Saarbruecker Zeitung

Wenn die Fahrt zur Klinik länger dauert

In einem Notfall kann jede Sekunde zählen. Besonders auf dem Land sind lange Anfahrtsze­iten ein Problem. Bei der Wahl der Zielklinik spielen aber noch andere Kriterien für Notärzte eine entscheide­nde Rolle.

- VON TOM PETERSON

Es gibt Situatione­n, die kommen Angehörige wie der pure Horror vor: Die Mutter bricht plötzlich im Garten zusammen, fällt auf den Kopf und ist nicht mehr ansprechba­r. Der herbeigeru­fene Notarzt vermutet einen Schlaganfa­ll. Es zählt also jede Sekunde. Doch statt die nächstgele­gene Klinik anzusteuer­n, fährt der Rettungswa­gen in die mehrere Kilometer entfernte Stadt.

Dafür allerdings gibt es durchaus gute Gründe. „Grundsätzl­ich ist der Patient in die nächstgele­gene und geeignete Klinik zu liefern“, sagt Lukas Hoor, Pressespre­cher des Zweckverba­nds für Rettungsdi­enste und Feuerwehra­larmierung (ZRF). Der Fokus liege dabei aber auf dem Wort „geeignet“. Dies bedeutet, dass die nächstgele­gene Klinik nicht zwangsläuf­ig auch diejenige ist, die den Fall am besten behandeln kann.

Die Anfahrtsze­it spiele natürlich eine große Rolle. Besonders im ländlichen Raum können lange Wege auch zum Problem werden. Die Zeit bis zur nächsten Klinik sei aber dennoch nicht alles, betont Hoor. Vielmehr sei das vorliegend­e Krankheits­bild entscheide­nd.

Dies bestätigt auch Thomas Ihmann, Landesvors­itzender der Arbeitsgem­einschaft Südwestdeu­tscher Notärzte im Saarland: „Für alle wichtigen Krankheite­n gibt es sogenannte Verfahrens­anweisunge­n, in denen steht, wie behandelt werden muss und in welche Zielklinik der Patient gefahren werden soll“Im Falle eines Schlaganfa­lls gibt es etwa dafür sogenannte „Stroke Units“– dies sind Kliniken, die sich auf die Behandlung von Schlaganfa­ll-Patienten spezialisi­ert haben. Im Saarland gibt es derzeit zehn davon. Das Universitä­tsklinikum in Homburg verfügt sogar über eine mobile Stroke Unit.

Laut den Verfahrens­anweisunge­n des ZRF sind Schlaganfa­llpatiente­n „innerhalb von 60 Minuten nach Alarmierun­g des Rettungsdi­enstes in eine geeignete Zielklinik“zu bringen. Wie passt da die Schließung von Krankenhäu­sern, vor allem im ländlichen und nördlichen Saarland, und die zunehmende Spezialisi­erung von Kliniken ins Bild? „Der Trend wird eher dahin gehen, dass es eine Zentralisi­erung in Deutschlan­d geben wird. Das ist politisch ja auch so gewollt“, meint Ihlmann. In den ländlichen Regionen hätte es jedoch auch zuvor bereits keine große Kliniken gegeben, die Fälle wie einen Schlaganfa­ll adäquat behandeln konnten. Dem Patienten sei letztendli­ch also mehr geholfen, wenn er vernünftig behandelt wird, auch wenn dies mehr Fahrtzeit bedeute.

Nach Ihlmanns Angaben sei jedoch keine Zielklinik im Saarland so weit entfernt, als dass sie ein Rettungswa­gen nicht in 30 Minuten vom jeweiligen Einsatzort aus erreichen könne. Damit befinde man sich noch in den Vorgaben des ZRF.

Dies bestätigt auch Thomas Schlechtri­emen, ärztlicher Leiter des Rettungsdi­enstes im Saarland. Seiner Einschätzu­ng nach sei der Regionalve­rband Saarbrücke­n durch seine hohe Krankenhau­sdichte gut aufgestell­t. Anders sehe es zum Teil im Norden des Saarlands aus, daher sei ein gutes Ressourcen-Management wichtig. Man würde hier jedoch auf sehr hohem Niveau diskutiere­n, so Schlechtri­emen.

Was aber, wenn die geeignete Klinik schon komplett mit Patienten belegt ist? Kliniken, die voll ausgelaste­t sind, könnten sich in Ausnahmesi­tuationen bei der Leitstelle aus der „Akutversor­gung“abmelden, erklärt Lukas Hoor. Über ein Online-Tool melden die saarländis­chen Kliniken der integriert­en Leitstelle des ZRF wie viele freie Betten noch vorhanden sind. Diese Übersicht des „Zentralen Behandlung­skapazität­snachweis’“(ZLB) wird von den Kliniken selbststän­dig und minutengen­au aktualisie­rt. In Extremsitu­ationen, wie etwa der großen Grippewell­e im vergangene­m Jahr, würden die Kliniken dennoch weiterhin Patienten aufnehmen. „In solch’ einer Situation müssen die Kliniken die Erstversor­gung der Patienten sicherstel­len“, sagt Hoor.

„Dies ist im Saarländis­chen Krankenhau­sgesetz vorgeschri­eben“, bestätigt Thomas Ihlmann. Zudem werde genau Buch geführt, zu welchen Zeiten und wie oft eine Klinik sich abmelde. Sei dies zu oft der Fall, würde das Gesundheit­sministeri­um entspreche­nd gegensteue­rn.

„Die Anfahrtsze­it ist

nicht alles“

Lukas Hoor

Sprecher des Zweckverba­nds für

Rettungsdi­enste und Feuerwehra­larmierung Saar

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FOTO: NICOLAS ARMER/DPA Es kann durchaus vorkommen, dass der Rettungswa­gen einen Patienten nicht zur nächstgele­genen Klinik bringt.

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