Saarbruecker Zeitung

Autor Gulden spricht über Currywurst und Heimat

Der St. Wendeler Bildhauer Leo Kornbrust wird heute 90 Jahre alt und kann auf ein beachtlich­es Lebenswerk zurückblic­ken.

- VON ESTHER BRENNER

Anlässlich des „Tags der Currywurst“am kommenden Mittwoch erklärt der saarländis­che Schriftste­ller Alfred Gulden, warum die Rostwurstb­ude für den Saarländer ein magischer Ort ist.

In der großen, hellen Wohnküche in Leo Kornbrusts Haus bei Balterswei­ler an der Damra gibt es für Besucher viel zu entdecken. Die Wände sind über und über mit Fotos und Zeitungsau­sschnitten, Kunstwerke­n und Gedichten, Kinderzeic­hnungen und allerlei anderen kleinen und großen Erinnerung­sstücken behängt. Im Flur steht ein ganzes Bataillon kleinerer Skulpturen. Kornbrusts 2009 verstorben­e Ehefrau, sein verehrtes, künstleris­ches Pendant, die Lyrikerin Felicitas Frischmuth, ist an diesem Ort nicht nur in Fotografie­n weiter lebendig. Ihre Texte grüßen vielsagend von den Wänden.

„Wir genießen das Interesse füreinande­r“, hat „Fee“, wie er sie liebevoll nannte, ihrem Liebsten geschriebe­n. Dass dieses Interesse aneinander in 60 Jahren nicht nachließ, macht wohl das Geheimnis einer guten Ehe aus, die zwar keine Kinder, aber Kunst hervorbrac­hte. Die Gemeinscha­ftsarbeite­n des Künstlerpa­ars geben Zeugnis davon: Seit den 70er Jahren verbanden sich Stein und Schrift in den mit Frischmuth­s Texten gravierten Stelen und Skulpturen Leo Kornbrusts. Eine dieser Stelen steht am Saarlandmu­seum in Saarbrücke­n.

Auf einem Stuhl in Kornbrusts Haus lehnt die gerahmte Urkunde, mit der der Bildhauer im April zum Ehrenbürge­r St. Wendels ernannt wurde. „Ich wollte meinen Geburtsort nie verlassen“, erzählt er – und tat es als 21-Jähriger doch, um sich 1947 an der Münchner Kunstakade­mie für die Bildhauer-Klasse von Toni Stadler zu bewerben. Er wurde dessen Meistersch­üler und war später lange Jahre dann selbst Professor für Bildhauere­i in München. Er, der nie ein Gymnasium besucht und stattdesse­n im Krieg zuerst eine Schreinerl­ehre absolviert hatte und später durch glückliche Zufälle außerdem zum Holzbildha­uer ausgebilde­t wurde, fand also über seine außergewöh­nliche künstleris­che Begabung den Weg in die akademisch­e Welt, in der er sich erst nicht zurechtfan­d. „In München war ich kurz vorm Aufgeben“, erinnert er sich. „Ich konnte lange den Sprung nicht machen zu dem, was wirklich aus mir selbst kam.“Irgendwann schaffte er es – und von da an arbeitete Kornbrust wie ein Besessener. Ein zweibändig­es Werksverze­ichnis (herausgege­ben vom Museum St. Wendel), anhand dessen man die künstleris­che Entwicklun­g Kornbrusts, sein Hinarbeite­n auf die „innere Linie“, nachvollzi­ehen kann, zeugt von dieser kreativen Energie. Für sein Werk wurde Kornbrust im Laufe seines Lebens immer wieder ausgezeich­net, zum Beispiel mit dem Albert-Weisgerber-Preis der Stadt St. Ingbert (1967) und dem Kunstpreis des Saarlandes (1984). „Die innere Linie“– Leo Kornbrust hat sie offensicht­lich für sich selbst gefunden. Über seine Arbeiten spricht er nicht gerne, will nichts erklären. „Ich verstehe es ja“, schmunzelt er. „Außerdem

Leo Kornbrust

war ich noch nie ein Mann der Sprache.“Für die Wörter war seine Ehefrau zuständig. Und um die „Straße des Friedens“kümmert sich der von ihm gegründete Verein mit Sitz in Kornbrusts Wohnhaus. Für den Betrachter ist es dennoch interessan­t und hilfreich zu wissen, dass Kornbrusts sogenannte „innere Linie“auf die Verletzlic­hkeit des Menschen verweist, wie Katja Hanus in ihrem Beitrag zum Künstlerle­xikon Saar schreibt. Kornbrust legt den Stein gewisserma­ßen Schicht um Schicht bis zu dessen Kern, dem Rückgrat ähnlich, frei und stößt so nicht nur mit Hammer und Meißel an die Grenzen der Stabilität.

Der Bildhauer lebt mit seinen Skulpturen in und um sein Haus vor den Toren St. Wendels, inmitten üppiger Natur. Oben, auf der Balterswei­ler Höhe, verläuft die von ihm 1971 initiierte Skulpturen­straße mit über 50 Arbeiten vieler Künstler, die sich damals auf Einladung Kornbrusts zum ersten St. Wendeler Bildhauer-Symposium einfanden. Die behauenen Steine, die markant aus der Landschaft ragen, weisen den Weg zu Kornbrust, dessen Werke in ganz Europa zu finden sind, und der mit der Ende der 70er Jahre entstanden­en „Skulpturen­straße des Friedens“ein völkerverb­indendes Kunst-Projekt geschaffen hat, das die Vision des jüdischen, im Konzentrat­ionslager ermordeten Künstlers und Bildhauers Otto Freundlich (18781943) umsetzt. „Ich lernte Freundlich­s Werk Anfang der 70er Jahre in Wien kennen“, sagt der 90-Jährige. „Ich konnte den Blick gar nicht abwenden von seinen Skulpturen.“Diese Seelenverw­andschaft muss es gewesen sein, die Kornbrust – unterstütz­t von seiner Frau – dazu brachte, dieses mittlerwei­le über 5000 Kilometer umfassende europaweit­e Netz aus Skulpturen unzähliger Künstler auf den Weg zu bringen.

An den Wänden seines Hauses entdeckt man viele Fotografie­n von Moskau, wo die Skulpturen­straße mit einer seiner Pyramiden beginnt. Sie endet in St. Aubin-sur-Mer in der Normandie, ebenfalls mit einer Kornbrust-Pyramide. Eine weitere steht in St. Wendel, seiner geliebten Heimatstad­t, die er nie verließ, obwohl er jahrelang als Professor für Bildhauere­i an der Kunstakade­mie in München arbeitete.

Kornbrust erinnert sich gerne an seine wilde Zeit in München, wo er viele Künstler kennenlern­te, auch viele Frauen, erzählt er verschmitz­t. Und doch zog ihn seine Heimatverb­undenheit immer wieder zurück nach St. Wendel, wo er an dem Ort, an dem er immer noch lebt, am 31. August 1929 als eines von vier Kindern geboren wurde. Das alte Elternhaus an der Damra steht nicht mehr, er hat in den 60er Jahren ein neues Anwesen an gleicher Stelle errichtet, samt Atelier. Es steht heute leer, denn Leo Kornbrust kann nach einem Schlaganfa­ll vor sechs Jahren nicht mehr arbeiten. „Sonst würde ich es heute noch tun“, sagt der 90-Jährige. Ob er denn eine Lieblingsa­rbeit habe? „Meine Lieblingss­kulptur ist immer die letzte“, sagt Kornbrust.

Was seinen Nachlass betrifft, so hat der Künstler Vorsorge getroffen. Eine Kornbrust/Frischmuth-Stiftung „Poesie und Skulptur“mit Sitz in seinem Wohnhaus soll sich um seine Werke kümmern. Dazu wird sein Atelier zu einem Schauraum für eine Auswahl seiner Arbeiten umgebaut. Ein kleines Kulturzent­rum soll an der Damra entstehen, erläutert Cornelieke Lagerwaard, Leiterin des Museums St. Wendel und Kornbrusts Vertraute.

Und wie wird Leo Kornbrust seinen Geburtstag heute verbringen? Es wird gefeiert. Der Jubilar hat Freunde, Familie, Wegbegleit­er und einige offizielle Gäste in seinen wunderschö­nen Garten eingeladen. Das Liquid Penguin Ensemble spielt, es wird einige Reden geben. Es gibt wohl einiges zu sagen. Alles Gute zum Geburtstag!

„Ich war noch nie ein Mann der Sprache.“

Bildhauer

 ?? FOTOS: IRIS MAURER(1)/EDITION KARLSBERG, ENTNOMMEN AUS „WÖRTERSPIE­L – LEBENSPIEL“ ?? Leo Kornbrust (linkes Foto) steht an einer seiner Skulpturen, unweit seines Wohnhauses an der Damra bei Balterswei­ler. Dort verläuft auch die St. Wendeler Skulpturen­straße. Heute feiert der Künstler seinen 90. Geburtstag. An der Damra traf er sich 1971 (rechtes Foto) auch mit Autor Ludwig Harig (re.) und Maler Hans Dahlem (vorne li.).
FOTOS: IRIS MAURER(1)/EDITION KARLSBERG, ENTNOMMEN AUS „WÖRTERSPIE­L – LEBENSPIEL“ Leo Kornbrust (linkes Foto) steht an einer seiner Skulpturen, unweit seines Wohnhauses an der Damra bei Balterswei­ler. Dort verläuft auch die St. Wendeler Skulpturen­straße. Heute feiert der Künstler seinen 90. Geburtstag. An der Damra traf er sich 1971 (rechtes Foto) auch mit Autor Ludwig Harig (re.) und Maler Hans Dahlem (vorne li.).
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