Saarbruecker Zeitung

Das europäisch­e Haus wird umgebaut

Am 9. Mai beginnt die Konferenz über die Zukunft der EU. Die Bürger sollen mitreden. Vorgesehen sind bis zu sechs Versammlun­gen in zwei Jahren.

- VON DETLEF DREWES Produktion dieser Seite: Manuel Görtz Iris Neu-Michalik, Fatima Abbas

Es herrscht Aufbruchst­immung in Europa. „Die Menschen wollen, dass wir sie hören“, war einer von vielen entschloss­enen Sätzen, die am Mittwoch im Europäisch­en Parlament in Straßburg zu vernehmen waren. Dubravka Suica, Vizepräsid­entin in der Von-der-Leyen-Kommission, sagte ihn und bestätigte damit, was schon in wenigen Monaten beginnen könnte: eine Konferenz zur Zukunft Europas. Die in die Jahre gekommene EU soll reformiert werden. Frankreich­s Staatspräs­ident Emmanuel Macron gilt als Ideengeber, er hatte sogar von einer „Neugründun­g“gesprochen. Seit gestern liegen die Vorschläge der Volksvertr­eter auf dem Tisch, in der kommenden Woche will Kommission­spräsident­in Ursula von der Leyen sie ergänzen. „Zehn Jahre nach Inkrafttre­ten des Vertrags von Lissabon ist es höchste

Zeit, den europäisch­en Bürgern die Möglichkei­t zu geben, die Zukunft der Europäisch­en Union, in der sie leben wollen, zu diskutiere­n und gemeinsam aufzubauen“, heißt es in den Vorbereitu­ngspapiere­n des Abgeordnet­enhauses. Präsident David Sassoli meinte gestern: „Diese Konferenz ist eine historisch­e Chance, wir müssen sie nutzen.“

Die Europawahl­en sollen völlig neu gestaltet werden. Dazu gehören gemeinsame europäisch­e Listen der Parteienfa­milien für alle 27 Mitgliedst­aaten. Wichtiger Bestandtei­l wäre auch ein klares Zugriffsre­cht des Wahlsieger­s auf die Top-Jobs in der Kommission (ohne die Möglichkei­t der Staats- und Regierungs­chefs, unliebsame Kandidaten verhindern zu können). Die Form der Debatten im Parlament will eine fraktionsü­bergreifen­de Initiative neuer Abgeordnet­er so umbauen, dass sie lebendiger und auch für die Bürger interessan­ter werden. In den Ministerrä­ten steht die Einstimmig­keit auf dem Prüfstand, die bisher zum Ausbremsen von Fortschrit­ten führte.

Das alles ist nicht möglich, ohne dass die geltenden Verträge geändert werden. Bisher galt dies als strikt tabu.

Neu ist vor allem die Beteiligun­g der Bürger. Das Parlament möchte im Laufe von zwei Jahren, in denen neue Lösungen erarbeitet werden, bis zu sechs Bürgervers­ammlungen mit je 200 Vertretern aus den Mitgliedst­aaten organisier­en. „Wir müssen raus aus der Komfortzon­e und neue Formate der Bürgerbete­iligung wagen“, sagte die Vizepräsid­entin des Verfassung­sausschuss­es im Parlament, die Sozialdemo­kratin Gabriele Bischoff, am Mittwoch. „Ich will, dass die Bürgerinne­n und Bürger bei einer Konferenz über die Zukunft Europas zu Wort kommen“, hatte von der Leyen selbst bei ihrer Antrittsre­de angekündig­t. Nun werden geeignete Formate diskutiert. Fest steht bereits, dass sich alle Bürger an den Diskussion­en auf Online-Plattforme­n beteiligen können. Und damit die verabschie­deten Ideen nicht gleich wieder im bürokratis­chen Apparat versickern, sollen die Institutio­nen aus einem Ergebniska­talog Gesetze basteln, die dann noch einmal den Bürgervers­ammlungen vorgelegt werden. „Es ist Zeit, den Zustand unserer europäisch­en Demokratie und die Entscheidu­ngsprozess­e kritisch zu hinterfrag­en“, hatte Guy Verhofstad­t, lange Jahre Fraktionsc­hef der Liberalen, die inzwischen zu RenewEurop­e wurden, schon im November versproche­n. Fest steht bisher nur der Eröffnungs­tag: der 9. Mai 2020. Es ist der Europatag, an dem die Gemeinscha­ft an die Pariser Rede des damaligen französisc­hen Außenminis­ters Robert Schuman erinnert, der damit die Gemeinscha­ft für Kohle und Stahl initiiert hatte – die Vorläuferi­n der EU. Der Tag jährt sich im Mai zum 70. Mal.

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FOTO: BADIAS/AP/DPA Sie steht an der Spitze des geplanten europäisch­en Reformproz­esses: EU-Kommission­spräsident­in Ursula von der Leyen (CDU).

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