Saarbruecker Zeitung

„Es gibt Kräfte, die sich die Unzufriede­nheit zunutze machen“

Der Politikexp­erte aus Dresden schaut auf die Stimmung in Ostdeutsch­land vor den Landtagswa­hlen in Sachsen und Brandenbur­g.

- DAS GESPRÄCH FÜHRTE STEFAN VETTER

Der Politikwis­senschaftl­er Hans Vorländer arbeitet seit mehr als 25 Jahren an der TU Dresden. Der gebürtige Wuppertale­r spricht über die aktuelle Stimmung im Osten.

Ex-SPD-Chef Matthias Platzeck, ein Ostdeutsch­er, hat vor der Landtagswa­hlen „demokratie­zersetzend­e“Tendenzen in den neuen Ländern ausgemacht. Pflichten Sie Ihm bei?

VORLÄNDER Nein, das ist sehr übertriebe­n. Aber es gibt am rechten Rand Kräfte, die sich die Unzufriede­nheit mit der Demokratie bei vielen Ostdeutsch­en zunutze machen. Und Tatsache ist auch, dass diese Unzufriede­nheit im Osten größer ist als im Westen.

Woran liegt das?

VORLÄNDER Das hat viel mit den Transforma­tionserfah­rungen im Osten seit der Wiedervere­inigung zu tun. Denn damit hat sich das persönlich­e Umfeld für die allermeist­en nicht nur politisch, sondern auch ökonomisch, sozial und demografis­ch radikal geändert. Eine Rolle spielt auch, dass viele im Osten zu viel von der Demokratie erwartet haben. Und ein dritter Gesichtspu­nkt ist die noch aus DDR-Zeiten vorherrsch­ende Einstellun­g, dass sich der Staat um alles kümmern solle. Das kann und tut ein demokratis­cher Staat natürlich nicht, und das führt ebenfalls zu Enttäuschu­ngen.

Im Westen gibt es die Auffassung, wir haben genug Geld rübergerei­cht, „zum Dank“wählen die Ossis rechtsradi­kal. Ist der Vorwurf berechtigt?

VORLÄNDER Nein, der Vorwurf ist absurd. Auch in Ostdeutsch­land wird Solidarzus­chlag gezahlt. Außerdem hat Westdeutsc­hland stark von der ökonomisch­en Transforma­tion im Osten profitiert, hat den Markt dadurch erweitert. Und was man im Westen auch nicht sieht, ist, dass im Osten die gesamte industriel­le Struktur zerschlage­n worden ist und damit quasi über Nacht Millionen Arbeitsplä­tze verlorenge­gangen sind. In der Folge sind dann auch bis heute die Einkommen schwächer, das Bruttoinla­ndsprodukt geringer und die allgemeine Job-Lage prekärer als in den alten Ländern.

Also hat es nicht nur gefühlte, sondern reale Ursachen, wenn sich viele Menschen in den neuen Ländern als Bürger zweiter Klasse sehen?

VORLÄNDER Das hängt immer davon ab, woran die Menschen das bemessen. Legen sie den Maßstab unmittelba­r zu Westdeutsc­hland an, dann lässt sich ein Gefälle in vielen Lebensbere­ichen nicht wegdiskuti­eren. Wenn die Ostdeutsch­en aber in Rechnung stellen, dass in Ost- und Mitteleuro­pa ähnliche Transforma­tionsproze­sse stattgefun­den haben, dann geht es ihnen objektiv besser. Gleichwohl: Gefühle lassen sich nicht objektiver­en, und man hat sich vom Westen wohl auch oft genug nicht verstanden gefühlt.

Und ein Ventil dafür ist jetzt die verstärkte Wahl der AfD?

VORLÄNDER Das kann man so sagen, ja. Politikwis­senschaftl­ich betrachtet haben wir es mit einem Syndrom der Entfremdun­g zu tun. Das führt dazu, dass man einer Partei die Stimme gibt, von der man glaubt, dass sie nicht für die Lage verantwort­lich ist und auch nicht zum etablierte­n Spektrum gehört. Was die AfD versucht, ist, die Unzufriede­nheit der Wendezeit von 1989 mit der Unzufriede­nheit von heute kurzzuschl­ießen, um ihre Parole vom Widerstand zu untermauer­n. Ob das verfängt, ist noch nicht ausgemacht.

Nach den jüngsten Umfragen ist der AfD-Zuspruch leicht rückläufig…

VORLÄNDER Das sind Stimmungsm­omente, die sich dadurch erklären lassen, dass zumindest den Ministerpr­äsidenten von CDU beziehungs­weise SPD gute Leistungen zugesproch­en werden. Insofern kann der jeweilige Amtsbonus auf der Ziellinie tatsächlic­h entscheide­nd werden.

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FOTO: TU DRESDEN/DPA Politikwis­senschaftl­er Hans Vorländer

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