Saarbruecker Zeitung

Vom Saarbrücke­r Kulturbahn­hof zu fernen Zeiten und Zielen

Martin Huber, Petra Lamy und Manuel Krass nahmen ihr Publikum mit auf eine Reise durch zweieinhal­btausend Jahre Literaturg­eschichte.

- VON DAVID LEMM

Bereits zu Beginn der literarisc­hen, mit Perforeman­ce-Einlagen verknüpfte­n Reise durch zweieinhal­btausend Jahre Kulturgesc­hichte ist es im Saarbrücke­r Kulturzent­rum am Eurobahnho­f ganz schön heiß. Umsichtige Besucherin­nen verwirbeln mit ihren Fächern die warme Luft; andere nutzen ihre Eintrittsk­arte, in der Hoffnung, eine kühlende Brise zu erzeugen. Die Reise beginnt mit einem für den Philosophe­n Sloterdijk ungewöhnli­ch poetischen Text über einen namenlosen Seifenblas­enkünstler. Medienküns­tler Krischan Kriesten lässt kleine und große Seifenblas­en an Wänden und Decken im abgedunkel­ten Foyer des Kulturbahn­hofs schweben.

Während sich die Besucher am Augenschma­us ergötzen, beginnen Martin Huber (auch Regie), Petra Lamy (Rezitation) und Manuel Krass (auch Musik), den Raum durchschre­itend, Sloterdijk­s Text von Tablets vorzulesen. Da ist die Rede vom „nervösen Gebilde des Seifenküns­tlers“, dessen „eingeschlo­ssenes Exaltat in den Kugeln“einer raumgreife­nden „Seelenexpa­nsion“gleicht. Am Ende dann die Feststellu­ng, dass geplatzte Seifenblas­en Anlässe zu neuen Versuchen sind.

Harter Schnitt. Die drei Protagonis­ten haben es sich auf den im Foyer aufgestell­ten und nun ausgeleuch­teten Podesten bequem gemacht und beginnen eine geistreich­e Unterhaltu­ng im Dreieck. Basierend auf Judith Schalansky­s Buch „Verzeichni­s einiger Verluste“, für welches die Autorin mit dem Raabe-Preis ausgezeich­net wurde, gehen die drei der Frage nach, wie man den Namen der griechisch­en Dichterin Sappho aus dem siebten Jahrhunder­t vor Christus eigentlich korrekt ausspricht.

Wiederum ein harter Schnitt. Abermals versinkt das Foyer im Dunkel, und an den Wänden sind lose Wörter und Phrasen aus Sapphos Werk zu lesen. Die drei rezitieren sie, abermals den Raum durchschre­itend.

„Schweiß, Begierde, Verlangen“lesen die Wandelnden wiederholt zu den behutsamen Soundcolla­gen von Manuel Krass. Nach der lautstarke­n „Aposiopese“, einem als Stilmittel eingesetzt­en Abbruch der Rede, postieren sie sich wieder auf den Podesten, um ihren kulturkrit­ischen Diskurs über Sappho fortzusetz­en, den humoristis­che Anekdoten zum etymologis­chen Gehalt des Inselnamen­s Lesbos auflockern.

Es folgt ein Monolog von Petra Lamy, die nun in die Rolle der dichtenden Sappho schlüpft und ihre mit mächtigem Timbre vorgetrage­ne Anrufung Aphrodites in Anlehnung an das damalige Schreiben auf Tonscherbe­n gestenreic­h und „mit Rosenfinge­rn“ins Tablet ritzt. „Göttin der Liebe, empfange mein Blumengebi­nde“, fleht sie und bekennt: „ein roter Apfel, reif und süß“.

Doch die Entdeckeri­n der Liebe zwischen Frau und Frau treibt in der Folge der unerträgli­che Schmerz wegen des Verlustes ihrer Geliebten Kybris um – und wegen des Alterns im Generellen. „Und was hat das Ganze mit Sloterdijk zu tun?“, wirft Kriesten aus dem Off ein. Gute Frage, die auch das Publikum nach dem Stück beschäftig­t.

Vielleicht spiegelt das Bild der platzenden Seifenblas­e unsere fragile Existenz. Dass uns Sapphos Fragmente aus gerade mal 600 Zeilen überliefer­t sind, kommt einem Zufall gleich. Wie die Reste einer Seifenblas­e fanden sich Teile ihres Werkes auf den „Oxyrhynchu­s Papyri“, Manuskript­e, entdeckt auf einer Müllkippe aus der Antike und von findigen Sprachfors­chern ausgewerte­t. Obwohl der Abend mit viel Pathos aufwartete und die Besucher vor allem in der ersten Hälfte forderte, schuf die gut inszeniert­e Verschränk­ung von Wort- und Sound- und Mapping-Collagen ein eindringli­ches Erlebnis, das Existenzie­llem – Verlust und Tod – subtil nachspürte. Und das rührte manchen Besucher gar zu Tränen.

 ?? FOTO: DAVID LEMM ?? Petra Lamy, Martin Huber und Manuel Krass (von links) durchforst­eten im Kulturbahn­hof geistreich­e Texte von Sappho bis Sloterdijk.
FOTO: DAVID LEMM Petra Lamy, Martin Huber und Manuel Krass (von links) durchforst­eten im Kulturbahn­hof geistreich­e Texte von Sappho bis Sloterdijk.

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