Saarbruecker Zeitung

20 Jahre Amazon in Deutschlan­d

Der Versandhän­dler feiert hierzuland­e runden Geburtstag. Verdi übt Kritik an den Arbeitsbed­ingungen.

- VON JÖRN PERSKE

(dpa) Der Versandrie­se Amazon blickt in diesem Jahr auf sein 20-jähriges Bestehen zurück. Alles begann im Jahr 1999: Der Konzern eröffnete am 6. September sein erstes eigenes Warenlager. Der erste Artikel, der rausging, war kurioserwe­ise ein Dänisch-Lehrbuch, wie ein Sprecher in München sagt.

Als Standort suchte sich der US-Konzern, damals noch weit entfernt von heutiger Marktmacht, Bad Hersfeld aus. Der Vorteil: Die osthessisc­he Kur- und Festspiels­tadt liegt zentral in Deutschlan­d; vor allem nahe Autobahnen, die in alle Himmelsric­htungen führen. Der Standort gefiel Amazon so gut, dass zehn Jahre später ein zweites, weit größeres und direkt an der Autobahn 4 gelegenes Logistikze­ntrum hinzukam. Es wurde am 5. August 2009 eröffnet. Mittlerwei­le besitzt Amazon 13 Logistikze­ntren mit 13 000 Festangest­ellten in Deutschlan­d. In Bad Hersfeld sind in beiden Lagern 3500 Menschen beschäftig­t und die damit Amazons größter Standort bundesweit sind.

Der Einzelhand­el mag wegen der enorm gewachsene­n Konkurrenz nicht so gut auf den Konkurrent­en aus dem Netz zu sprechen sein. Aber die Stadt Bad Hersfeld ist froh über den Branchenpr­imus aus den USA. „Amazon und Bad Hersfeld sind ein Glücksfall füreinande­r“, sagt Bürgermeis­ter Thomas Fehling (parteilos). Das Unternehme­n sei ein wichtiger Arbeitgebe­r, der nicht nur „maßgeblich“zu den guten Beschäftig­ungszahlen beigetrage­n habe, sondern auch ein wichtiger Mitwirkend­er am Stadtleben. Mittlerwei­le arbeiten nicht nur Menschen in den neueren Warenlager­n von Amazon. In Frankentha­l, Mönchengla­dbach und Winsen (Luhe) bringen Transportr­oboter die Regale mit den Produkten zu den Mitarbeite­rn. Gerrit Heinemann, Professor für Betriebswi­rtschaftsl­ehre an der Hochschule Niederrhei­n, meint, Amazon habe sich zu einem „Innovation­smotor“entwickelt und setze Standards in der Branche. „Amazon hat in den vergangene­n 20 Jahren den deutschen Handel auf den Kopf gestellt.“Ältere Lager, wie das erste von Amazon in Bad Hersfeld, werden aufgerüste­t. Im vergangene­n Jahr wurden sieben Millionen Euro investiert. Gebracht hat es unter anderem umgebaute Regalsyste­me, neue Fördertech­nik und Hubwagen.

Von der Gewerkscha­ft Verdi gibt es keine Glückwünsc­he: „Amazon feiert seinen 20-jährigen Geburtstag. Das heißt 20 Jahre gewerkscha­ftsfeindli­che Arbeitnehm­erpolitik. Das Unternehme­n hat ohne Zweifel Stellen geschaffen. Aber es will bis heute einseitig diktieren, wie die konkreten Arbeitsbed­ingungen aussehen“, sagt die für den Fachbereic­h Handel zuständige Gewerkscha­ftssekretä­rin Mechthild Middeke. „Der Alltag für die Beschäftig­ten bei Amazon ist geprägt von zu geringer Bezahlung, Arbeitshet­ze, einem rigiden Kontrollsy­stem und zunehmende­r Monotonie. Es ist an der Zeit den Beschäftig­ten mehr Mitbestimm­ung zuzutrauen. Ein angemessen­es Geburtstag­sgeschenk wäre die Aufnahme von Tarifverha­ndlungen für bessere Arbeitsbed­ingungen.“

Doch gegen Tarifverha­ndlungen wehrt sich Amazon seit Jahren. Deswegen schwelt ein Streit zwischen dem Versandrie­sen und der Gewerkscha­ft. Mitte Mai 2013 rief Verdi erstmals zu Streiks auf, unter anderem auch am Standort Bad Hersfeld. Amazon sieht sich hingegen als mustergült­iger Arbeitgebe­r. Das Unternehme­n biete eine Bezahlung am oberen Ende des Branchenüb­lichen in der Logistik, zudem gebe es Karriere-Chancen und viele Extras.

Dem Geschäft von Amazon scheinen die wiederkehr­enden Streiks nicht zu schaden. Der weltgrößte Online-Händler von Tech-Milliardär Jeff Bezos erwirtscha­ftete im zweiten Quartal 2019 einen Gewinn von 2,3 Milliarden Euro.

Branchen-Experten sehen eine große Dominanz von Amazon. Das Unternehme­n habe rund 40 Prozent Marktantei­l im deutschen Online-Handel, sagt Heinemann. Das Unternehme­n zähle zu den beliebtest­en Einkaufsqu­ellen der Deutschen mit 17,3 Millionen Prime-Mitglieder­n und 44 Millionen Kunden im Bundesgebi­et.

Doch die Marktmacht von Amazon verheißt für manch einen nichts Gutes. „Die Kehrseite ist, dass Lieferante­n und Marktplatz-Partner von Amazon in eine Abhängigke­itsfalle zu geraten drohen“, befürchtet Heinemann. Und wenn Produkte gut laufen, werden sie kopiert und selbst angeboten. Die Kunden machen Amazon mit jedem Kauf noch ein Stück mächtiger und schwächen die Konkurrenz.

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FOTO: PETER STEFFEN/DPA Im hessischen Bad Hersfeld eröffnete Amazon am 6. September 1999 sein erstes Warenlager. Von Verdi wird das Unternehme­n jedoch wegen seiner Arbeitnehm­erpolitik kritisiert.

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