Vom Saarbrücker Kulturbahnhof zu fernen Zeiten und Zielen
Martin Huber, Petra Lamy und Manuel Krass nahmen ihr Publikum mit auf eine Reise durch zweieinhalbtausend Jahre Literaturgeschichte.
Bereits zu Beginn der literarischen, mit Perforemance-Einlagen verknüpften Reise durch zweieinhalbtausend Jahre Kulturgeschichte ist es im Saarbrücker Kulturzentrum am Eurobahnhof ganz schön heiß. Umsichtige Besucherinnen verwirbeln mit ihren Fächern die warme Luft; andere nutzen ihre Eintrittskarte, in der Hoffnung, eine kühlende Brise zu erzeugen. Die Reise beginnt mit einem für den Philosophen Sloterdijk ungewöhnlich poetischen Text über einen namenlosen Seifenblasenkünstler. Medienkünstler Krischan Kriesten lässt kleine und große Seifenblasen an Wänden und Decken im abgedunkelten Foyer des Kulturbahnhofs schweben.
Während sich die Besucher am Augenschmaus ergötzen, beginnen Martin Huber (auch Regie), Petra Lamy (Rezitation) und Manuel Krass (auch Musik), den Raum durchschreitend, Sloterdijks Text von Tablets vorzulesen. Da ist die Rede vom „nervösen Gebilde des Seifenkünstlers“, dessen „eingeschlossenes Exaltat in den Kugeln“einer raumgreifenden „Seelenexpansion“gleicht. Am Ende dann die Feststellung, dass geplatzte Seifenblasen Anlässe zu neuen Versuchen sind.
Harter Schnitt. Die drei Protagonisten haben es sich auf den im Foyer aufgestellten und nun ausgeleuchteten Podesten bequem gemacht und beginnen eine geistreiche Unterhaltung im Dreieck. Basierend auf Judith Schalanskys Buch „Verzeichnis einiger Verluste“, für welches die Autorin mit dem Raabe-Preis ausgezeichnet wurde, gehen die drei der Frage nach, wie man den Namen der griechischen Dichterin Sappho aus dem siebten Jahrhundert vor Christus eigentlich korrekt ausspricht.
Wiederum ein harter Schnitt. Abermals versinkt das Foyer im Dunkel, und an den Wänden sind lose Wörter und Phrasen aus Sapphos Werk zu lesen. Die drei rezitieren sie, abermals den Raum durchschreitend.
„Schweiß, Begierde, Verlangen“lesen die Wandelnden wiederholt zu den behutsamen Soundcollagen von Manuel Krass. Nach der lautstarken „Aposiopese“, einem als Stilmittel eingesetzten Abbruch der Rede, postieren sie sich wieder auf den Podesten, um ihren kulturkritischen Diskurs über Sappho fortzusetzen, den humoristische Anekdoten zum etymologischen Gehalt des Inselnamens Lesbos auflockern.
Es folgt ein Monolog von Petra Lamy, die nun in die Rolle der dichtenden Sappho schlüpft und ihre mit mächtigem Timbre vorgetragene Anrufung Aphrodites in Anlehnung an das damalige Schreiben auf Tonscherben gestenreich und „mit Rosenfingern“ins Tablet ritzt. „Göttin der Liebe, empfange mein Blumengebinde“, fleht sie und bekennt: „ein roter Apfel, reif und süß“.
Doch die Entdeckerin der Liebe zwischen Frau und Frau treibt in der Folge der unerträgliche Schmerz wegen des Verlustes ihrer Geliebten Kybris um – und wegen des Alterns im Generellen. „Und was hat das Ganze mit Sloterdijk zu tun?“, wirft Kriesten aus dem Off ein. Gute Frage, die auch das Publikum nach dem Stück beschäftigt.
Vielleicht spiegelt das Bild der platzenden Seifenblase unsere fragile Existenz. Dass uns Sapphos Fragmente aus gerade mal 600 Zeilen überliefert sind, kommt einem Zufall gleich. Wie die Reste einer Seifenblase fanden sich Teile ihres Werkes auf den „Oxyrhynchus Papyri“, Manuskripte, entdeckt auf einer Müllkippe aus der Antike und von findigen Sprachforschern ausgewertet. Obwohl der Abend mit viel Pathos aufwartete und die Besucher vor allem in der ersten Hälfte forderte, schuf die gut inszenierte Verschränkung von Wort- und Sound- und Mapping-Collagen ein eindringliches Erlebnis, das Existenziellem – Verlust und Tod – subtil nachspürte. Und das rührte manchen Besucher gar zu Tränen.