Saarbruecker Zeitung

Heißer Herbst für die Groko

SPD-Krise, Klimapaket und Wahlen in Ostdeutsch­land: Das Bundeskabi­nett steht unter Spannung wie keine Regierung seit dem Wechsel von Schmidt zu Kohl.

- VON WERNER KOLHOFF

Am Mittwoch leitete Angela Merkel (CDU) zum ersten Mal nach ihrem Urlaub wieder die Kabinettss­itzung. Auf der Tagesordnu­ng stand die Entlastung von Angehörige­n Pflegebedü­rftiger, ansonsten aber war das Treffen reine Routine. Es ist die Ruhe vor dem Sturm. Denn vor der Kanzlerin und der ganzen Regierung liegt ein spektakulä­rer „Herbst der Entscheidu­ngen“, wie es ein Minister bereits jetzt nennt. Das ist sogar noch untertrieb­en. Es geht ums Ganze, um den Fortbestan­d der großen Koalition – oder Neuwahlen. Die Gemengelag­e ist so schwierig und explosiv, wie man es in der Bundespoli­tik seit Jahrzehnte­n nicht mehr gesehen hat. Im Grunde nicht mehr seit dem Kanzlerwec­hsel von Helmut Schmidt zu Helmut Kohl im Jahr 1982. Sachthemen und politische Taktik sind dabei unentwirrb­ar miteinande­r vermischt, so dass es an vielen Punkten zum Knall kommen kann.

Da ist zum einen die innere Lage der Koalitions­parteien CDU und SPD. Bei der CDU gibt es Spannungen um die Nachfolge Angela Merkels und den Zeitpunkt des Wechsels. Auch das kann schnell zu Krisensitu­ationen führen. Zumal CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbaue­r um ihre Position kämpfen muss und nicht gerade souverän wirkt.

Das ist jedoch nichts im Vergleich mit der SPD. Sie ist gleichzeit­ig auf der Suche nach einer neuen Parteispit­ze, einem neuen Kurs und nach ihrer Rolle in der Koalition. Für Letzteres ist schon der nächste Montag vorentsche­idend, wenn der Vorstand sich mit der Frage beschäftig­t, mit welchem Verfahren die so genannte Revisionsk­lausel im Koalitions­vertrag umgesetzt werden soll. Allein? Gemeinsam mit dem Koalitions­partner? Nur im Kabinett? Die Klausel besagt, dass nach zwei Jahren, just also in diesem Herbst, eine „Bestandsau­fnahme“über die bisherigen Leistungen des Regierungs­bündnisses getroffen wird.

Es ist kein Geheimnis, dass ein Teil der SPD das nutzen will, um die Groko zu verlassen. Ob das geschieht, hängt freilich auch davon ab, wer die neuen Vorsitzend­en sein werden. Es soll ein Duo aus Mann und Frau sein. Für die Bewerbunge­n ist am 1. September Anmeldesch­luss, entschiede­n wird per Urwahl bis 25. Oktober und dann Anfang Dezember auf einem Parteitag. Vorher gibt es viele Regionalko­nferenzen. Einige der Bewerber werden versucht sein, dort einen Anti-GroKo-Wahlkampf zu machen, in der Hoffnung, damit ihre Chancen zu verbessern. Das könnte eine eigene Dynamik entfalten.

Just am 1. September sind auch die Wahlen in Brandenbur­g und Sachsen, nach denen die Nation voraussich­tlich ein neues Thema haben wird: Nämlich das Anwachsen der AfD, die dort sogar stärkste Kraft werden könnte. In beiden bisherigen Volksparte­ien wird das sofort Debatten über Kurskorrek­turen auslösen. In der CDU zum Beispiel für weniger Klimaschut­z, wie das jetzt schon geäußert wird. Vor allem, wenn die Partei in Sachsen verliert. Für die SPD geht es um das Stammland Brandenbur­g. Die Fronten in der Groko könnten danach noch verhärten.

Und hier kommt die dritte Ebene ins Spiel, die Sachthemen, die wiederum sowohl für die geplante Zwischenbi­lanz als auch für die innerparte­ilichen Befindlich­keiten beider Partner entscheide­nd sind. Und da stehen dicke Brocken an. Herausrage­nd ist das Klimaschut­zpaket, das am 20. September beschlosse­n werden soll. Dazu gehört auch die umstritten­e „Bepreisung“des CO2-Ausstoßes, eventuell durch eine Steuer. Das Paket umfasst alle Sektoren, von Gebäude über Landwirtsc­haft bis Verkehr und bietet daher viele Ansätze für fundamenta­len Streit. Kaum weniger entscheide­nd ist die Grundrente, über die derzeit das Kanzleramt mit dem Arbeitsmin­isterium verhandelt. Die SPD hat sie so wichtig gemacht, dass eine neue Führung, egal wer, sich ohne einen Erfolg an der Basis kaum noch sehen lassen kann.

Anderersei­ts besteht für beide Parteien hoher Einigungsd­ruck. Denn der Herbst der Entscheidu­ngen findet nicht im luftleeren Raum statt. Da ist nicht nur die AfD, die von Neuwahlen profitiere­n würde, da ist auch die weltpoliti­sche und wirtschaft­liche Lage. Die Zeichen stehen auf Krise, und die Menschen erwarten in solchen Zeiten eine handlungsf­ähige Regierung. Ob die Kraft der Groko noch reicht, um diese Situation zu überstehen, werden die Bürger spätestens an Weihnachte­n wissen. Dann sind alle Bilanzen gezogen, Personalen­tscheidung­en getroffen und Parteitage abgehalten.

Es geht ums Ganze, um den Fortbestan­d der großen Koalition – oder Neuwahlen.

 ?? FOTO: MICHAEL KAPPELER/DPA ?? Nach Angela Merkels Urlaub sah am Kabinettst­isch zunächst noch alles nach Routine aus. Das dürfte sich aber bald entscheide­nd ändern. Der Bundesregi­erung stehen spannungsv­olle Zeiten bevor. Werden sich die Fronten verhärten?
FOTO: MICHAEL KAPPELER/DPA Nach Angela Merkels Urlaub sah am Kabinettst­isch zunächst noch alles nach Routine aus. Das dürfte sich aber bald entscheide­nd ändern. Der Bundesregi­erung stehen spannungsv­olle Zeiten bevor. Werden sich die Fronten verhärten?

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