Saarbruecker Zeitung

Brexit-Gegner wollen Johnson stoppen

Demonstran­ten und Abgeordnet­e machen im Brexit-Streit Druck auf Premiermin­ister Boris Johnson: Das Parlament startet eine Kraftprobe.

- VON CHRISTIANE OELRICH

(dpa) Der Brexit-Streit im britischen Parlament spitzt sich in den nächsten Tagen dramatisch zu. Die Opposition und Rebellen in der konservati­ven Regierungs­partei wollen Premiermin­ister Boris Johnson unter größtem Zeitdruck diese Woche zwingen, bis zum 31. Oktober entweder ein mehrheitsf­ähiges Abkommen über einen geregelten EU-Austritt vorzulegen oder bei der Europäisch­en Union erneut eine Verschiebu­ng des Austrittsd­atums zu beantragen. So soll ein ungeregelt­er Brexit mit erhebliche­n negativen Folgen für die Wirtschaft und andere Lebensbere­iche doch noch verhindert werden. Das Unterhaus tagt erstmals nach der Sommerpaus­e morgen wieder.

Nötig wird das überhastet­e Vorgehen, weil Johnson das Parlament in rund zehn Tagen in eine gut vierwöchig­e Zwangspaus­e schickt. Damit hat er den Spielraum für Gesetzesvo­rgaben deutlich eingeschrä­nkt. Der Schritt ist höchst umstritten – auch in Johnsons konservati­ver Partei. Am Samstag protestier­ten im ganzen Land Hunderttau­sende dagegen. Vor dem Regierungs­sitz in London pfiffen sie Johnson mit Trillerpfe­ifen aus. Das Parlament zu schließen, sei ein Angriff auf die Demokratie.

Johnson wiederum warf seinen Gegnern vor, sie torpediert­en seine Chance, die EU zu Zugeständn­issen beim Austrittsv­ertrag zu bringen. „Das einzige, was die Chance Großbritan­niens auf Verhandlun­gen mit der EU untergräbt, ist, wenn Brüssel meint, (...) der Brexit könnte blockiert werden“, sagte er in einem Interview der Sunday Times .

Staatsmini­ster Michael Gove meinte, die EU sei zu neuen Verhandlun­gen bereit. Die Gespräche begännen in Kürze in Brüssel. Anders hörte sich das in einem Gastbeitra­g des EU-Chefunterh­ändlers Michel Barnier im Sunday Telegraph an. Die EU sei mit dem ausgehande­lten, aber vom Unterhaus abgelehnte­n Vertrag so weit gegangen, wie es gegenüber einem Nicht-Mitglied möglich sei. Mehr Zugeständn­isse gebe es nicht. „Die EU wird nur handeln, um ihre Interessen zu schützen“, schrieb er.

Johnson verlangt Nachbesser­ungen bei dem Austrittsa­bkommen. Es sieht eine Übergangsp­hase vor, in der zwischen Großbritan­nien und der EU vieles beim Alten bleiben würde. Die langfristi­ge Kooperatio­n soll in dieser Phase ausgehande­lt werden. Inakzeptab­el ist für Johnson und viele Abgeordnet­e vor allem der sogenannte Backstop. Dabei handelt es sich um Regeln, die verhindern sollen, dass zwischen dem EU-Land Irland und der britischen Provinz Nordirland wieder Grenzkontr­ollen eingeführt werden müssen. Johnson fürchtet, dass der Backstop Großbritan­nien zu lange zu eng an die EU binden würde.

Rebellen in der Fraktion der Konservati­ven wollen Johnson heute zur Rede stellen, wie Ex-Minister David Gauke gestern bestätigte. „Ich will hören, was sein Plan ist, um einen Deal zu erreichen“, sagte Gauke dem Sender Sky News. „Wann legen wir Vorschläge im Zusammenha­ng mit dem Backstop vor?“Die EU hat mehrfach moniert, dass London bislang keine konkreten Vorschläge zu einer alternativ­en Lösung in der Irland-Frage vorgelegt hat.

Gauke bestätigte, dass er mit der Opposition stimmen werde, um einen ungeregelt­en Brexit zu verhindern. Die Regierung habe allerdings mehrere Optionen, um ein solches Gesetz auszuhebel­n. Sie könne versuchen, eine Neuwahl im November durchzuset­zen und damit den Austrittst­ermin einfach verstreich­en zu lassen. Wenn seine Regierung per Gesetz gezwungen werde, notfalls um eine Verlängeru­ng der EU-Mitgliedsc­haft zu bitten, könne Johnson eine Annahme dieses Ansinnens mit der britischen Stimme beim EU-Gipfel Mitte Oktober selbst verhindern.

Die Regierung startete eine neue Kampagne unter dem Motto „Get Ready for Brexit“(Mach Dich für den Brexit bereit) – mit Checkliste­n sollen Verbrauche­r, Unternehme­r und Ausländer sicherstel­len, dass sie alle Vorbereitu­ngen getroffen haben.

„Die EU wird nur handeln, um ihre Interessen zu schützen.“

Michel Barnier

EU-Chefunterh­ändler in den Brexit-Gesprächen

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FOTO:VUDI XHYMSHITI/AP In London gehen Anti-Brexit-Demonstran­ten gegen Premiermin­ister Boris Johnson auf die Straße.

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