Saarlouis, das fast verlorene „Rostwurstparadies“
Zum „Tag der Currywurst“macht sich der Schriftsteller Alfred Gulden Gedanken, warum die Rostwurstbude für Saarländer ein magischer Ort ist.
Nächsten Mittwoch, 4. September, ist der „Tag der Currywurst“. Das Saarbrücker Filmhaus zeigt aus diesem Anlass in Kooperation mit Slowfood Saarland und der Peter-Imandt-Gesellschaft am 3. September, 18 Uhr, den Film „Magische Orte. Rostwurstbuden“des Saarlouiser Schriftstellers und Filmemachers Alfred Gulden, der sich mit dieser leider allmählich verschwindenden saarländischen Institution befasst. Im Anschluss wird der 75-Jährige auch im Kino lesen. Und nach der Veranstaltung gibt es selbstverständlich im Innenhof des Filmhauses Rostwurst, Currywurst und Gammler.
Herr Gulden, zuerst die Gewissensfrage: rot oder weiß?
GULDEN Ganz klar: weiß. Auch wenn ich rote Haare habe, habe ich immer nur weiß gegessen.
Dem französischen Dichter Marcel Proust sei Dank ist es ja Teil der Literaturgeschichte, dass allein der Duft einer süßen Madeleine ausreicht, um einen Sinnenrausch an Kindheitserinnerungen auszulösen. Was löst der Geruch von Rostwurst beim Saarlouiser Schriftsteller Gulden aus?
GULDEN Natürlich auch Kindheitserinnerungen. Als ich übrigens kürzlich zu jemand sagte, dass mein Film wieder läuft, sagte der wortwörtlich: „Wenn ich nur Rostwurst höre, bin ich schon in meiner Kindheit.“Und Saarlouis ist ja immer ein Rostwurstparadies gewesen. Den Großen Markt konnte man ringsum abgehen – von einer Rostwurstbude zur nächsten. Leider sind es heute nur noch zwei, stattdessen gibt es eine Crêperie, eine Joghurteria. Zum Glück sind wenigstens die Buden geblieben...
Sie nennen die Rostwurstbude in Ihrem Film einen „magischen Ort“. Ist die Rostwurstbude für den Saarländer auch ein identitätsstiftender Ort?
GULDEN Unbedingt, es heißt ja übrigens bloß hierzulande Rostwurst, anderswo heißt es Bratwurst. Magischer Ort bedeutet für mich, ein Ort von dem ein Zauber ausgeht. Und der bestand und besteht für mich nicht nur in der eigentlichen Rostwurst, sondern eben auch in diesem kleinen, man kann es fast Hexenhäuschen nennen. Und meistens stand und steht eine Frau darin, natürlich keine Hexe. Und das zieht natürlich auch an. Mein Film beginnt übrigens mit einem Gedicht, in dem ich sinngemäß sage, dass, wenn nachts früher in einem kleinen Ort irgendwo noch ein Licht brannte, dann konnte man sicher sein, es ist die Rostwurstbude. Da ging man dann noch hin, da traf man sich, da standen auch andere. Auch in meinem Theaterstück „Splitter im Aug“von 1984 spielen drei, vier entscheidende Szenen an so einer nächtlichen Rostwurstbude.
Meistens sind es ja Männer, die an der Rostwurstbude stehen...
GULDEN Ja, früher waren das zu 95 Prozent Männer. Wahrscheinlich haben die Frauen lieber zu Hause gegessen. Aber es liegt vielleicht auch daran, dass in der Rostwurstbude eben meist eine Frau steht, sozusagen die Angebetete, die nicht nur die Rostwurst verteilt, sondern auch ein Anblick ist.
Klima-Aktivistinnen fordern heute allerdings vehement, weniger Fleisch zu essen. Käme Ihnen eine vegane Rostwurst zwischen den Weck?
GULDEN Nein, auf keinen Fall. Ich esse ja auch sonst Fleisch. Nicht weil ich jeden Tag Wurst und Fleisch haben müsste. Da bin ich fast zu sehr katholisch, der Fisch gehört etwa zum Freitag. Aber früher hat man auch nur einmal pro Woche Fleisch gegessen. Ich bin Fleischesser, aber völlig klar ist, dass diese Massentierhaltung falsch ist. Ich wäre auch bereit, etwa für ein Hühnchen mehr zu zahlen.
Die Zahl der Rostwurstbuden nimmt stetig ab. Früher gab es in jedem Kaff eine, mittlerweile geht man zum Kebabladen oder Asia-Imbiss – ein Verlust auch von Heimat?
GULDEN Der Anlass für die kurzen Filme, aus denen dann dieser längere Film entstand, waren sozusagen saarländische Momente, das, was wir Besonderes haben. Und meistens waren es in der Tat Abgesänge, das ging vom Zollhäuschen bis hin zum Fördergerüst. Insofern war und ist das auch der Versuch, etwas im Film und in der Literatur bewahren zu wollen. Und diese Rostwurstbuden haben schon viel mit uns zu tun. Egal, mit wem man darüber spricht, jeder hat eine Erinnerung daran, hat etwas dazu zu sagen. Und es ist zudem ein Essen für jeden, weil es nicht teuer ist.
Jetzt hat ja bekanntlich alles ein Ende, nur die Wurst hat zwei. Welche Lebensweisheit haben Sie schon von der Bude mitgenommen?
GULDEN Die Gespräche dort sind sicher nicht hochgeistig, es ist kein Wiener Caféhaus. Die Rostwurstbude ist eine Börse zum Austausch über den Alltag. Aber das Wissen, da kann man hingehen, da sind andere, ist enorm wichtig. Es ist eine Begegnungsstätte, ein öffentlicher Kommunikationsort, von dem es nicht mehr viele gibt. Es geht eben nicht nur ums Reinbeißen in die Wurst.
Wo steht Ihre Lieblingsbude?
GULDEN Die gibt es nicht mehr, die war in Fraulautern. Aber in Saarbrücken gehe ich auch gern mal zu Kalinski...
Das ist aber die Edelvariante ....
GULDEN Ja, aber die jungen Leute versuchen dort etwas Saarländisches wieder aufleben zu lassen – und es ist nicht einfach ein weiterer Asia Imbiss.
Das Gespräch führte Oliver Schwambach.