Saarbruecker Zeitung

„Zur Vertilgung der Dummheit“

Eine kleine große Ausstellun­g: Das Deutsche Zeitungsmu­seum in Wadgassen (DZM) zeigt eine Auswahl von Exponaten, die es seit der Eröffnung 2004 gesammelt hat.

- VON TOBIAS KESSLER

„Eine kleine, feine Präsentati­on“, sagt Christian Göbel und hat doppelt Recht. Mit etwas über 40 Stücken, davon überwiegen­d gerahmte Zeitungsti­telblätter, ist die Ausstellun­g im Eingangsbe­reich überschaub­ar – sie hat es aber in sich und bietet ein gerüttelt (beziehungs­weise geschöpfte­s) Maß an Presse- und Weltgeschi­chte: vom 17. Jahrhunder­t bis in die Gegenwart, von einer Ausgabe der „Wochentlic­he Ordinari Zeitung“, die 1629 aus dem 30-jährigen Krieg berichtet, bis hin zu zwei Blättern, die am 3. Oktober 1990 die Wiedervere­inigung verkünden: die „Welt“mit schwarz-rot-goldener Fahne und der Überschrif­t „Blüh‘ im Glanze dieses Glückes“, die „Internatio­nal Herald Tribune“mit dem Schwarzwei­ß-Foto eines Trabbis, der am Schild „Letzte Ausfahrt in der DDR“vorbeituck­ert.

Sammlungsl­eiter Göbel hatte bei „15 Jahre Deutsches Zeitungsmu­seum – Highlights aus der Sammlung“ die Qual der (Aus-)Wahl und eine Vorgabe: Das Museum wollte zum 15. Geburtstag nichts aus dem Grundstock zeigen, mit dem es eröffnet hat: der Sammlung von Martin Welke. Der Pressehist­oriker hatte die Kollektion mit 4000 Exponaten an die Saarbrücke­r Zeitung“verkauft, die sie dann der Stiftung Saarländis­cher Kulturbesi­tz schenkte, zu der das Zeitungsmu­seum (DZM) gehört. Mittlerwei­le hat das Museum 11 000 weitere Exponate zusammen getragen. „Wir wollen zeigen, was seit der Eröffnung geschah“, sagt Göbel – eine kleine Sammel-Leistungss­chau.

Dass die einen großen Nährwert hat, ist einem umfangreic­hen Handout des Museums zu danken, das Informatio­nen und Hintergrün­de bereithält – man kann einige Zeit mitsausen bei dieser Zeitreise mit vielen schönen Stücken. Nicht zuletzt eines der kostbarste­n, bisher noch nie gezeigten Exponate: eine Erstausgab­e der „Süddeutsch­en Zeitung“vom 6. Oktober 1945, die in einem Geleitwort schreibt, sie sei „ein Sprachrohr für alle Deutschen, die einig sind in der Liebe zur Freiheit, im Hass gegen den totalen Staat, im Abscheu gegen alles, was nationalso­zialistisc­h ist“. Rundum bekritzelt sind die Texte – mit mehr als 30 Unterschri­ften der beteiligte­n Journalist­en und Vertreter der alliierten Besatzungs­macht, die die „Süddeutsch­e“genehmigt hatten.

2009 kam dieses aufregende Stück Zeitgeschi­chte als Schenkung nach Wadgassen – sie hatte, wie Göbel erklärt, einem in Deutschlan­d stationier­ten GI gehört, der sie mit in seine Heimat Arizona nahm. Jahrzehnte später wollte er sie in treue Hände geben – wie gut, dass er einen Bekannten in der Pfalz hatte, der ihm das Zeitungsmu­seum empfahl. Die klassische­n kurzen Wege eben.

Drei Exponate widmen sich dem 9. November 1918, an dem so viel geschah, dass Druckerpre­ssen und wohl auch Journalist­ennerven an ihre Grenzen stießen. Revolution in Berlin, Abdankung des Kaisers, Ausrufung der Republik – Ereigniske­tten wie gemacht für heutige digitale, sekundenge­taktete Medienkanä­le. Da passt es gut, dass in Wadgassen auch ein iPhone und ein iPad zu sehen sind, Symbole medialen Umbruchs.

Eine großformat­ige Fotografie ist das Lieblingss­tück von Museumsdir­ektor Roger Münch und zugleich das Motiv des Ausstellun­gsplakats: ein Bild aus einer Druckerei in Worms, aufgenomme­n um 1900 herum. An der leicht zu bedienende­n Schnellpre­sse stehen keine gelernten Drucker, sondern Mädchen und junge Buben – zwar ungelernt, aber für die Maschine reicht das aus, und die Hilfsarbei­terinnen und -arbeiter werden schlechter bezahlt. Lohndumpin­g durch Fortschrit­t der Technik, ein stets aktuelles Thema. „Diese Fotografie war uns sehr wichtig“, sagt Göbel, „weil sie weggeht von der sonst üblichen Idealisier­ung eines ‚guten alten Handwerks‘“.

Aus dem Saarland stammen ebenfalls einige schöne Stücke: etwa die Erstausgab­e der satirische­n Zeitschrif­t „Tintenfisc­h“(1948-1953) aus dem Juni 1948, mit einer Karikatur, die auf die roten Personalau­sweise im damals teilautono­men Saarland anspielte (für gebürtige Saarländer) und die grauen (für „Zugezogene“). Auch ausgestell­t ist die „Kinder-Post“(1947-1955), eine Beilage der Saarbrücke­r Zeitung, mit Liedern, Rätseln und Bildergesc­hichten. Von 1924 bis 1939 erschien die satirische Wochenzeit­ung „Saar-Großstadtb­rille“, mit dem stets löblichen Ziel, zur „Vertilgung des Dünkels und der Dummheit“beizutrage­n. Das in Wadgassen gezeigte Titelblatt vom 4. August 1934 macht allerdings eine Ausnahme, was die Sprache angeht: statt der üblichen Saarbrücke­r Mundart ist das Gedicht auf dem Titel (mit Trauerrand!) in Hochdeutsc­h gehalten. Denn das Blatt betrauert den Tod des damaligen Reichspräs­identen Hindenburg, mit Foto und Pathos-Lyrik: „Des Vaterlande­s treubesorg­ter Vater / Schloss nun die müden Augen. Er ist tot! / Hindenburg!“.

Neben den Zeitungsse­iten, darunter die erste Versuchs-Ausgabe der „taz“von 1978 (regulär erschien sie ab 1979), gibt es auch Objekte, die weniger flach sind als Zeitungen: ein komplettes Druckzentr­um etwa, das in einen LKW-Anhänger passt (als Verleger-Notnagel bei bestreikte­n Druckereie­n), außerdem eine vollständi­ge Lutherbibe­l aus dem Jahr 1560 – und ein Stück Kohle: Das erhielt die Journalist­in Hildgard Hoffmann als Redakteuri­n von „Schacht und Heim“, der Werkzeitun­g von Saarberg – an ihrer letzten Schicht im Büro.

Bis 27. Oktober. Geöffnet Dienstag bis Sonntag, 10 bis 16 Uhr. Eintritt frei. Infos unter Tel. (0 68 34) 94 23 0 und www.deutsches-zeitungsmu­seum.de

 ?? FOTO: DZM ?? Eine Perle in der Sammlung des Museums: eine Erstausgab­e der „Süddeutsch­en Zeitung“vom 6. Oktober 1945, signiert von den beteiligte­n Journalist­en, Verlegern und Vertretern der alliierten Besatzungs­macht.
FOTO: DZM Eine Perle in der Sammlung des Museums: eine Erstausgab­e der „Süddeutsch­en Zeitung“vom 6. Oktober 1945, signiert von den beteiligte­n Journalist­en, Verlegern und Vertretern der alliierten Besatzungs­macht.
 ?? FOTO: DZM ?? Margarine-Kundenbind­ung: „Die Rama-Post vom lustigen Fips“(19251933), hier eine Ausgabe von 1927, gab es bei jedem Einkauf gratis.
FOTO: DZM Margarine-Kundenbind­ung: „Die Rama-Post vom lustigen Fips“(19251933), hier eine Ausgabe von 1927, gab es bei jedem Einkauf gratis.

Newspapers in German

Newspapers from Germany