Wenn die Fahrt zur Klinik länger dauert
In einem Notfall kann jede Sekunde zählen. Besonders auf dem Land sind lange Anfahrtszeiten ein Problem. Bei der Wahl der Zielklinik spielen aber noch andere Kriterien für Notärzte eine entscheidende Rolle.
Es gibt Situationen, die kommen Angehörige wie der pure Horror vor: Die Mutter bricht plötzlich im Garten zusammen, fällt auf den Kopf und ist nicht mehr ansprechbar. Der herbeigerufene Notarzt vermutet einen Schlaganfall. Es zählt also jede Sekunde. Doch statt die nächstgelegene Klinik anzusteuern, fährt der Rettungswagen in die mehrere Kilometer entfernte Stadt.
Dafür allerdings gibt es durchaus gute Gründe. „Grundsätzlich ist der Patient in die nächstgelegene und geeignete Klinik zu liefern“, sagt Lukas Hoor, Pressesprecher des Zweckverbands für Rettungsdienste und Feuerwehralarmierung (ZRF). Der Fokus liege dabei aber auf dem Wort „geeignet“. Dies bedeutet, dass die nächstgelegene Klinik nicht zwangsläufig auch diejenige ist, die den Fall am besten behandeln kann.
Die Anfahrtszeit spiele natürlich eine große Rolle. Besonders im ländlichen Raum können lange Wege auch zum Problem werden. Die Zeit bis zur nächsten Klinik sei aber dennoch nicht alles, betont Hoor. Vielmehr sei das vorliegende Krankheitsbild entscheidend.
Dies bestätigt auch Thomas Ihmann, Landesvorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Südwestdeutscher Notärzte im Saarland: „Für alle wichtigen Krankheiten gibt es sogenannte Verfahrensanweisungen, in denen steht, wie behandelt werden muss und in welche Zielklinik der Patient gefahren werden soll“Im Falle eines Schlaganfalls gibt es etwa dafür sogenannte „Stroke Units“– dies sind Kliniken, die sich auf die Behandlung von Schlaganfall-Patienten spezialisiert haben. Im Saarland gibt es derzeit zehn davon. Das Universitätsklinikum in Homburg verfügt sogar über eine mobile Stroke Unit.
Laut den Verfahrensanweisungen des ZRF sind Schlaganfallpatienten „innerhalb von 60 Minuten nach Alarmierung des Rettungsdienstes in eine geeignete Zielklinik“zu bringen. Wie passt da die Schließung von Krankenhäusern, vor allem im ländlichen und nördlichen Saarland, und die zunehmende Spezialisierung von Kliniken ins Bild? „Der Trend wird eher dahin gehen, dass es eine Zentralisierung in Deutschland geben wird. Das ist politisch ja auch so gewollt“, meint Ihlmann. In den ländlichen Regionen hätte es jedoch auch zuvor bereits keine große Kliniken gegeben, die Fälle wie einen Schlaganfall adäquat behandeln konnten. Dem Patienten sei letztendlich also mehr geholfen, wenn er vernünftig behandelt wird, auch wenn dies mehr Fahrtzeit bedeute.
Nach Ihlmanns Angaben sei jedoch keine Zielklinik im Saarland so weit entfernt, als dass sie ein Rettungswagen nicht in 30 Minuten vom jeweiligen Einsatzort aus erreichen könne. Damit befinde man sich noch in den Vorgaben des ZRF.
Dies bestätigt auch Thomas Schlechtriemen, ärztlicher Leiter des Rettungsdienstes im Saarland. Seiner Einschätzung nach sei der Regionalverband Saarbrücken durch seine hohe Krankenhausdichte gut aufgestellt. Anders sehe es zum Teil im Norden des Saarlands aus, daher sei ein gutes Ressourcen-Management wichtig. Man würde hier jedoch auf sehr hohem Niveau diskutieren, so Schlechtriemen.
Was aber, wenn die geeignete Klinik schon komplett mit Patienten belegt ist? Kliniken, die voll ausgelastet sind, könnten sich in Ausnahmesituationen bei der Leitstelle aus der „Akutversorgung“abmelden, erklärt Lukas Hoor. Über ein Online-Tool melden die saarländischen Kliniken der integrierten Leitstelle des ZRF wie viele freie Betten noch vorhanden sind. Diese Übersicht des „Zentralen Behandlungskapazitätsnachweis’“(ZLB) wird von den Kliniken selbstständig und minutengenau aktualisiert. In Extremsituationen, wie etwa der großen Grippewelle im vergangenem Jahr, würden die Kliniken dennoch weiterhin Patienten aufnehmen. „In solch’ einer Situation müssen die Kliniken die Erstversorgung der Patienten sicherstellen“, sagt Hoor.
„Dies ist im Saarländischen Krankenhausgesetz vorgeschrieben“, bestätigt Thomas Ihlmann. Zudem werde genau Buch geführt, zu welchen Zeiten und wie oft eine Klinik sich abmelde. Sei dies zu oft der Fall, würde das Gesundheitsministerium entsprechend gegensteuern.
„Die Anfahrtszeit ist
nicht alles“
Lukas Hoor
Sprecher des Zweckverbands für
Rettungsdienste und Feuerwehralarmierung Saar