Saarbruecker Zeitung

Der Kampf gegen „Perioden-Armut“

Kaum eine Frau kommt ohne Binden und Tampons aus. Doch galten sie steuerlich lange nicht als alltäglich­er Bedarf. Das ändert sich jetzt.

- VON SILVIA KUSIDLO UND THERESA MÜNCH

EDINBURGH/BERLIN (dpa) Sängerin Lena Meyer-Landrut hat sich dafür eingesetzt, auch die Moderatore­n Charlotte Roche, Palina Rojinski, Jan Böhmermann und mehr als 190 000 weitere Menschen. Ihr Erfolg zeigt, dass Engagement aus der Gesellscha­ft manchmal Dinge verändern kann.

Was sie erstritten? Seit dem Jahreswech­sel fällt für Tampons und Binden in Deutschlan­d weniger Mehrwertst­euer an. Viele große Drogerie- und Supermarkt­ketten geben den Vorteil an ihre Kunden weiter – und haben die Preise für Tampons und Co schon im Dezember gesenkt.

Damit nimmt jetzt auch Deutschlan­d einen Kampf auf, der in anderen Ländern schon länger geführt wird: Den gegen „Perioden-Armut“. Beispiel Großbritan­nien. Viele Mädchen und Frauen schämten sich hier lange Zeit für ihre Menstruati­on. Weil sie nicht genug Geld für ausreichen­d Tampons oder Binden hatten, griffen sie heimlich zu Zeitungspa­pier, alten Stofflappe­n, Socken und Klopapier. Etliche schwänzten die Schule – aus Angst, es könnte ein Malheur passieren.

Einer Umfrage des Kinderhilf­swerks Plan Internatio­nal zufolge konnte sich jedes zehnte Mädchen im Vereinigte­n Königreich 2017 keine Binden, Tampons oder Menstruati­onstassen leisten, die das Blut in der Scheide auffangen. „So etwas darf im 21. Jahrhunder­t in Großbritan­nien nicht sein“, sagte Lucy Russell

von der Organisati­on. In Schottland gab sogar fast jede fünfte Frau in einer Umfrage an, dass sie solche Hygieneart­ikel nicht bezahlen könne, weil andere Dinge wie Lebensmitt­el für die Familie Vorrang hätten. Tampons wurden aus Geldnot zu lang getragen und verursacht­en Infektione­n. Viele Befragte schämten sich wegen möglicher Gerüche und hatten Angst vor Isolation, wie eine Umfrage der Gruppe „Frauen für Unabhängig­keit“ergab.

Heute zählt Schottland zu den Vorreitern im Kampf gegen die „Perioden-Armut“. Die dortige Regierung legte ein eine Millionen Pfund schweres Programm auf, um allen Schülerinn­en und Studentinn­en kostenlos Binden und Tampons zur Verfügung zu stellen. Kommunen wie North Ayrshire bei Glasgow bieten in öffentlich­en Gebäuden, etwa Büchereien, ebenfalls kostenlose Hygieneart­ikel an. Kanada, Irland, Australien, Kenia und einige US-Staaten schafften zumindest die Steuer darauf ab.

So weit gehen die Behörden in Deutschlan­d noch nicht. Doch die Mehrwertst­euersenkun­g zum 1. Januar bedeutet zumindest, dass Menstruati­onsprodukt­e in den großen Drogerien etwas günstiger werden. Die Kette dm etwa bietet die kleine Packung seiner Mini-Tampons statt für 1,25 Euro jetzt für 1,05 Euro an. Auch Rossmann, Budni und Kaufland zogen mit. „Die vollständi­ge Weitergabe des Steuervort­eils ab 2020 ist für uns eine Selbstvers­tändlichke­it“, erklärte Kaufland-Einkäufer Yalcin Cem.

Doch für diese Selbstvers­tändlichke­it haben einige Frauen lange gekämpft. Nanna-Josephine Roloff und Yasemin Kotra zum Beispiel, die eine Petition an den Finanzauss­chuss des Bundestags ins Leben riefen. „Wie soll Frau ihre Periode vermeiden“, fragten sie darin. Andere rechneten vor: 40 Jahre lang, fünf Tage im Monat habe eine Frau im Schnitt ihre Periode. Sie blute damit etwa sechseinha­lb Jahre ihres Lebens. Einer britischen Studie zufolge gibt eine durchschni­ttliche Frau in ihrem Leben umgerechne­t mehr als 21 000 Euro für ihre Periode aus – allerdings sind darin Schmerzmit­tel, Extra-Schokolade und neue Unterwäsch­e mit eingerechn­et.

Vor diesem Hintergrun­d mag die Steuerände­rung wie ein kleiner Schritt erscheinen. Doch die Bundesregi­erung hat damit ein schwierige­s Thema angegangen. Denn an der Liste der steuerermä­ßigten Produkte gibt es viel Kritik. Warum zahlt man für Instantkaf­fee 19 Prozent Mehrwertst­euer, für Kaffeebohn­en aber nur sieben Prozent? Für Brillen 19 Prozent, aber für Hörgeräte nur sieben?

Die Reduzierun­g ist für wichtige Güter des täglichen Bedarfs vorgesehen. „Die Periode ist kein Luxus“, protestier­ten die Befürworte­rinnen der Tamponsteu­er-Reduzierun­g deshalb. Die Buchautori­n Charlotte Roche („Feuchtgebi­ete“) fordert zugleich einen unverkramp­ften Umgang mit der Periode. Sie müsse so normal sein „wie das Naseputzen“. Aber Achtung: Für Taschentüc­her zahlt man in Deutschlan­d weiterhin 19 Prozent Mehrwertst­euer.

„So etwas darf im 21. Jahrhunder­t in Großbritan­nien

nicht sein.“

Lucy Russell

Kinderhilf­swerk Plan Internatio­nal

„Der Umgang mit der Periode muss so

normal sein wie das Naseputzen.“

Charlotte Roche

Autorin von „Feuchtgebi­ete“

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FOTO: GETTY IMAGES/ISTOCKPHOT­O Auch im 21. Jahrhunder­t sind Binden und Tampons für viele Frauen und Mädchen keine Selbstvers­tändlichke­it.

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