„Singen ist Kraftfutter fürs Kinderhirn“
„Klasse, wir singen!“ist ein preisgekröntes bundesweites Projekt, mit dem seit 2007 rund 670 000 Kinder zum Singen gebracht wurden. Im April 2020 soll es in Saarbrücken Liederfeste geben. Die Anmeldung zu dem Projekt startet jetzt.
Wo wird eigentlich noch zusammen gesungen? Im Kindergarten, schon viel weniger in der Grundschule, manchmal im Chor, ab und zu auf Karaoke-Parties und noch seltener zu Hause. Das gemeinsame Singen kommt also viel zu kurz, vor allem bei Kindern. Ein universelles Liedgut, wie es Generationen zuvor noch kannten, verblasst immer mehr.
Dass deutsche Volkslieder aber immer noch Spaß machen können, hat Gerd-Peter Münden, Domkantor im Braunschweiger Dom, bewiesen. Ihn trieb die Gesangsmuffelei seiner Zeitgenossen so um, dass er beschloss, etwas dagegen zu unternehmen und Kinder wieder zum Singen zu bringen. Und so rief er 2007 das Mitsing-Projekt „Klasse, wir singen!“für Schüler von Klasse eins bis sieben ins Leben. Erst in seiner Heimatstadt Braunschweig und Region, wo sich schon im ersten Jahr rund 28 000 Schüler mit ihren Lehrern anmeldeten zu dem Programm, das immer in einem großen Liederfest gipfelt. Das Projekt, unterstützt von namhaften Sponsoren stieß schnell auf so viel positive Resonanz, dass Münden weitere Liederfeste organisierte. Mittlerweile ist er bundesweit aktiv, mehr als 1,5 Millionen Menschen haben seit 2007 mitgemacht und die Liederfeste erlebt. Eine beachtliche Zahl.
Zum Liederfest in Trier beispielsweise kamen im Mai rund 8000 Kinder mit Lehrern und ihren Familien. Im April 2020 soll es nun auch ein solches Liederfest in der Saarbrücker Saarlandhalle geben (neben Terminen in acht weiteren Städten), kündigt Münden an. Es wäre dann sein zweiter Anlauf, im Saarland mit seinem Programm Fuß zu fassen. 2014 hatte „Klasse, wir singen!“zu wenige Anmeldungen. Man habe damals nicht genug Unterstützung gehabt, die Schulen seien nicht informiert gewesen, begründet dies Münden, dessen gemeinnütziger Verein auf mittlerweile fünf festangestellte Mitarbeiter im Organisationsbüro zurückgreifen kann. Nun soll es unter besseren Vorzeichen aber auch im Saarland etwas werden mit dem gemeinschaftlichen Kinder-Singen. Drei bis vier Liederfeste sind in der Saarlandhalle geplant. Ein Schirmherr werde allerdings noch gesucht, so Münden. So wie in anderen Bundesländern, wo oft die jeweiligen Bildungsminister die Schirmherrschaft übernahmen.
Wie funktioniert das Ganze? Kinder, am besten ganze Schulklassen mit ihren Lehrern, melden sich bei „Klasse, wir singen!“online an. Für zehn Euro pro Kind gibt es ein Teilnehmer-T-Shirt, ein Liederbuch und eine CD mit der Musik. Dann werden die Lieder – von „Kein schöner Land in dieser Zeit“über „Freude schöner Götterfunken“bis hin zu „Lions sleep tonight“– gemeinsam in der Klasse über mindestens zehn Wochen mit Bewegungen und Tänzen eingeübt. Am Ende gibt es ein großes Liederfest, bei dem alle Teilnehmer und interessierte Familien zusammenkommen zu einer großen, moderierten Gesangsshow. Weit über 300 dieser Liederfeste mit jeweils tausenden von Teilnehmern hat Münden mit seinem in zwölf Jahren gewachsenen Team bereits organisiert quer durch die Republik. Der Eintritt zum Event kostet zwischen rund sechs Euro (Kinder) und 15 Euro (Erwachsene) und refinanziert die Kosten wie Hallenmiete, Band- und Mitarbeitergagen. Familien, die sich das nicht leisten können, werden unterstützt.
„Klasse, wir singen!“ist kein kommerzielles, wenn auch ein mittlerweile konfektioniertes Projekt nach festem Ablauf. Mündens Verein ist gemeinnützig, die insgesamt fünf Moderatoren sind allesamt engagierte Chorleiter und arbeiten für eine Aufwandsentschädigung. Man nimmt dem Musiker seine Begeisterung fürs Singen ab und staunt über das Engagement für „sein Baby“wie er das Projekt selbst nennt. „Die Stimme ist das Instrument, das allen Kindern, unabhängig vom Geldbeutel der Eltern, kulturelle Teilhabe ermöglicht“, argumentiert Münden. Warum nutzen wir sie so wenig?, lautet die rhetorische Frage Mündens.
„Es geht darum, fachfremde Lehrer zu remusikalisieren und das gemeinsame Singen in den Schulen wieder zu etablieren“, erklärt er. Die teilnehmenden Lehrer werden mit Workshops unterstützt, damit sie die Klassen anleiten können, auch ohne Musiklehrer zu sein. Das sei ein wichtiger Baustein. „Singen ist Kraftfutter fürs Kinderhirn“, schwärmt der Domkantor und verweist auf einschlägige wissenschaftliche Untersuchungen zu den positiven Auswirkungen des Singens auf die Lernfähigkeit und das Sozialverhalten. „Wenn ein Mensch singt, leuchtet sein Gehirn wie ein Blumenkohl. Das zeigen Tests“, scherzt er.
Und wie nachhaltig ist das Projekt? Wird in den Schulen weitergesungen? „Wir haben das evaluiert“, berichtet Münden. Das Ergebnis: Rund 60 Prozent der Schülerinnen und Schüler sängen auch sechs Wochen nach dem Liederfest weiter in ihren Klassen. Auch von Lehrern kämen viele positive Rückmeldungen, zum Beispiel über ein besseres soziales Miteinander in den Klassen.