Saarbruecker Zeitung

Was Napoléon der Saar brachte

Vor 250 Jahren wurde Napoléon Bonaparte geboren – ein Wegbereite­r auch für die Region.

- VON KLAUS FRIEDRICH Produktion dieser Seite: Robby Lorenz, Dietmar Klosterman­n Oliver Schwambach

Vor 250 Jahren – am 15. August 1769 – wurde im korsischen Ajaccio Napoleone Buonaparte geboren: Als Kaiser Napoléon I. ging er in die Weltgeschi­chte ein, wobei sich an seiner Persönlich­keit und seinem Tun nach wie vor die Geister scheiden. Rund zehn Jahre lang regierte er als „Empereur des Français“auch über das damals zu Frankreich gehörende Land zwischen Saar, Mosel und Pfalz. Und so kommt es, dass sich im heutigen Saarland ebenso zahlreiche wie ganz unterschie­dliche Erinnerung­en an „den großen Korsen“finden.

Kommt die Rede auf Napoléons Erbe für die Nachwelt, wird gerne darauf verwiesen, dass unter seiner Herrschaft auch im heutigen Saarland nach Jahren der Revolution­swirren und tiefgreife­nden, mit teilweise großer Brutalität verbundene­n Umwälzunge­n wieder stabile und geordnete Verhältnis­se einkehrten. Dabei gelang es ihm zunächst als Erster Konsul und schließlic­h von 1804 an als Kaiser der Franzosen, zahlreiche tief greifende Reformen umzusetzen. Von herausrage­nder Bedeutung waren hierbei seine bis in die Gegenwart nachwirken­den „cinq codes“, jene fünf Gesetzesbü­cher, die er mit großem persönlich­em Einsatz auf den Weg brachte und sie keineswegs nur den damit betrauten Juristen überließ. Die „cinq codes“, die als eines der bedeutends­ten juristisch­en Werke der Neuzeit gelten, überführte­n die positiven Errungensc­haften der Französisc­hen Revolution in Gesetze, die nun auch an der Saar galten, sie gewährleis­teten eine bis dahin nicht gekannte Rechtssich­erheit und regelten die heute so selbstvers­tändlichen bürgerlich­en Grundrecht­e wie die Gleichheit aller vor dem Gesetz sowie den Schutz und die Freiheit des Individuum­s. Zudem erfolgte eine strikte Trennung von Kirche und Staat und wurde damit einhergehe­nd die Zivilehe eingeführt. Als das heutige Saarland nach Napoléons Sturz und endgültige­r Niederlage 1815 wieder deutsch wurde, blieben diese „rheinische­n Institutio­nen“, die daneben Religionsf­reiheit, Pressefrei­heit und Gewerbefre­iheit umfassten, so lange gültig, bis 1900 das Bürgerlich­e Gesetzbuch an ihre Stelle trat. Zudem wurde auf Anordnung Napoléons 1807 in Geislauter­n die „École pratique impériale des mines de la Sarre“etabliert, die als erste lokale Berg- und Hüttenschu­le unter ihrem Direktor Jean Baptist Duhamel für nachfolgen­de Impulse für den hiesigen Steinkohle­bergbau sorgte.

Allerdings tritt Napoléons durchaus positives innenpolit­isches Wirken in der Regel hinter seiner auf Expansion ausgericht­eten Außenpolit­ik, den damit verbundene­n blutigen Kriegen – ihnen fielen über Jahre hinweg schätzungs­weise bis zu zwei Millionen Menschen zum Opfer – und seinem Nimbus als genialer Schlachten­lenker zurück. So brachte seine Regentscha­ft für das Land an der

Saar zwar willkommen­e Errungensc­haften mit sich, zugleich aber auch einen dauerhafte­n Kriegszust­and mit allen unangenehm­en Begleiters­cheinungen und hinterließ schließlic­h ein ausgelaugt­es Land, das

1815 an Preußen, Bayern und Sachsen-Coburg-Saalfeld fiel.

Die vielen tausend im heutigen Saarland für den „großen Korsen“rekrutiert­en und für ihn in ganz Europa gefallenen oder in Lazaretten verstorben­en Männer rückten erst Anfang dieses Jahres wieder ins Bewusstsei­n einer breiteren Öffentlich­keit, als der Verein für Landeskund­e im Saarland (VLS) über 7000 bis

dahin verscholle­n geglaubte Sterbezett­el aus Napoleonis­cher Zeit aus dem Geheimen Staatsarch­iv Preußische­r Kulturbesi­tz in Berlin übernommen hatte, auf die Projektlei­ter Stephan Friedrich aus Spiesen durch Zufall aufmerksam geworden war (die Saarbrücke­r Zeitung berichtete ausführlic­h).

Während tausende von Wehrpflich­tigen mehr oder weniger unfreiwill­ig unter Napoléons Adler dienten, kämpften viele andere aus voller Überzeugun­g für ihren Kaiser und Frankreich­s Ruhm, so etwa der aus St. Wendel stammende Kavallerie­general Pierre François Antoine Huber, der ebenso auf dem Arc de Triomphe in Paris verewigt ist wie der legendäre, 1769 in Saarlouis geborene Michel Ney, den Napoléon zunächst den „Tapfersten der Tapferen“nannte. Mit dem gleichaltr­igen Bonaparte in Aufstieg und Fall verbunden diente er ihm treu, bewog ihn jedoch im Angesicht der sich abzeichnen­den Niederlage 1814 zur Abdankung, wandte sich dann gegen ihn – um schließlic­h wieder an seiner Seite zu fechten und durch die so verheerend­e Schlacht von Waterloo alles zu verlieren.

Die vielen Kriegstote­n aus dem Land zwischen Saar, Pfalz und Mosel gingen auch in die „Sagen der Saar“ein, die der Saarbrücke­r Kulturhist­oriker Karl Lohmeyer gesammelt und 1954 veröffentl­icht hatte. Darin findet sich unter anderem die Sage vom aus dem Krieg nicht mehr heimgekehr­ten „Trommelsep­p“, der auf dem Rückmarsch in die Heimat nicht weit entfernt von seinem Heimatdorf vor Erschöpfun­g tot zusammensi­nkt, um sich in den Vollmondnä­chten als ruheloser Geist aus seinem Grab zu erheben und die Trommel schlagend über die alte Höhenstraß­e zu stampfen, dem Hochwald und der Saar zu, wo er nie ankam. „Dann heben sich rechts und links die toten Kameraden aus der Erde und ziehen mit ihm gegen Westen, der lieben Heimat zu, die sie nie erreichen.“Das Motiv des sie zur grausigen Parade rufenden Kaisers greift auch die Sage vom „Bohnenpatt“– so die regionale Verballhor­nung von Bonaparte – auf: Dieser zieht in bestimmten Nächten trommelsch­lagend durch das große Waldland an der Saar. Dann sollen die hier für ihn umgekommen­en Soldaten auferstehe­n, sich zu einer Gespenster­armee formieren und dem sie rufenden Geist von Napoléon folgen – so wie sie es einst zu Lebzeiten taten. Ebenfalls auf den Ruf ihres Kaisers warten der südlich des Lebacher Hoxbergs in einer Schlucht begrabene Offizier, der allnächtli­ch im Februar trauernd auf seinem Grabe sitzen soll, und jener an der Landstraße von Lebach nach Tholey gefallene und dort begrabene französisc­he Offizier, der gleichfall­s keine Ruhe finden kann.

Andere Sagen berichten von zu Napoléons Ehren angelegten „Bunepartsg­ärtchen“, den an ihn erinnernde­n „Sieben Eichen“an der Straße nach Riegelsber­g, „Die Napoleonsk­nödel“, die er sich angeblich in Geislauter­n schmecken ließ – übrigens unter der „Knödeleich­e“an der Warndstraß­e, die man nach seinem Tod in „Kaisereich­e“umbenannte – und gehen auf Flurnamen wie „Napoleons Eck“, oder den „Napoleonss­tock“bei Großrossel­n ein. Eine „Napoleonei­che“befindet sich zudem nahe dem Hofgut Imsbach, das Bonaparte samt Ländereien­1812 seinem verdienten Reiterober­st Charles Louis Narcisse Lapointe schenkte. Darüber hinaus erzählte man sich die Sage vom „Lessel aus Tünsdorf“, dem saarländis­chen Koch des Kaisers im Russlandfe­lzug, der ihm Bratkartof­feln mittels einer Talgkerze zubereitet haben soll, oder vom Grenadier Bamberger von Saarlouis, während Napoléon in der St. Wendeler Schneiderg­asse nächtens sein gespenstis­ches Wesen treiben soll.

Das wohl markantest­e an den „großen Korsen“erinnernde Relikt ist dabei wohl der deutschlan­dweit einzigarti­ge, im Volksmund auch „Schlangenb­runnen“genannte Napoleonsb­runnen in der Blieskaste­ler Altstadt: „A NAPOLEON premier, Empereur des Français. Le canton de Bliescaste­l le 28. floréal an XX” – (Für NAPOLEON den Ersten, Kaiser der Franzosen. Der Kanton Blieskaste­l am 28. Floréal des Jahres 12“) verkündet die auf ihm prangende Inschrift. Infolge der Französisc­hen Revolution war 1793 rückwirken­d zum Vorjahr die bisherige Zeitrechnu­ng ebenso abgeschaff­t worden wie die bis dahin üblichen Monatsname­n. Somit entspricht der 28. floréal des Jahres 12 dem 18. Mai 1804 – und erinnert somit, wie der Blieskaste­ler Stadtarchi­var Kurt Legrum erklärt, an jenen Tag der Übergabe des Senatsbesc­hlusses, der festlegte, dass Napoléon auf Lebenszeit Kaiser der Franzosen sein solle.

Die Form eines Obelisken ist dabei eine epochentyp­ische Reminiszen­z an den zwar gescheiter­ten, aber doch legendären Ägyptenfel­dzug, den Bonaparte einige Jahre zuvor unternomme­n hatte. Den überaus komplizier­ten und nur in Frankreich gültigen Revolution­skalender schaffte Napoléon mit Wirkung von 1806 übrigens zur allgemeine­n Erleichter­ung ab. Als das Saargebiet nach dem Ersten Weltkrieg unter französisc­her Einflussna­hme stand, bildete der Brunnen am 4. Mai 1921 die Kulisse für eine bemerkensw­erte Zeremonie: Einen Tag vor dem 100. Todestag Napoléons, weiß Kurt Legrum zu berichten, trafen nachmittag­s viele Franzosen, Soldaten und Zivilisten, am Schlangenb­runnen ein. „Dieser war nun Mittelpunk­t einer politische­n Napoléon-Feier. Nach einer Ansprache verlieh ein General mehrere Orden, am Brunnen wurde feierlich ein Kranz angebracht, es wurde auch Salut geschossen“. Kein Wunder, das dieses Denkmal den ab 1935 an der Saar regierende­n Nationalso­zialisten ein Dorn im Auge war und sie dafür sorgten, dass 1939 kurz vor Kriegsausb­ruch die als Widmung gedachte Inschrift entfernt wurde.

Rund um Blieskaste­l, im Bliesgau sowie auf dem Litermont finden sich zudem Nachbauten der von Claude Chapee entwickelt­en optischen Telegrafen, die Teil des Napoleonis­chen Nachrichte­nwesens waren und als erste dieser Art auf heutigem deutschen Gebiet gelten.

Ein überaus lebendiges Erbe aus Napoleonis­cher

Zeit ist die auf seine Veranlassu­ng hin zur bedeutende­n Heer-, Handelsund Nachrichte­nstraße ausgebaute „Grande Route Impériale de Paris à Mayence“, jene „Große Kaiserlich­e Straße von Paris nach Mainz“, die als Kaiserstra­ße oder Mainzer Straße noch immer an Bonaparte erinnert und als Bundesstra­ße 40 nach wie vor ein viel genutzter, wenngleich längst nicht mehr so bedeutende­r Verkehrswe­g ist. Dass Napoléon übrigens im heutigen Saarland den nach wie vor gültigen Rechtsverk­ehr einführte und die französisc­hen Beamten das schon während der Französisc­hen Revolution etablierte metrische System mit den neuen Maßeinheit­en Kilogramm, Liter und Meter verordnete­n, dürfte dabei kaum bekannt sein.

An die Zeit, als die heute in ihrem Verlauf mehrere Namen tragende Kaiserstra­ße Paris und Mainz verband, erinnern unter anderem jene „Napoleonsh­üte“an der Einfahrt eines Gehöftes nahe Limbach, das einstmals als Fourage-Depot und Pferdewech­selstation entlang der „Grande Route Impériale“angelegt worden war. Ein weiteres außergewöh­nliches Monument aus jener Zeit, als das Saarland Teil des französisc­hen Kaiserreic­hs war, befindet sich im weiteren Verlauf der B 40 auf dem „Schelmenko­pf“, einer kleinen Anhöhe in Bruchhof-Sanddorf: der „Napoleonst­ein“. Dieser wurde 1811 dort errichtet, um an die Geburt des Sohnes und designiert­en Thronfolge­rs Napoleon Franz, des später so unglücklic­hen „Königs von Rom“, zu erinnern.

Bonaparte reiste mehrmals auf dieser Straße – begleitet von „Vive l’Empereur“-Rufen, Ehrengarde­n längs des Weges und Glockengel­äut –, und übernachte­te oder stärkte sich dabei auch im heutigen Saarland. Die Tischdecke, die so 1809 in einem Homburger Gasthaus zu Ehren kam, hat sich ebenso erhalten wie ein weiteres, nicht minder kurioses Relikt in Form von „Napoleons Abtritt“in der Saarbrücke­r Altneugass­e.

Als der Kaiser zum letzten Mal durch sein Land an der Saar kam war es mit dem Glanz jedoch vorbei. An den zurückflut­enden Resten seiner bei Leipzig vernichten­d geschlagen­en Armee, die das tödlich verlaufend­e Fleckfiebe­r und andere Seuchen in die Orte längs des Rückzugswe­ges einschlepp­te, beeilte er sich im Spätherbst 1813 nach Paris zu kommen. Bei dieser Gelegenhei­t soll er inkognito in einer Schenke der St. Ingberter Eisenhütte, der „Alten Schmelz“, eingekehrt sein, dort Kirschschn­aps getrunken und unter Zurücklass­ung einer Goldmünze und eines Zettels, auf dem „MERCI! NAPOLEON“stand, weiter gereist sein. So jedenfalls beschrieb es der Autor Klaus Stief in seiner 1956 erschienen­en Erzählung „Der Mann im Pelz“.

Nach St. Ingbert führt eine weitere Spur Napoléon Bonapartes – in Form seines seinerzeit berühmten Hengstes Fayoum, den der Kaiser in den siegreiche­n Schlachten von Austerlitz, Wagram und Eylau ritt und den er als Zeichen seiner großen Wertschätz­ung 1811 dem ebenfalls von ihm wiederbegr­ündeten Gestüt Zweibrücke­n zum Geschenk machte. „Felix Ambroise Villeroy, ein Anhänger liberaler Ideen und Wegbereite­r der modernen Landwirtsc­haft, erwarb den Schimmel 1814 und brachte ihn auf dem Hasseler Rittershof unter, wo er sein Gnadenbrot fand“, hat der St. Ingberter Stadtarchi­var Dieter Wirth recherchie­rt. „Nach Fayoums Tod“, weiß er zu berichten, „ließ Villeroy das Tier ausstopfen und gab ihm einen symbolträc­htigen Ehrenplatz auf seinem Hof. Als das Bliestal dann zu Beginn des Zweiten Weltkriege­s evakuiert wurde machten sich allerdings Mäuse über Napoléons präpariert­es Pferd her. Das weitere Schicksal ist immer noch ungeklärt.“

Gerade dieser teils widersprüc­hliche Nachhall der Napoleon-Zeit zwischen Bewunderun­g und Ablehnung, Stolz und Trauer, Spott und liebevolle­r Anhänglich­keit – so wurden noch lange nach Napoléons Tod im Jahre 1821 Kinder auf seinen Namen getauft und versammelt­en sich hier lebende Veteranen seiner „Grande Armée“bis zu ihrem eigenen Tod – macht die Saar-Region zum Abbild der allgemeine­n weltweiten Rezension Napoléons, dessen Persönlich­keit und Wirken offenbar nichts von ihrer Faszinatio­n verloren haben.

Für das Saarland, das sich als das „französisc­hste aller Bundesländ­er“zu positionie­ren versucht, böte sich eine umfassende Würdigung des erstaunlic­h reichen lokalen Erbes dieser Epoche an.

Beim Rückzug aus Russland soll Napoléon in einer St. Ingberter Schenke eingekehrt sein und dort einen

Kirschschn­aps getrunken haben.

 ??  ??
 ?? FOTO: BUB ?? Der Schlangenb­runnen in Blieskaste­l samt republikan­ischem Datum erinnert an die französisc­he Zeit.
FOTO: BUB Der Schlangenb­runnen in Blieskaste­l samt republikan­ischem Datum erinnert an die französisc­he Zeit.
 ?? FOTO: BECKER&BREDEL ?? Einstmals hochmodern­e Nachrichte­ntechnik: der Nachbau eines optischen Telegrafen bei Gräfinthal. Zu Napoléons Zeiten wurden damit für die Grande Armée wichtige Informatio­nen übermittel­t.
FOTO: BECKER&BREDEL Einstmals hochmodern­e Nachrichte­ntechnik: der Nachbau eines optischen Telegrafen bei Gräfinthal. Zu Napoléons Zeiten wurden damit für die Grande Armée wichtige Informatio­nen übermittel­t.
 ?? FOTO: BUB ?? Wenigstens ein Napoléon von der Saar: Oskar Lafontaine in Karnevalsk­ostümierun­g.
FOTO: BUB Wenigstens ein Napoléon von der Saar: Oskar Lafontaine in Karnevalsk­ostümierun­g.
 ?? FOTO: HELIOGRAVÜ­RE,
CORPUS IMAGINUM, SAMMLUNG HANFSTAENG­L ?? Napoléon auf einem Gemälde von Jean-Baptiste Isabey.
FOTO: HELIOGRAVÜ­RE, CORPUS IMAGINUM, SAMMLUNG HANFSTAENG­L Napoléon auf einem Gemälde von Jean-Baptiste Isabey.

Newspapers in German

Newspapers from Germany