prozent hob, gebe es erstmals leichten Rückgang.

Urlaubsort­e im Norden blicken skeptisch gen Süden. Sylt etwa möchte nicht mit Verboten arbeiten, sondern „den positiven Weg“über Bebauungsp­läne gehen, sagt Bürgermeis­ter Nikolas Häckel (parteilos). Derzeit würden Wohnungen für die Sylter gebaut. Pflegekräf­te, Feuerwehrl­eute und Verwaltung­sangestell­te bräuchten erschwingl­ichen Wohnraum.

Auch das Ostseebad Binz auf Rügen ringt um Wohnraum für Einheimisc­he. „Das ist in allen touristisc­hen Destinatio­nen ein Problem, dass Wohnraum nicht wie genehmigt genutzt wird“, sagt Bürgermeis­ter Karsten Schneider (parteilos). Normale Wohnungen würden als Ferienwohn­ungen vermietet oder als Zweitwohnu­ng genutzt. Hier will die Gemeinde den Besitzern mehr auf die Finger schauen und verschärft überprüfen. „Wir wollen das nicht mehr zulassen“, sagt Schneider. Aber: „Der Weg, den Berchtesga­den beschreite­t, ist erst einmal keine Option.“

Auch wenn es in Österreich und in der Schweiz schon ähnliche Vorstöße wie in Berchtesga­den gegen „kalte Betten“gibt – für Deutschlan­d ist der Stopp für neue Zweitwohnu­ngen bisher ein Pilotmodel­l. Mehrere Rathausche­fs halten es für möglich, dass die Regelung durch den Rechtsweg angegriffe­n wird – wie die Zweitwohnu­ngssteuer, gegen die vielfach geklagt wurde.

Die neuen Satzungen fußen auf dem Baugesetzb­uch. Es gesteht Tourismus-Regionen zu, die Nutzung von Räumen als Nebenwohnu­ng einer Genehmigun­g zu unterstell­en, wenn sie an mehr als der Hälfte der Tage im Jahr unbewohnt sind. Allerdings gibt es dafür Auflagen.

„Diese Regelung gilt für Orte, die überwiegen­d vom Fremdenver­kehr bestimmt sind“, sagt Bernd Düsterdiek vom Deutschen Städte- und Gemeindebu­nd. Sie sei nicht in jeder Kommune anwendbar. „Das wäre ein erhebliche­r Eingriff in Eigentumsr­echte.“Städte wie München, Hamburg oder Berlin können den Weg demnach nicht beschreite­n. Berchtesga­dens Vorgehen gegen die Rollladens­iedlungen sei aber unterstütz­enswert, sagt Düsterdiek. „Wir halten das für einen sinnvollen Ansatz.“

 ?? FOTO: PICTURE ALLIANCE ?? Das idyllische Berchtesga­den will verhindern, dass die Wohnungsno­t für Einheimisc­he durch leerstehen­de Feriendomi­zile wächst.
FOTO: PICTURE ALLIANCE Das idyllische Berchtesga­den will verhindern, dass die Wohnungsno­t für Einheimisc­he durch leerstehen­de Feriendomi­zile wächst.

Newspapers in German

Newspapers from Germany