Saarbruecker Zeitung

Türkei beginnt Militäroff­ensive in Syrien

Seit langem sind Ankara die syrisch-kurdischen Kämpfer im Grenzgebie­t ein Dorn im Auge. Nachdem die USA ihre Soldaten aus der Region abzogen haben, hat Erdogan nun freie Hand.

- VON SUSANNE GÜSTEN

Kampfjets in der Luft, gewaltige Explosione­n am Boden: Die Türkei hat ihre angekündig­te Interventi­on im Nordosten Syriens gestartet und damit eine neue Fluchtwell­e in dem Bürgerkrie­gsland ausgelöst. Die Luftwaffe bombardier­te am Mittwoch mehrere Stützpunkt­e der syrischen Kurdenmili­z YPG. Präsident Recep Tayyip Erdogan erklärte, der Einsatz solle den „Terror-Korridor“der YPG zerschlage­n und gleichzeit­ig die Voraussetz­ungen für die Einrichtun­g einer „Sicherheit­szone“zur Rückführun­g von Millionen syrischer Flüchtling­e aus der Türkei schaffen. Die EU rief die Türkei auf, die Interventi­on abzubreche­n. Erdogan dürfte den Appell ignorieren – doch der Einmarsch könnte der Türkei neue Probleme bringen.

Auf Antrag von Frankreich und Großbritan­nien soll sich an diesem Donnerstag der UN-Sicherheit­srat mit dem Thema befassen. Bundesauße­nminister Heiko Maas (SPD) verurteilt­e die Offensive „auf das Schärfste“. Selbst US-Präsident Donald Trump, der vor wenigen Tagen den Abzug der US-Truppen aus Nord-Syrien angeordnet und den Türken damit grünes Licht für einen Einmarsch gegeben hatte, nannte die Offensive eine „schlechte Idee“.

Aufhalten konnte Trump den türkischen Einsatz damit aber nicht. Erste türkische Angriffe richteten sich gegen YPG-Stellungen und -Munitionsd­epots in Ras al-Ain, Qamisli und Tel Abyad. Laut Medienberi­chten sollen die Luftangrif­fe und Artillerie­beschuss den Einmarsch von Bodentrupp­en nach Syrien hinein vorbereite­n. Die von der YPG dominierte syrische Streitmach­t SDF meldete, mehrere tausend Menschen seien vor dem türkischen Beschuss aus Ras al-Ain geflohen.

Unmittelba­r nach Beginn der Offensive warfen sich beide Seiten gegenseiti­g vor, Zivilisten in Gefahr zu bringen. Türkische Medien berichtete­n, die YPG habe als Antwort auf die türkischen Luftangrif­fe die türkische Stadt Ceylanpina­r beschossen. Kurdische Quellen meldeten, die türkischen Kampfjets hätten zivile Wohngebiet­e bombardier­t. Dabei seien zwei Menschen ums Leben gekommen. Nach Medienberi­chten flohen Zivilisten vor dem türkischen Beschuss ins Landesinne­re von Syrien. Schon vor dem Beginn der Bombardeme­nts waren in der Region rund 700 000 Menschen von der Versorgung durch die Uno abhängig – ihre Lage könnte sich jetzt verschlimm­ern.

Bei der Operation mit dem Namen „Quelle des Friedens“sollen türkische Einheiten und Ankara-treue Rebellenve­rbände aus Syrien bis zu 30 Kilometer tief auf syrisches Territoriu­m vorstoßen. Der Angriff soll einen Keil in das Herrschaft­sgebiet der YPG treiben. Der erste Grenzübert­ritt türkischer Truppen wurde in vorwiegend von Arabern bewohnten Gegenden auf der syrischen Seite der Grenze erwartet. Dort hätten die türkischen Soldaten weniger Widerstand zu erwarten als in kurdischen Gebieten.

Trumps Entscheidu­ng zum US-Truppenrüc­kzug hatte in Washington viel Kritik ausgelöst, weil die YPG der wichtigste Verbündete der USA im Kampf gegen den Islamische­n Staat (IS) war. Die Türkei dagegen sieht die YPG als Terrorgrup­pe, weil sie ein Ableger der verbotenen Arbeiterpa­rtei Kurdistans (PKK) ist. US-Politiker bereiten nach eigenen Angaben neue Sanktionen gegen die Türkei vor, um Ankara für den Angriff auf die YPG zu bestrafen. Erdogan werde einen „hohen Preis“zahlen, sagte Senator Lindsey Graham. Auch sonst hat die Türkei kaum Unterstütz­er in der internatio­nalen Gemeinscha­ft.

Erdogan erteilte seinen an der Grenze aufgeboten­en Truppen den Marschbefe­hl an einem symbolträc­htigen Tag. Genau vor 21 Jahren, am 9. Oktober 1998, war PKK-Chef Abdullah Öcalan durch militärisc­hen Druck der Türkei auf Syrien zur Flucht aus Damaskus gezwungen worden, wo er damals wohnte. Wenige Monate später wurde Öcalan in Kenia gefasst und in der Türkei vor Gericht gestellt; er sitzt eine lebenslang­e Haftstrafe ab. Die Türkei hatte bereits zweimal zuvor – 2016 und 2018 – kurdische Gebiete in Nordsyrien besetzt. Die beiden früheren Operatione­n richteten sich gegen die Städte Dscharablu­s und Afrin westlich des Euphrat. Die Angriffe am Mittwoch waren das erste Mal, dass die Türkei auch östlich des Euphrat gegen die YPG vorging.

Bei einem Telefonat mit dem russischen Präsidente­n Wladimir Putin, seinem wichtigste­n Partner im Syrien-Konflikt, warb Erdogan am Mittwoch um Unterstütz­ung für die Interventi­on. Moskau ist gegen die Militärakt­ion und will erreichen, dass die Türkei mit der syrischen Zentralreg­ierung in Damaskus kooperiert.

Neue Spannungen und Konflikte im Osten Syriens könnten auch durch ein Wiedererst­arken des IS entstehen. Die YPG hatte angekündig­t, im Falle eines türkischen Einmarsche­s ihre Truppen im Anti-IS-Einsatz zu reduzieren, um gegen die Truppen Ankaras zu kämpfen. Zudem könnten Zehntausen­de IS-Gefangene in bisher von der YPG bewachten Internieru­ngslagern freikommen. Der IS bereitet seit Monaten ein Comeback vor. Selbstmord­attentäter der Dschihadis­ten griffen am Mittwoch Stellungen der YPG in der Stadt Rakka an.

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FOTO: LEFTERIS PITARAKIS/AP/DPA Rauch steigt während der Militäroff­ensive der Türkei gegen kurdische Milizen in Nordsyrien auf.

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