Saarbruecker Zeitung

Im Kampf gegen die „kulturelle Verrohung“

Die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung wird 70. und ist besorgt. In der öffentlich­en Auseinande­rsetzung werde inzwischen teilweise eine Sprache benutzt, die „historisch kontaminie­rt“sei.

- VON NORBERT DEMUTH

(kna) Es ist jene Institutio­n, die die wichtigste deutsche Literatura­uszeichnun­g vergibt: den Georg-Büchner-Preis. Vor allem deshalb ist die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung, die insgesamt fünf Preise verleiht, jedes Jahr in aller Munde. Weniger bekannt ist die Gründungsg­eschichte der in Darmstadt ansässigen Akademie, die in diesem Jahr 70 Jahre alt wird. Dabei geht es um Meinungsfr­eiheit sowie den kritischen Umgang mit Sprache und ideologisc­h belasteten Begriffen. Eine Historie, die ziemlich aktuell klingt? „Leider ja“, sagt Bernd Busch, Generalsek­retär der Akademie. Ihn erschrecke „die Selbstvers­tändlichke­it, mit der sich seit einiger Zeit die öffentlich­e Auseinande­rsetzung in Sprachfeld­er hineinentw­ickelt, die historisch kontaminie­rt sind“, sagte Busch mit Blick auf rechtspopu­listische Äußerungen. Busch sieht nicht nur eine rein sprachlich­e Verrohung, sondern auch eine „kulturelle Verrohung“bei den Umgangsfor­men. Es gebe eine „immer stärker abnehmende Bereitscha­ft, dem anderen zuzuhören“. Vor 70 Jahren war die Ausgangsla­ge noch düsterer: Nach den Jahren der Nazi-Diktatur wollten Schriftste­ller dem unzensiert­en Wort wieder zur Geltung verhelfen. Dabei gab es heftige Kontrovers­en zwischen emigrierte­n Schriftste­llern wie etwa Thomas Mann und in Deutschlan­d gebliebene­n Autoren, von denen einige mit dem NS-Regime zusammenge­arbeitet hatten. Ein „Ort des freien Gesprächs“, eine unabhängig­e Diskurs-Institutio­n, wurde gebraucht. Am 28. August 1949 – bewusst am 200. Geburtstag Goethes – wurde die Gründung der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung bei einem Festakt in der Frankfurte­r Paulskirch­e verkündet. Die Festanspra­che hielt der sozialdemo­kratische Kulturpoli­tiker Adolf Grimme (18891963), der heute für den nach ihm benannten und seit 1964 vergebenen Fernsehpre­is bekannt ist.

Die Akademie sah von Beginn an ihre Aufgabe auch darin, die durch die Nazis entstanden­en sprachlich­en Verheerung­en zu durchleuch­ten. Insbesonde­re drei Publiziste­n - Dolf Sternberge­r, Wilhelm Emanuel Süskind und Gerhard Storz - setzten sich damit auseinande­r, wie die NS-Propaganda­maschine Wortschatz, Satzbau und Grammatik verändert und missbrauch­t hatte. Die drei Sprachkrit­iker veröffentl­ichten 1957 schließlic­h das Nachschlag­ewerk „Aus dem Wörterbuch des Unmenschen“. Noch heute heißt es in der Satzung: „Die Akademie setzt sich zum Ziel, das deutsche Schrifttum vor dem Inund Ausland zu vertreten und auf die pflegliche Behandlung der deutschen Sprache in Kunst und Wissenscha­ft, im öffentlich­en und privaten Gebrauch hinzuwirke­n.“Ernst Osterkamp, Germanist und Akademie-Präsident, kritisiert­e im Mai aktuelle Gesetzesna­men. Titel wie „Gute-Kita-, Starke-Familien- oder Geordnete-Rückkehr-Gesetz“verbänden Gesetzgebu­ngsverfahr­en „mit den Strategien der Reklame“, sagte Osterkamp dem Redaktions­netzwerk Deutschlan­d. „Sie geben damit einen Vertrauens­verlust gegenüber der Politik zu erkennen; schon deshalb sollte man auf sie verzichten.“

Die Akademie hat seit Jahren konstant rund 190 Mitglieder. Finanziert wird die Arbeit der Akademie durch den Bund, die Kulturstif­tung der Länder, das Land Hessen und die Stadt Darmstadt sowie durch private Förderer. Rund 700 000 Euro kommen jährlich von der öffentlich­en Hand, so Generalsek­retär Busch. Hinzu kämen jährlich rund 300 000 bis 400 000 Euro an eingeworbe­nen Projektmit­teln.

Die Akademie hat sich nicht nur mit der Rechtschre­ibreform befasst. In unregelmäß­igen Abständen wird ein „Bericht zur Lage der deutschen Sprache“mit herausgege­ben. Der erste Bericht von 2013 stand unter dem Titel „Reichtum und Armut der deutschen Sprache“. Der zweite Bericht im September 2017 befasste sich mit „Vielfalt und Einheit der deutschen Sprache“. Der dritte Bericht soll in knapp zwei Jahren erscheinen und die Situation der deutschen Sprache in Schulen beleuchten.

Eine öffentlich­e Feier ist laut Busch zum 70. Geburtstag nicht geplant. Da zum 60. Geburtstag 2009 die große Ausstellun­g „Doppellebe­n. Literarisc­he Szenen aus Nachkriegs­deutschlan­d“mitveranst­altet worden sei, habe sich die Akademie entschiede­n, erst das 75-jährige Bestehen wieder größer zu feiern.

„Gute-Kita- oder

GeordneteR­ückkehr-Gesetz“

verbinde die Gesetzgebu­ng „mit den

Strategien der Reklame“. Darauf sollte Politik nach Ansicht der Akademie verzichten.

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FOTO: FACEBOOK/STIFTUNG Das Haus der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung in Darmstadt.

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