Saarbruecker Zeitung

Zu Besuch in der Stadt der scharfen Messer

Seit Jahrhunder­ten entstehen in Solingen Klingen aller Art. Auch heute noch arbeiten manche Betriebe mit traditione­llen Methoden.

- VON BERND F. MEIER

Kurz vor dem Ende des langen Fertigungs­weges feiern Klinge und Messergrif­f ihre Hochzeit. „Bei uns in Solingen nennen wir das traditione­ll Reiden. Das bedeutet wohl: Auf die Reihe bringen“, erläutert Ralf Jahn den Besuchern. Im Wipperkott­en – Kotten bedeutet in der Region so viel wie Handwerker­haus – arbeitet Jahn als Messermach­er. Seine Werkstatt betreibt er ganz allein.

Mit der Wasserkraf­t der wild strömenden Wupper werden Jahns Schleifste­ine und Poliersche­iben über das hölzerne Wasserrad wie in alten Zeiten angetriebe­n. Im Jahr 1605 wurde der Wipperkott­en erstmals historisch erwähnt. Heute ist der stattliche Fachwerkba­u einer der letzten gut erhaltenen Handwerker­häuser.

Klingen, Messer und Scheren werden bereits seit dem Mittelalte­r in Solingen hergestell­t, damals vor allem Degen und Schwerter. „Me Fecit Solingen“(mich schuf Solingen) – mit diesen lateinisch­en Worten wurden die fertigen Werkzeuge gekennzeic­hnet. Das 17. Jahrhunder­t gilt als Blütezeit der Schneidwar­en, mehr als 100 Schleiferk­otten gab es 1684 in der Klingensta­dt. Das Deutsche Klingenmus­eum dokumentie­rt diese Tradition mit zahlreiche­n historisch­en Exponaten.

Heute stellen in Solingen etwa 150 Unternehme­n mit gut 3000 Beschäftig­ten verschiede­nste Produkte her – von der Kleinstfir­ma bis zum Betrieb mit 800 Beschäftig­ten, so der Industriev­erband Schneid- und Haushaltsw­aren. Große Betriebe wie die Zwilling J. A. Henckels AG und Ed. Wüsthoff Dreizackwe­rk KG sind weltweit vertreten. Ebenso bedeutend sind aber die kleinen hochspezia­lisierten Messer-Manufaktur­en.

Im Museum Balkhauser Kotten haben die Arbeiter noch bis in die 1950er Jahre hinein Messer geschliffe­n. Die Rohlinge kamen, wurden geschliffe­n, poliert, bekamen den Griff und verließen den Kotten blank und scharf. Aus den Steinbrüch­en der Eifel stammten die Schleifste­ine, meistens zwei Meter im Durchmesse­r.

„Wir fertigen aus rohem Stahl hochwertig­e Schneidwer­kzeuge“, sagt Karl-Peter Born. In der vierten Generation leitet er die Messermanu­faktur Güde in Solingen-Höhscheid. Der Firmeninha­ber führt auf Anfrage hin und wieder Besuchergr­uppen durch die Werkhallen. Im Zeitalter von Globalisie­rung, Automation und Massenhers­tellung setzt der 1910 gegründete Betrieb auf handgefert­igte Qualität. 50 Mal und mehr wird jedes Messer von den Beschäftig­ten bis zur Fertigstel­lung in die Hand genommen. Rund 200 Arbeitssch­ritte stecken darin. Auf Holzscheme­ln sitzen die Schleifer vor ihren Maschinen, konzentrie­rt und mit geübter Hand halten sie die Messer an die Schleifbän­der. Immer feiner werden die Bänder – vom Grobschlei­fen bis zum Pliesten. So nennen sie den Feinschlif­f, der dem Metall zu Glanz, Glätte und Schärfe verhilft.

200 Schneidmes­ser liefert die Güde-Manufaktur, vom kleinen Universalm­esser bis hin zum edlen „The Knife“. Fünf Jahre dauerte dessen Entwicklun­g – immerhin zwei Jahre länger als die Entwicklun­g eines neuen Pkw – dieses kostspieli­gen Schneidwer­kzeuges, das Profiköche und ambitionie­rte Hobbyköche für den Wiegeschni­tt nutzen.

Ortswechse­l zum Manuelskot­ten im benachbart­en Wuppertal-Cronenberg: Dirk Fromm fertigt in historisch­en Mauern aus dem 18. Jahrhunder­t überdimens­ionale Kuttermess­er für Fleischfab­riken. Die Lederrieme­n des Transmissi­onsgetrieb­es klappern und die hölzernen Zahnräder knarren, wenn er das Wasserrad zum Antrieb des Schleifste­ines startet. Seit Jahren bearbeitet Fromm hier die riesigen Messer auf diese traditione­lle Weise. Seine Werkstatt hält er von Frühling bis Herbst an manchen Tagen für Besucher geöffnet, der nächste Besichtigu­ngstermin ist der 8. September.

Fromm lacht: „Manch einer meint, der Manuelskot­ten sei ein Museum. Für mich ist es der Arbeitspla­tz – ich bin ein lebendes Museum.“

 ?? FOTO: JOHN HELVERT/DPA ?? Das Deutsche Klingenmus­eum zeigt die Solinger Handwerkst­radition anhand zahlreiche­r Exponate.
FOTO: JOHN HELVERT/DPA Das Deutsche Klingenmus­eum zeigt die Solinger Handwerkst­radition anhand zahlreiche­r Exponate.

Newspapers in German

Newspapers from Germany