Was Napoléon der Saar brachte
Vor 250 Jahren wurde Napoléon Bonaparte geboren – ein Wegbereiter auch für die Region.
Vor 250 Jahren – am 15. August 1769 – wurde im korsischen Ajaccio Napoleone Buonaparte geboren: Als Kaiser Napoléon I. ging er in die Weltgeschichte ein, wobei sich an seiner Persönlichkeit und seinem Tun nach wie vor die Geister scheiden. Rund zehn Jahre lang regierte er als „Empereur des Français“auch über das damals zu Frankreich gehörende Land zwischen Saar, Mosel und Pfalz. Und so kommt es, dass sich im heutigen Saarland ebenso zahlreiche wie ganz unterschiedliche Erinnerungen an „den großen Korsen“finden.
Kommt die Rede auf Napoléons Erbe für die Nachwelt, wird gerne darauf verwiesen, dass unter seiner Herrschaft auch im heutigen Saarland nach Jahren der Revolutionswirren und tiefgreifenden, mit teilweise großer Brutalität verbundenen Umwälzungen wieder stabile und geordnete Verhältnisse einkehrten. Dabei gelang es ihm zunächst als Erster Konsul und schließlich von 1804 an als Kaiser der Franzosen, zahlreiche tief greifende Reformen umzusetzen. Von herausragender Bedeutung waren hierbei seine bis in die Gegenwart nachwirkenden „cinq codes“, jene fünf Gesetzesbücher, die er mit großem persönlichem Einsatz auf den Weg brachte und sie keineswegs nur den damit betrauten Juristen überließ. Die „cinq codes“, die als eines der bedeutendsten juristischen Werke der Neuzeit gelten, überführten die positiven Errungenschaften der Französischen Revolution in Gesetze, die nun auch an der Saar galten, sie gewährleisteten eine bis dahin nicht gekannte Rechtssicherheit und regelten die heute so selbstverständlichen bürgerlichen Grundrechte wie die Gleichheit aller vor dem Gesetz sowie den Schutz und die Freiheit des Individuums. Zudem erfolgte eine strikte Trennung von Kirche und Staat und wurde damit einhergehend die Zivilehe eingeführt. Als das heutige Saarland nach Napoléons Sturz und endgültiger Niederlage 1815 wieder deutsch wurde, blieben diese „rheinischen Institutionen“, die daneben Religionsfreiheit, Pressefreiheit und Gewerbefreiheit umfassten, so lange gültig, bis 1900 das Bürgerliche Gesetzbuch an ihre Stelle trat. Zudem wurde auf Anordnung Napoléons 1807 in Geislautern die „École pratique impériale des mines de la Sarre“etabliert, die als erste lokale Berg- und Hüttenschule unter ihrem Direktor Jean Baptist Duhamel für nachfolgende Impulse für den hiesigen Steinkohlebergbau sorgte.
Allerdings tritt Napoléons durchaus positives innenpolitisches Wirken in der Regel hinter seiner auf Expansion ausgerichteten Außenpolitik, den damit verbundenen blutigen Kriegen – ihnen fielen über Jahre hinweg schätzungsweise bis zu zwei Millionen Menschen zum Opfer – und seinem Nimbus als genialer Schlachtenlenker zurück. So brachte seine Regentschaft für das Land an der
Saar zwar willkommene Errungenschaften mit sich, zugleich aber auch einen dauerhaften Kriegszustand mit allen unangenehmen Begleiterscheinungen und hinterließ schließlich ein ausgelaugtes Land, das
1815 an Preußen, Bayern und Sachsen-Coburg-Saalfeld fiel.
Die vielen tausend im heutigen Saarland für den „großen Korsen“rekrutierten und für ihn in ganz Europa gefallenen oder in Lazaretten verstorbenen Männer rückten erst Anfang dieses Jahres wieder ins Bewusstsein einer breiteren Öffentlichkeit, als der Verein für Landeskunde im Saarland (VLS) über 7000 bis
dahin verschollen geglaubte Sterbezettel aus Napoleonischer Zeit aus dem Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz in Berlin übernommen hatte, auf die Projektleiter Stephan Friedrich aus Spiesen durch Zufall aufmerksam geworden war (die Saarbrücker Zeitung berichtete ausführlich).
Während tausende von Wehrpflichtigen mehr oder weniger unfreiwillig unter Napoléons Adler dienten, kämpften viele andere aus voller Überzeugung für ihren Kaiser und Frankreichs Ruhm, so etwa der aus St. Wendel stammende Kavalleriegeneral Pierre François Antoine Huber, der ebenso auf dem Arc de Triomphe in Paris verewigt ist wie der legendäre, 1769 in Saarlouis geborene Michel Ney, den Napoléon zunächst den „Tapfersten der Tapferen“nannte. Mit dem gleichaltrigen Bonaparte in Aufstieg und Fall verbunden diente er ihm treu, bewog ihn jedoch im Angesicht der sich abzeichnenden Niederlage 1814 zur Abdankung, wandte sich dann gegen ihn – um schließlich wieder an seiner Seite zu fechten und durch die so verheerende Schlacht von Waterloo alles zu verlieren.
Die vielen Kriegstoten aus dem Land zwischen Saar, Pfalz und Mosel gingen auch in die „Sagen der Saar“ein, die der Saarbrücker Kulturhistoriker Karl Lohmeyer gesammelt und 1954 veröffentlicht hatte. Darin findet sich unter anderem die Sage vom aus dem Krieg nicht mehr heimgekehrten „Trommelsepp“, der auf dem Rückmarsch in die Heimat nicht weit entfernt von seinem Heimatdorf vor Erschöpfung tot zusammensinkt, um sich in den Vollmondnächten als ruheloser Geist aus seinem Grab zu erheben und die Trommel schlagend über die alte Höhenstraße zu stampfen, dem Hochwald und der Saar zu, wo er nie ankam. „Dann heben sich rechts und links die toten Kameraden aus der Erde und ziehen mit ihm gegen Westen, der lieben Heimat zu, die sie nie erreichen.“Das Motiv des sie zur grausigen Parade rufenden Kaisers greift auch die Sage vom „Bohnenpatt“– so die regionale Verballhornung von Bonaparte – auf: Dieser zieht in bestimmten Nächten trommelschlagend durch das große Waldland an der Saar. Dann sollen die hier für ihn umgekommenen Soldaten auferstehen, sich zu einer Gespensterarmee formieren und dem sie rufenden Geist von Napoléon folgen – so wie sie es einst zu Lebzeiten taten. Ebenfalls auf den Ruf ihres Kaisers warten der südlich des Lebacher Hoxbergs in einer Schlucht begrabene Offizier, der allnächtlich im Februar trauernd auf seinem Grabe sitzen soll, und jener an der Landstraße von Lebach nach Tholey gefallene und dort begrabene französische Offizier, der gleichfalls keine Ruhe finden kann.
Andere Sagen berichten von zu Napoléons Ehren angelegten „Bunepartsgärtchen“, den an ihn erinnernden „Sieben Eichen“an der Straße nach Riegelsberg, „Die Napoleonsknödel“, die er sich angeblich in Geislautern schmecken ließ – übrigens unter der „Knödeleiche“an der Warndstraße, die man nach seinem Tod in „Kaisereiche“umbenannte – und gehen auf Flurnamen wie „Napoleons Eck“, oder den „Napoleonsstock“bei Großrosseln ein. Eine „Napoleoneiche“befindet sich zudem nahe dem Hofgut Imsbach, das Bonaparte samt Ländereien1812 seinem verdienten Reiteroberst Charles Louis Narcisse Lapointe schenkte. Darüber hinaus erzählte man sich die Sage vom „Lessel aus Tünsdorf“, dem saarländischen Koch des Kaisers im Russlandfelzug, der ihm Bratkartoffeln mittels einer Talgkerze zubereitet haben soll, oder vom Grenadier Bamberger von Saarlouis, während Napoléon in der St. Wendeler Schneidergasse nächtens sein gespenstisches Wesen treiben soll.
Das wohl markanteste an den „großen Korsen“erinnernde Relikt ist dabei wohl der deutschlandweit einzigartige, im Volksmund auch „Schlangenbrunnen“genannte Napoleonsbrunnen in der Blieskasteler Altstadt: „A NAPOLEON premier, Empereur des Français. Le canton de Bliescastel le 28. floréal an XX” – (Für NAPOLEON den Ersten, Kaiser der Franzosen. Der Kanton Blieskastel am 28. Floréal des Jahres 12“) verkündet die auf ihm prangende Inschrift. Infolge der Französischen Revolution war 1793 rückwirkend zum Vorjahr die bisherige Zeitrechnung ebenso abgeschafft worden wie die bis dahin üblichen Monatsnamen. Somit entspricht der 28. floréal des Jahres 12 dem 18. Mai 1804 – und erinnert somit, wie der Blieskasteler Stadtarchivar Kurt Legrum erklärt, an jenen Tag der Übergabe des Senatsbeschlusses, der festlegte, dass Napoléon auf Lebenszeit Kaiser der Franzosen sein solle.
Die Form eines Obelisken ist dabei eine epochentypische Reminiszenz an den zwar gescheiterten, aber doch legendären Ägyptenfeldzug, den Bonaparte einige Jahre zuvor unternommen hatte. Den überaus komplizierten und nur in Frankreich gültigen Revolutionskalender schaffte Napoléon mit Wirkung von 1806 übrigens zur allgemeinen Erleichterung ab. Als das Saargebiet nach dem Ersten Weltkrieg unter französischer Einflussnahme stand, bildete der Brunnen am 4. Mai 1921 die Kulisse für eine bemerkenswerte Zeremonie: Einen Tag vor dem 100. Todestag Napoléons, weiß Kurt Legrum zu berichten, trafen nachmittags viele Franzosen, Soldaten und Zivilisten, am Schlangenbrunnen ein. „Dieser war nun Mittelpunkt einer politischen Napoléon-Feier. Nach einer Ansprache verlieh ein General mehrere Orden, am Brunnen wurde feierlich ein Kranz angebracht, es wurde auch Salut geschossen“. Kein Wunder, das dieses Denkmal den ab 1935 an der Saar regierenden Nationalsozialisten ein Dorn im Auge war und sie dafür sorgten, dass 1939 kurz vor Kriegsausbruch die als Widmung gedachte Inschrift entfernt wurde.
Rund um Blieskastel, im Bliesgau sowie auf dem Litermont finden sich zudem Nachbauten der von Claude Chapee entwickelten optischen Telegrafen, die Teil des Napoleonischen Nachrichtenwesens waren und als erste dieser Art auf heutigem deutschen Gebiet gelten.
Ein überaus lebendiges Erbe aus Napoleonischer
Zeit ist die auf seine Veranlassung hin zur bedeutenden Heer-, Handelsund Nachrichtenstraße ausgebaute „Grande Route Impériale de Paris à Mayence“, jene „Große Kaiserliche Straße von Paris nach Mainz“, die als Kaiserstraße oder Mainzer Straße noch immer an Bonaparte erinnert und als Bundesstraße 40 nach wie vor ein viel genutzter, wenngleich längst nicht mehr so bedeutender Verkehrsweg ist. Dass Napoléon übrigens im heutigen Saarland den nach wie vor gültigen Rechtsverkehr einführte und die französischen Beamten das schon während der Französischen Revolution etablierte metrische System mit den neuen Maßeinheiten Kilogramm, Liter und Meter verordneten, dürfte dabei kaum bekannt sein.
An die Zeit, als die heute in ihrem Verlauf mehrere Namen tragende Kaiserstraße Paris und Mainz verband, erinnern unter anderem jene „Napoleonshüte“an der Einfahrt eines Gehöftes nahe Limbach, das einstmals als Fourage-Depot und Pferdewechselstation entlang der „Grande Route Impériale“angelegt worden war. Ein weiteres außergewöhnliches Monument aus jener Zeit, als das Saarland Teil des französischen Kaiserreichs war, befindet sich im weiteren Verlauf der B 40 auf dem „Schelmenkopf“, einer kleinen Anhöhe in Bruchhof-Sanddorf: der „Napoleonstein“. Dieser wurde 1811 dort errichtet, um an die Geburt des Sohnes und designierten Thronfolgers Napoleon Franz, des später so unglücklichen „Königs von Rom“, zu erinnern.
Bonaparte reiste mehrmals auf dieser Straße – begleitet von „Vive l’Empereur“-Rufen, Ehrengarden längs des Weges und Glockengeläut –, und übernachtete oder stärkte sich dabei auch im heutigen Saarland. Die Tischdecke, die so 1809 in einem Homburger Gasthaus zu Ehren kam, hat sich ebenso erhalten wie ein weiteres, nicht minder kurioses Relikt in Form von „Napoleons Abtritt“in der Saarbrücker Altneugasse.
Als der Kaiser zum letzten Mal durch sein Land an der Saar kam war es mit dem Glanz jedoch vorbei. An den zurückflutenden Resten seiner bei Leipzig vernichtend geschlagenen Armee, die das tödlich verlaufende Fleckfieber und andere Seuchen in die Orte längs des Rückzugsweges einschleppte, beeilte er sich im Spätherbst 1813 nach Paris zu kommen. Bei dieser Gelegenheit soll er inkognito in einer Schenke der St. Ingberter Eisenhütte, der „Alten Schmelz“, eingekehrt sein, dort Kirschschnaps getrunken und unter Zurücklassung einer Goldmünze und eines Zettels, auf dem „MERCI! NAPOLEON“stand, weiter gereist sein. So jedenfalls beschrieb es der Autor Klaus Stief in seiner 1956 erschienenen Erzählung „Der Mann im Pelz“.
Nach St. Ingbert führt eine weitere Spur Napoléon Bonapartes – in Form seines seinerzeit berühmten Hengstes Fayoum, den der Kaiser in den siegreichen Schlachten von Austerlitz, Wagram und Eylau ritt und den er als Zeichen seiner großen Wertschätzung 1811 dem ebenfalls von ihm wiederbegründeten Gestüt Zweibrücken zum Geschenk machte. „Felix Ambroise Villeroy, ein Anhänger liberaler Ideen und Wegbereiter der modernen Landwirtschaft, erwarb den Schimmel 1814 und brachte ihn auf dem Hasseler Rittershof unter, wo er sein Gnadenbrot fand“, hat der St. Ingberter Stadtarchivar Dieter Wirth recherchiert. „Nach Fayoums Tod“, weiß er zu berichten, „ließ Villeroy das Tier ausstopfen und gab ihm einen symbolträchtigen Ehrenplatz auf seinem Hof. Als das Bliestal dann zu Beginn des Zweiten Weltkrieges evakuiert wurde machten sich allerdings Mäuse über Napoléons präpariertes Pferd her. Das weitere Schicksal ist immer noch ungeklärt.“
Gerade dieser teils widersprüchliche Nachhall der Napoleon-Zeit zwischen Bewunderung und Ablehnung, Stolz und Trauer, Spott und liebevoller Anhänglichkeit – so wurden noch lange nach Napoléons Tod im Jahre 1821 Kinder auf seinen Namen getauft und versammelten sich hier lebende Veteranen seiner „Grande Armée“bis zu ihrem eigenen Tod – macht die Saar-Region zum Abbild der allgemeinen weltweiten Rezension Napoléons, dessen Persönlichkeit und Wirken offenbar nichts von ihrer Faszination verloren haben.
Für das Saarland, das sich als das „französischste aller Bundesländer“zu positionieren versucht, böte sich eine umfassende Würdigung des erstaunlich reichen lokalen Erbes dieser Epoche an.
Beim Rückzug aus Russland soll Napoléon in einer St. Ingberter Schenke eingekehrt sein und dort einen
Kirschschnaps getrunken haben.