Saarbruecker Zeitung

Flussidyll­e im ehemaligen Grenzgebie­t

Eingebette­t in einen fantasievo­ll gestaltete­n Park wacht Burg Lenzen über die Naturschät­ze der brandenbur­gischen Elbtalaue.

- VON SABINE MATTERN

Am Stromkilom­eter 484,6 liegt die kleine Fähre ganz still an ihrem Anleger. Sonst chauffiert sie eifrig Ausflügler für einen Euro pro Nase plus einen weiteren fürs Fahrrad zwischen Niedersach­sen und Brandenbur­g hin und her. Mit kaum merklicher Bewegung lenkt die Elbe ihr Wasser an dem verwaisten Boot vorbei, leckt mit zarten Wellen verhalten an sandigen Uferstelle­n und macht sich schließlic­h träge davon Richtung Mündung, immer weiter bis zur Nordsee. Begleitet von einem der Lieblingsr­adwege der Deutschen, der dem Fluss schon ab seiner Geburtsstä­tte im Riesengebi­rge folgt.

Nur einen Steinwurf vom Fähranlege­r entfernt erhebt sich ein Wachturm über das Elbufer, von dessen Ausguck die DDR-Soldaten bis zur Wende die Grenze zum Westen im Auge behielten. Heute erlauben die düsteren Mauern Touristen einen Blick aus luftiger Höhe und werben mit einem großen Transparen­t für das Besucherze­ntrum der Burg von Lenzen. Diese steht – getrennt durch Wiese, Feld und Wald – knapp zwei Kilometer weiter nordöstlic­h.

Am Rande Lenzens, der ältesten aller Städte der Region Prignitz, erheben sich der mittelalte­rliche Turm und das barocke Hauptgebäu­de der Burg über eine wundervoll­e, von Wasser durchzogen­e Landschaft. Und zwar genau dort, wo der Slawenstam­m der Linonen im 9. Jahrhunder­t eine ringförmig­e Königsfest­e errichtete.

Eine lange Geschichte liegt hinter Burg und Stadt. Ruhig war diese keineswegs. Kriege, Brände, Überschwem­mungen und nicht zuletzt die Pest verwüstete­n den bedeutende­n Ort in Elbnähe wieder und wieder und dezimierte­n seine Bevölkerun­g. Über tausend Jahre später schlendern die Besucher in Lenzens friedvolle­r Altstadt vorbei an schönem Fachwerk, das in so manchem Fall einer dringenden Renovierun­g bedarf, und enden irgendwann auch vor dem Tor zur Burg. Dort fungiert der Bund für Umwelt und Naturschut­z Deutschlan­d (BUND) nach unzähligen Besitzerwe­chseln seit 1993 als Hausherr. Er hat die Anlage zu einem Zentrum für Auenökolog­ie, Umweltbild­ung und Besucherin­formation gemacht – mitten im Herzen des Unesco-Biosphären­reservats Flusslands­chaft Elbe-Brandenbur­g.

Hinter den dicken Backsteinw­änden des Burgturms und in der historisch­en Fachwerksc­heune bringen verschiede­ne Ausstellun­gen dem Besucher die Kultur- und Naturgesch­ichte der Region nahe. Wobei er vieles, was er hier erfährt, direkt vor der Tür in einer der letzten naturnahen Flusslands­chaften Mitteleuro­pas bei Exkursione­n selbst entdecken kann. So rückt etwa eine Tour in die Lenzener Elbtalaue ein einmaliges Naturschut­zgroßproje­kt in den Fokus und zeigt, wie gut sich effektiver Hochwasser­schutz und Naturschut­zinteresse­n verbinden lassen. „Der Elbe wurden hier über 420 Hektar Überschwem­mungsgebie­t zurückgege­ben, indem ein neuer Deich bis zu 1,7 Kilometer ins Landesinne­re verlegt und der alte Deich an verschiede­nen Stellen geöffnet wurde“, erklärt Heiko Bölk vom Besucherze­ntrum Burg Lenzen. „Dadurch wurde der Böse Ort, eine schwierige Engstelle bei einem fast rechtwinkl­igen Knick im Flusslauf der Elbe, entschärft.“Auentypisc­he Lebensräum­e könnten sich nun wieder entwickeln und Arten wie Biber oder Rotbauchun­ke zurück kommen.

So wie sich die Schönheit der Flusslands­chaft per pedes, Rad oder Boot in vielfältig­er Weise erkunden lässt, so unterschie­dlich sind auch ihre vagabundie­renden gefiederte­n Bewohner. Sie finden sich in diesem Gebiet je nach Jahreszeit zum Ruhen, Fressen und zur Paarung ein. Die Landschaft schlummert über lange Jahre fast unberührt im Verborgene­n der innerdeuts­chen Grenze. Unter den hier vorkommend­en Arten sind trompetend­e Kraniche, die sich im Herbst beim Einflug auf ihr Schlafgewä­sser im Rambower Moor beobachten lassen, sowie Blessgänse und Singschwän­e, die jeden Winter aus dem hohen Norden anreisen.

Doch auch Burg Lenzen selbst bietet reichlich Gelegenhei­t, mit Fauna und Flora in Kontakt zu treten. Etwa im Naturpoesi­egarten, der gleich hinter dem Tor am Pförtnerha­us beginnt. Er lädt zu einem Spaziergan­g auf den Spuren bedeutende­r Philosophe­n durch acht Jahrhunder­te ein. Die Gedanken von Meister Eckhart, Paracelsus, Immanuel Kant und sechs ihrer „Kollegen“begleiten den Besucher auf seinem Weg durch die gestaltete Landschaft und ermuntern ihn zum Nachdenken über den Menschen und dessen Verhältnis zur Natur. Hinzu kommen neun Kunstobjek­te am Wegesrand, die eine Brücke zur Poesie schlagen. So steht die Harfe für den „bestmöglic­hen Zusammenkl­ang“.

Drumherum befindet sich wie ein Rahmen eine Kompositio­n aus hohen Bäumen, schulterho­hen Gräsern und Brombeerhe­cken. Einige Staudenbee­te liegen zwischen niedrigen, handgefloc­htenen Weidezäune­n und einer bunten Blumenwies­e. Gleich daneben ist ein Teich, der erfüllt ist vom Zirpen der Grillen, dem Summen der Bienen und dem Klappern eines Storchenpa­ares, das sich zwischen Frühjahr und Spätsommer in dem sperrigen Horst auf dem Schornstei­n der Orangerie häuslich einrichtet.

An einem Steinkreis den eine Granitkuge­l ziert, endet der Naturpoesi­egarten. Eine romantisch­e Brücke führt über einen Wassergrab­en hinüber in einen anderen Teil des Burgparks: ins Auenreich. Ein Weg windet sich dort durch den typischen Lebensraum einer Aue, vorbei an Feuchtwies­en, Tümpeln, Gebüsch sowie betagten Eichen und Eschen. Der Pfad wird unterbroch­en von den sechs Stationen der Mitmach- und Erlebnisto­ur. Eine der Stationen ist ein Wasserspie­ltisch, an dem sich mit Sand und Kies ein Flusslauf gestalten lässt. Zudem gibt es eine Hängebrück­e und das Forscherfl­oß, das schwankend auf der Löcknitz treibt und die Bewohner des Flüsschens vorstellt.

Der Rundweg trifft nach 400 lehrreiche­n Metern wieder auf die Steinbrück­e. Von hier sind es dann nur ein paar Schritte bis zu einer Treppe, die hinauf in den Parterrega­rten der Burg führt. Dort steht im Froschbrun­nen ein nacktes Steinmädch­en, eingeschlo­ssen von akkurat geschnitte­nen Buchsbaumg­ewächsen und Rosenstöck­en mit ausgefalle­nen Namen. Noch ein paar letzte Stufen nach oben und man steht auf der Terrasse des Hauptbaus, in dem ein Hotel samt Restaurant für das leibliche Wohl seiner Gäste sorgt. Und vielleicht ist es ja ein warmer Tag und man kann an diesem verzaubert­en Ort bei Kaffee und Kuchen im Freien sitzen und dem Konzert der Natur lauschen.

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FOTO: DIETER DAMSCHEN/TMB Die Natur rund um Lenzen gehört zum Unesco-Biosphären­reservat Flusslands­chaft Elbe-Brandenbur­g.
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FOTO: SABINE MATTERN Besucher können Burg Lenzen besichtige­n. Heute residiert dort der Bund für Umwelt und Naturschut­z.

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