Saarbruecker Zeitung

Warum Umweltscha­m ein guter Anfang ist

Sich für die eigenen Umweltbela­stungen zu schämen, wird das Klima nicht retten. Der Trend könnte aber einen nötigen Perspektiv­wechsel erzeugen.

- VON LEA HENSEN

Wortschöpf­ungen haben die herausrage­nde Eigenschaf­t, mit neuen Worten etwas zu beschreibe­n, das es vorher gar nicht gab. Zum Beispiel Flugscham: Das schlechte Gewissen nämlich, das jemand empfindet, wenn er heute noch in ein Flugzeug steigt. Da haben wir uns vorgenomme­n, die Umwelt zu schonen, trennen Müll, vermeiden Plastik, fahren Fahrrad – und sprengen unser Budget an umweltfreu­ndlicher Pro-Kopf-Emission bereits mit dem Abheben von der Rollbahn. Vor allem, wenn es sich um eine Fernreise handelt.

Geprägt wurde das Trendwort Flugscham in Schweden. „Flygskam“bezeichnet dort eine ganze Bewegung, der sich viele Prominente angeschlos­sen haben. „Fridays for Future“-Initiatori­n Greta Thunberg segelte gerade nach New York mit dem Boot, nach Davos fuhr sie 65 Stunden lang mit dem Zug, nach Kattowitz reiste sie per E-Auto.

Flugscham machte auch in anderen Ländern Karriere. Denn offensicht­lich bedient er ein Empfinden, das immer mehr Menschen teilen. Flugscham ist nur eine Form des neuen Schämens darüber, wie die Menschen mit der Umwelt umgehen. Das schlechte Gewissen macht sich in vielen Bereichen bemerkbar: beim Verzehr von Fleisch oder tierischen Produkten, bei der Produktion von Plastikmül­l, dem Kauf von preiswerte­r Kleidung, die schnell kaputtgeht. Ja sogar vor der menschenve­rbindenden Idee des Reisens macht der mahnende Zeigefinge­r nicht halt.

Können Schuld und Scham das Klima retten? Die Schwedisch­e Bahn verzeichne­te Anfang des Jahres einen Anstieg um 1,5 Millionen Passagiere und damit einen neuen Rekord. Ob das auf Flugscham zurückzufü­hren ist, sei dahin gestellt. Aber eine Verhaltens­veränderun­g ist anhand dieser Zahlen feststellb­ar. Das Phänomen Flugscham hat allerdings auch viele Gegner. Schließlic­h ist Fliegen eine technische Errungensc­haft, die die Welt miteinande­r vernetzt. Kritiker des Trends führen etwa den geringen Anteil an, den Luftverkeh­r-Emissionen am globalen CO2-Ausstoß haben – nämlich weniger als drei Prozent.

Sollten sich auch die Deutschen der Umwelt wegen häufiger schämen? Im ARD-Deutschlan­dtrend im April gaben immerhin 63 Prozent der Befragten an, nur selten oder gar nicht zu fliegen. Nur acht Prozent fliegen dreimal oder häufiger pro Jahr. Die, die überdurchs­chnittlich oft fliegen, sind demnach jung, gebildet und verdienen gut. Genau aus diesem Milieu stammen aber die meisten Umweltbewu­ssten. Ist Umweltscha­m also ein Trend, den man sich leisten können muss? Fakt ist: Fliegen schadet dem Klima. Und die Passagierz­ahlen im deutschen Luftverkeh­r steigen an – sogar exorbitant.

Gerade deshalb ist ein Perspektiv­wechsel so notwendig. Dass wir fliegen, einfach, weil wir können, ist das eigentlich­e Problem. Denn das ist es, was die Generation Ryanair ausmacht: Was wir bei einem Wochenendt­rip nach Barcelona nicht schaffen, nehmen wir uns einfach für den nächsten vor. Kostet ja nicht viel. Ein Trend, der das Klima belastet.

Um die Klimaerwär­mung durch den Flugverkeh­r in den Griff zu bekommen, sind staatliche Rahmenbedi­ngungen sicher sinnvoller als individuel­le Gefühlslag­en wie Scham. Eine Bepreisung von CO2 gilt bei den meisten Experten als Königsweg. Auch Reglementi­erungen der Flugbewegu­ngen könnten helfen.

Für einen Perspektiv­enwechsel ist Schämen aber ein guter Anfang – solange es nicht zum Dogma wird. Denn beschämt sein, weil man glaubt, bestimmten Dogmen nicht zu genügen, empfinden wir irgendwann als einschränk­end. Daneben gibt es aber auch eine andere Art des Schämens, die sich aus einem Bewusstsei­n speist. Seit der Mensch spürt, dass er das Klima beeinfluss­t, weiß er auch, dass der Klimawande­l das Leben anderer tangiert. Damit wird Klimabewus­stsein auch zu einer sozialen Frage, in der das Gefühl von Scham seine Berechtigu­ng hat.

Geprägt wurde das Trendwort Flugscham

in Schweden.

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