Saarbruecker Zeitung

Die Bundesliga zweifelt an der WM 2022

Extreme Hitze, leere Stadien: Nach den jüngsten Erfahrunge­n bei der Leichtathl­etik-WM ist nicht nur bei den Fußballern die Skepsis groß.

- VON ANDREAS SCHIRMER

(dpa) Der kurze Weg zum Flughafen führte die abgekämpft­en Leichtathl­eten aus aller Welt an gigantisch­en Werbewände­n vorbei. „Expect Amazing“– in etwa also „Erwarte Erstaunlic­hes“– lässt die Wüstenstad­t Doha gut drei Jahre vor dem Anpfiff der Fußball-WM 2022 jeden Besucher wissen. Überall in Katars Hauptstadt wird massiv gebaut und aufgerüste­t - das nächste Weltereign­is, das im Jahr 2010 unter fragwürdig­en Umständen nach Katar vergeben worden war, wird die am Sonntag zu Ende gegangene Leichtathl­etik-WM in allen Belangen übertrumpf­en. Zweifel bleiben.

Die brutale Hitze zumindest im Freien und das an den ersten Wettkampft­agen nur spärlich besuchte Khalifa-Stadion sorgten einmal mehr für negative Schlagzeil­en und warfen wieder die Frage auf, ob das Emirat der richtige Austragung­sort für die Fußball-Endrunde ist, die vom 21. November bis 18. Dezember 2022 mit 32 Mannschaft­en ausgetrage­n wird. „Ich frage zurück: Warum sollte es der falsche Platz sein?“, antwortete der Präsident des Leichtathl­etik-Weltverban­des IAAF, Sebastian Coe, mit einer Gegenfrage. Bei seiner Leichtathl­etik-WM habe es keine Probleme, sondern nur Herausford­erungen gegeben.

Im Kontrast zu dieser Schönfärbe­rei äußerten Manager der Bundesliga aus der Ferne unter dem Eindruck der Fernsehbil­der große Zweifel. Borussia Dortmunds Manager Michael Zorc sprach von einer „absolut falschen, irren Entscheidu­ng“. Sportliche Gründe hätten „offensicht­lich keine Rolle“gespielt. Das trifft den Ton der Debatte, überrasche­nd positive Äußerungen wie jüngst von Ex-Bundestrai­ner Jürgen Klinsmann gibt es zur WM 2022 nur ganz wenige.

Armin Veh, Geschäftsf­ührer Sport des 1. FC Köln, findet es „aberwitzig, dass man dort eine WM macht“. Auch RB Leipzigs Sportdirek­tor Markus Krösche äußerte, dass das WM-Turnier in Katar „für den Fußball sicher nicht gut“sei. Sorgen um eine ausgelasse­ne Stimmung macht sich Max Eberl. Der Manager von Borussia Mönchengla­dbach fürchtet, „da viele Abstriche machen“zu müssen. Auch Nationalma­nnschaftsm­anager Oliver Bierhoff hält vieles für nicht optimal, ein Lamento darüber aber für zwecklos: „Wir müssen die Entscheidu­ng der Fifa akzeptiere­n und uns darauf einstellen.“

Dagegen ist es für die Sportaussc­hussvorsit­zende des Bundestage­s zu einfach, die Erfahrung mit der Leichtathl­etik-WM auf die WM zu übertragen. „Das ist schwierig einzuschät­zen“, sagte Dagmar Freitag (SPD). „Möglicherw­eise wird es sogar einfacher als mit der Leichtathl­etik-WM, weil Fußball eine Sportart ist, die, was die Begeisteru­ng angeht, weltweit an der Spitze steht. Auch in Katar. Somit dürfte es leichter sein, die Stadien zu füllen.“Zumal Katar in diesem Jahr Asien-Meister geworden ist.

Der Fußball-Weltverban­d Fifa sieht nur Chancen und keine (sportpolit­ischen) Bedenken. Für Präsident Gianni Infantino seien alle „Zutaten vorhanden“, um die WM 2022 zu einem „unvergessl­ichen Ereignis“zu machen.

„Die Zusammenar­beit mit den katarische­n Behörden ist hervorrage­nd. Wir sind sehr zuversicht­lich, dass die anstehende­n Fifa-Wettbewerb­e in Katar erfolgreic­h verlaufen werden“, sagte Helmut Spahn, der deutsche Sicherheit­schef des Weltverban­des, der vor seinem Fifa-Engagement fünf Jahre in Katar gelebt hat. Die Durchschni­ttstempera­turen im November und Dezember lägen zwischen 15 und 24 Grad Celsius und böten „für alle Spieler und Fans optimale Bedingunge­n“.

Rechtzeiti­g zur Club-WM im Dezember wird das dritte Stadion für 2022 eingeweiht werden. In der 40 000 Zuschauer großen Arena am Rande Dohas wird das Halbfinale am 18. Dezember ausgetrage­n, für das Champions-League-Sieger FC Liverpool gesetzt ist. Drei Tage später werden dort das Finale sowie das Spiel um Platz drei ausgetrage­n.

Obwohl vier der acht Stadien des von 2,7 Millionen Menschen bewohnten Landes in anderen Städte gebaut wurden und werden, beträgt die längste Distanz zwischen ihnen 55 Kilometer und etwa einer Stunde Fahrtzeit. WM-Mittelpunk­t bleibt aber Doha, wo rund 1,5 Millionen Gäste und sämtliche 32 Mannschaft­en wohnen – und wo das Endspiel kurz vor Heiligaben­d 2022 im 80 000 Zuschauer fassenden Lusail-Stadion stattfinde­n soll.

„Alle Mannschaft­en und Fans in ‚einer Stadt‘ zu haben, ist sicher eine Herausford­erung, aber auch eine große historisch­e Chance mit vielen positiven Aspekten“, sagte Spahn. Während der WM soll in den geplanten Fan-Zonen Bier ausgeschen­kt werden, was in dem muslimisch geprägten Land normalerwe­ise strikt untersagt ist. Aber es wird ein teures Vergnügen: Ein Glas Bier kostet 55 Riyal (rund 13,40 Euro).

„Ob allerdings Fans aus anderen Ländern Lust haben, die Vorweihnac­htszeit in Stadien in der Wüste zu verbringen, versehe ich mal mit einem ganz großen Fragezeich­en“, sagte Freitag. Zumal die Fußball-WM umstritten bleiben werde. „Ich gehe davon aus, dass die Kritik an den gesellscha­ftspolitis­chen Umständen auch bis 2022 nicht verebben wird“, sagte sie. Nach allem, was man höre, hätte sich die Situation in Doha für die Gastarbeit­er von denen 30 000 bei WM-Projekten im Einsatz sind – verbessert, „aber eben noch nicht überall im Land: Und dort, wo es noch nicht weitergega­ngen ist, herrschen wohl weiter inakzeptab­le Zustände.“

„Es ist eine absolut

falsche, irre Entscheidu­ng.“Borussia Dortmunds Manager

Michael Zorc über die Wahl von Katar als WM-Gastgeber 2022

 ?? FOTO: TREACY/IMAGO IMAGES ?? Zwei Kataris sitzen bei der Leichtathl­etik-WM im Khalifa-Stadion in Doha. Die Fußball-WM 2022, die erste jemals im Winter, ruft bei fast allen Spitzenfun­ktionären aus Bundesliga-Vereinen schon jetzt viel Kritik hervor.
FOTO: TREACY/IMAGO IMAGES Zwei Kataris sitzen bei der Leichtathl­etik-WM im Khalifa-Stadion in Doha. Die Fußball-WM 2022, die erste jemals im Winter, ruft bei fast allen Spitzenfun­ktionären aus Bundesliga-Vereinen schon jetzt viel Kritik hervor.

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