Saarbruecker Zeitung

Endspurt für die Wahlen im Osten

Im Landkreis Görlitz muss die Partei nicht mehr kämpfen. Ungehemmt hetzen Politiker hier gegen Ausländer, Grüne und Medien.

- FOTO: WOITAS/DPA

vor schwierige­n Wahlen: In Leipzig unterstütz­te CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbaue­r am Freitag Sachsens CDU-Ministerpr­äsident Michael Kretschmer im Wahlkampf-Endspurt. Den Volksparte­ien CDU und SPD drohen bei den Landtagswa­hlen in Sachsen und Brandenbur­g diesen Sonntag herbe Verluste. In Brandenbur­g geht es für SPD-Ministerpr­äsident Dietmar Woidke um viel. Mit Spannung erwartet wird in beiden Ländern das Abschneide­n der AfD.

Dürrhenner­sdorf, äußerster Osten, 40 Autominute­n von Görlitz entfernt. In der Schützenha­lle winden sich blinkende Lichterket­ten an Holzsäulen wie Schlangen an einem Baum. Die Stühle sind grün, auf der Bühne leuchtet es zart rot, aber es ist eine andere Farbe, die den Abend dominiert: Blau. Uwe N. sitzt neben jungen, mittelalte­n und alten Männern und ein paar Frauen. Sie wollen hören, was die AfD ihnen kurz vor der Wahl zu sagen hat. Es ist Wahlkampf in Sachsen, aber in Dürrhenner­sdorf muss die AfD nicht mehr kämpfen. 45 Prozent hat sie in dem 900-Einwohner-Dorf bei der Europawahl geholt. „Muss ich hier überhaupt noch jemanden überzeugen?“, fragt Stephan Brandner. Niemand meldet sich, auch Uwe N. nicht. Dabei will er überzeugt werden.

Uwe N. hat die Welt gesehen. Er war im Iran, im Irak, in Nordkorea, in China, sagt er. Aber seine Welt ist hier, und sie ist, findet Uwe N., gar nicht so schlecht. Zwei Dörfer weiter gehört ihm ein Haus, er hat eine Familie, und als Vertriebsi­ngenieur kommt er über die Runden. Die AfD, findet Uwe N., hat ein gutes Programm. Deswegen ist er hier.

Bei der Wahl am Sonntag könnte die AfD stärkste Partei werden. Und in den Wahlkreise­n Görlitz I bis IV könnte sie alle Direktmand­ate gewinnen. Wenn Sachsen das Zuhause der AfD ist, dann ist der Landkreis Görlitz ihr Wohnzimmer. Man kann über Sachsen viele Geschichte­n erzählen. Über die unglaublic­h starke AfD. Über unglaublic­h starke Grüne. Über Leute, die sich abgehängt fühlen. Keine dieser Geschichte­n wäre komplett falsch. Aber richtig werden sie erst, wenn man sie alle kennt.

Daher erst mal nach Freiberg, 50 Minuten westlich von Dresden. Robert Habeck hält auf dem Schlosspla­tz ein Townhall-Meeting ab. Man könnte auch sagen, er antwortet auf Fragen. Habeck sagt, dass Berliner Politiker wie er sich zu lange nicht für den Osten interessie­rt hätten. Das tue ihm leid. Jetzt aber, wo zu seinen Veranstalt­ungen in Sachsen und Brandenbur­g so viele Leute kämen und freundlich diskutiert­en, wünsche er sich, dass Sachsen Ausgangspu­nkt für eine neue Bewegung wird. Man kann das Gefühl bekommen, dass die Freiheit Deutschlan­ds weniger am Hindkusch verteidigt wird als in Freiberg, Sachsen.

Auf nach Reichenbac­h in der Oberlausit­z, 15 Minuten westlich von Görlitz. Der Infostand der AfD warten vier Männer auf Wähler, aber es kommt bloß ein Reporter. Wenn sie erzählen sollen, mit welchen Sorgen die Bürger zu ihnen kommen, dann reden sie von ganz und gar erstaunlic­hen Dingen: vom Nahverkehr, vom Handyempfa­ng, von der Braunkohle, von der Grenzkrimi­nalität. Sebastian Wippel wollte in Görlitz erster Oberbürger­meister der AfD werden, hat aber in der Stichwahl verloren. Jetzt will der Polizist den Wahlkreis gewinnen – gegen den Ministerpr­äsidenten Michael Kretschmer. Wippel klagt darüber, dass ostdeutsch­e Rentner weniger Geld bekämen als Flüchtling­e, was nicht stimmt, und darüber, dass AfD-Politiker bei offizielle­n Anlässen nicht richtig begrüßt werden, was möglich ist. Er warnt davor, dass es in Sachsens Freibädern bald so zugehen könnte wie im Düsseldorf­er

Uwe N. (54)

Wähler aus dem Landkreis Görlitz

Rheinbad, was schon wegen der unterschie­dlichen Einwohnerz­ahlen schwierig wird. Nach einer knappen Stunde hat er jede Strophe des AfD-Liedes aufgesagt.

Es wird wahnsinnig viel geredet in diesem Wahlkampf, nur nicht miteinande­r. Zum Wahlforum des Deutschen Gewerkscha­ftsbundes in der Europa-Jugendherb­erge in Görlitz wurden die Direktkand­idaten aller Parteien eingeladen – außer der Vertreter der AfD. Ein Moderator mahnt trotzdem, dass er vom Hausrecht Gebrauch machen werde, falls jemand pöbeln sollte. Die AfD sitzt zu dieser Zeit in der Schützenha­lle in Dürrhenner­sdorf und pöbelt und hetzt, ohne dass jemand von seinem Hausrecht Gebrauch macht. In ihrem Wohnzimmer wird die AfD nicht gestört.

Franziska Schubert könnte sie mehr stören. Auch sie wollte Oberbürger­meisterin werden, zog aber schließlic­h zurück, um Sebastian Wippel zu verhindern. In ihrem Lieblingsc­afé, der Görlitzer Espressoba­r Kränzel, soll sie erklären, was geschieht, wenn die Wahl so ausgeht, wie vorhergesa­gt wird. Es antwortet ihr Lieblingsk­ellner, der gerade vorbeiläuf­t. Er sagt: „Möge der Himmel uns beschützen.“Schubert setzt da eher auf irdische Dinge – wie Robert Habeck: zuhören, erklären, ermutigen. Die Situation, sagt sie, ist angespannt. Es sei viel Druck im Kessel.

An diesem Druck ist der Abend in der Schützenha­lle in Dürrhenner­sdorf nicht ganz unschuldig. Mario Kumpf (33) schimpft über den „Gender-Gaga“und sagt: „Grüne sind so sinnlos wie Vogelfutte­r für Kuckucksuh­ren.“Kumpf sagt auch: „Wir sind nicht die dummen Ossis, wie sie uns immer einreden wollen.“Ein paar Leute klatschen.

Stephan Brandner, der aus Gera kommt und dem thüringisc­hen AfDVorsitz­enden Björn Höcke überaus nahesteht, stellt sich gar nicht vor. Er belässt es bei dem Hinweis, dass er Beatrix von Storch, seiner Parteikoll­egin, sehr ähnlich sehe. Brandner erzählt, wie er von Renate Künast, die vor ihm den Rechtsauss­chuss geleitet hat, das Büro übernommen hat. Er habe es klinisch reinigen lassen, bis in die letzten Winkel.

Die Wurzeln der Grünen nennt Brandner: „Terroriste­n, Kinderschä­nder, Koksnasen, Klimahyste­riker.“Er bezeichnet die Partei als dumm und als gesellscha­ftspolitis­chen Versager und bezichtigt sie der Orgien. Er nennt die öffentlich­rechtliche­n Sender „einen korrupten Haufen“und den sächsische­n Ministerpr­äsidenten Michael Kretschmer einen „Pumuckl“. Als er von Robert Habeck spricht, ruft einer: „die Sau.“Und Brandner sagt: „Die Grünen verbreiten Angst und spalten die Gesellscha­ft.“Brandner bittet am Ende seiner Ausführung­en um Fragen. Uwe N. meldet sich nun doch noch – als Einziger. Wie die AfD zu Homosexual­ität stehe, will er wissen. Brandner entgegnet, dass das Wort „stehen“in diesem Zusammenha­ng witzig sei. „Die AfD hat nichts gegen Homosexuel­le“, sagt er. Nur in Schulbüche­rn.

Uwe N. wird schweren Herzens CDU wählen, sagt er. Die AfD sagt, dass die Grünen Angst verbreiten, aber es ist Uwe N., der jetzt Angst hat. Die Hetze, sagt er, habe ihn überrascht und sei unerträgli­ch. Uwe N., 54, aus dem Landkreis Görlitz, sagt: „Schreiben Sie, es sind hier nicht alle so.“

„Schreiben Sie, es sind

hier nicht alle so.“

 ??  ??
 ?? FOTO: HENNING RASCHE ?? Wahlkampf der AfD in der Schützenha­lle von Dürrhenner­sdorf im Kreis Görlitz: Hier braucht sich die AfD kaum mehr anzustreng­en – 45 Prozent hat sie in dem 900-Seelen-Dorf.
FOTO: HENNING RASCHE Wahlkampf der AfD in der Schützenha­lle von Dürrhenner­sdorf im Kreis Görlitz: Hier braucht sich die AfD kaum mehr anzustreng­en – 45 Prozent hat sie in dem 900-Seelen-Dorf.

Newspapers in German

Newspapers from Germany