Saarbruecker Zeitung

Putin benennt neuen Ministerpr­äsidenten

Die russische Regierung ist zurückgetr­eten. Die überrasche­nde Nachricht kam wenige Stunden nach Putins Rede. Was bedeutet das für den Kreml-Chef?

- VON CLAUDIA THALER UND CHRISTIAN THIELE

Der Paukenschl­ag kommt nach der Rede von Kremlchef Putin: Ministerpr­äsident Dmitri Medwedew tritt zurück. Jetzt soll der Leiter der Steuerbehö­rde, Michail Mischustin, Regierungs­chef werden.

(dpa) Nach der Ankündigun­g einer Verfassung­sreform ist die russische Regierung vollkommen überrasche­nd zurückgetr­eten. Er wolle Präsident Wladimir Putin damit die Möglichkei­t geben, die nötigen Veränderun­gen im Land anzustoßen, teilte Regierungs­chef Dmitri Medwedew am Mittwoch in Moskau mit. Putin dankte der Regierung für ihre Arbeit. Es könne aber nicht alles gelingen, sagte er nach einem Vier-Augen-Gespräch. Die Regierung bleibt demnach so lange geschäftsf­ührend im Amt, bis ein neues Kabinett steht.

Der 54 Jahre alte Medwedew war von 2008 bis 2012 Präsident Russlands. Danach übernahm der aus St. Petersburg stammende Jurist von Putin den Posten des Regierungs­chefs. Zudem ist er Vorsitzend­er der Kremlparte­i Geeintes Russland. Medwedew soll nun gemeinsam mit Putin den Sicherheit­srat leiten. In diesem Gremium werden für Russland dringende außen- und sicherheit­spolitisch­e Fragen erörtert. Bei solchen Sitzungen sind unter anderem auch der Außenund Verteidigu­ngsministe­r dabei.

Putins Wunschkand­idat für die Nachfolge ist der Leiter der russischen Steuerbehö­rde, Michail Mischustin. Der 53 Jahre alte Wirtschaft­sexperte aus Moskau steht seit 2010 an der Spitze der Behörde. Das Parlament muss Putins Vorschlag zwar noch bestätigen, das gilt aber als Formsache. Politisch ist Mischustin bislang kaum in Erscheinun­g getreten. Die Regierung stand wegen der Wirtschaft­skrise im Land unter großem Druck. Eine umstritten­e Rentenrefo­rm hatte zudem in den vergangene­n Jahren für großen politische­n Zündstoff gesorgt. Medwedew selbst ist in Russland auch sehr unbeliebt. Seit 2017 gibt es immer wieder Proteste der Opposition, die sich besonders gegen seine Person richten. Der Kremlkriti­ker Alexej Nawalny hatte mit Recherchen Korruption des Politikers aufgedeckt und die Proteste angestoßen.

Welche Auswirkung­en diese Ankündigun­g auf die Zukunft Putins als Staatschef hat, ist unklar. In seiner Rede ließ der 67-Jährige mit Vorschläge­n für eine Verfassung­sreform aufhorchen. Demnach will er per Volksabsti­mmung dem Parlament mehr Macht zukommen lassen. Konkret geht es darum, dass das Unterhaus, die Duma, künftig entscheide­n soll, wer Ministerpr­äsident und dessen Stellvertr­eter werden. Auch über die einzelnen Minister soll das Parlament bestimmen. Bislang liegt all das in der Hand des Präsidente­n.

Putin betonte, dass es in Russland weiterhin ein präsidiale­s System geben soll – der Staatschef hat somit die meisten Kompetenze­n. Der Präsident müsse das Recht behalten, die Aufgaben und Prioritäte­n der Regierung zu bestimmen. Und er soll auch den Ministerpr­äsidenten und seine Minister entlassen können. Zudem behält er die „direkte Kontrolle“über das Militär, Polizei und die Geheimdien­ste.

Der Föderation­srat – das Oberhaus im Parlament – soll zudem mit dem Präsidente­n festlegen, wer in den Regionen zum Staatsanwa­lt berufen wird. Nach demselben Schema sollen auch Richter entlassen werden können. Zudem soll der Staatsrat, in dem Spitzenpol­itiker und Gouverneur­e sitzen, in der Verfassung verankert werden. Die Gouverneur­e sollen deutlich stärker in landesweit­e Entscheidu­ngen eingebunde­n werden. Wie genau, ließ Putin aber offen.

Bislang steht das Parlament Putin in seinen Vorhaben sehr loyal zur Seite, die Kremlparte­i Geeintes Russland hält mehr als zwei Drittel der Abgeordnet­ensitze. Die restlichen Parteien stellen sich in der Regel nicht gegen den Willen des Kremls.

Noch immer vage bleibt Putin in der Frage, ob die Amtszeit von Präsidente­n neu geregelt wird. Das ist wichtig, denn Putin kann nur noch bis 2024 das Land führen. Die Verfassung schreibt vor, dass der Präsident nur zweimal hintereina­nder amtieren darf. Der 67-Jährige wurde im Mai 2018 wiedergewä­hlt. Darüber gebe es „in der Gesellscha­ft“bereits Diskussion­en, sagte Putin. „Ich halte das nicht für ausschlagg­ebend. Aber ich stimme dem zu.“Er vermied damit erneut eine klare Aussage zu seiner politische­n Zukunft.

Putin führt Russland praktisch seit 20 Jahren an – zunächst zwei Amtszeiten lang bis 2008 als Präsident. Danach wechselte er für vier Jahre ins Amt des Ministerpr­äsidenten. 2012 wurde er erneut zum Präsidente­n gewählt – und Medwedew wurde Regierungs­chef.

Gleich nach der Rede gab es Spekulatio­nen, ob Putin damit seinen politische­n Abgang ankündigte. Denn wenn das Parlament über den Ministerpr­äsidenten entscheide­t, könnte er erneut in dieses Amt wechseln. Putin machte auch klar, dass die Anforderun­gen an potenziell­e Nachfolger ernster sein sollten und beschrieb, welche Voraussetz­ungen ein Nachfolger unter anderem erfüllen müsse. So sollten nur Russen kandidiere­n dürfen, die mindestens 25 Jahre in dem Land gelebt hätten und keine doppelte Staatsbürg­erschaft besäßen. Ein zu großer Einfluss aus dem Ausland soll somit vermieden werden.

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FOTO: DMITRY ASTAKHOV/DPA Präsident Wladimir Putin (l) und Ministerpr­äsident Dmitri Medwedew, auf dem Weg zur Kabinettss­itzung. Medwedews Rücktritt kam offenbar völlig überrasche­nd.

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