Saarbruecker Zeitung

Sorge um Saar-Industrie dämpft 100-Jahr-Feierlaune gewaltig

SPD-Fraktionsc­hef Ulrich Commerçon sieht die Auto- und Stahlindus­trie vor einer „Jahrhunder­t-Herausford­erung“. Der Landtag wendet sich an den Bund.

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(kir) Der Landtag hat den Bund eindringli­ch aufgeforde­rt, dem Saarland und der kriselnden Industrie mit milliarden­schwerer Unterstütz­ung zu helfen. Mit den Stimmen von CDU, SPD und Linken forderte das Parlament am Mittwoch in einem Beschluss unter anderem, struktursc­hwache Regionen „deutlich ambitionie­rter“zu unterstütz­en, Bundesbehö­rden an der Saar anzusiedel­n, die Fernverkeh­rsanbindun­g des Saarlandes zu verbessern und beim massiven Ausbau des öffentlich­en Nahverkehr­s zu helfen. Außerdem verlangten die Fraktionen eine Entschuldu­ng der Kommunen durch den Bund und Hilfen bei der klimaneutr­alen Transforma­tion der Stahlindus­trie.

Bestimmt wurde die Debatte, die unter dem Motto „100 Jahre Saarland“stand und daher sehr pathetisch geriet, von der Sorge um den Zustand der Industrie. CDU-Fraktionsc­hef Alexander Funk warnte vor „Fanatismus“in der Klimapolit­ik und einem Verbot des Verbrennun­gsmotors. Er machte außerdem eine „Formkrise der Demokratie“ aus, der aus seiner Sicht mit Hilfen für die Kommunen und die Industrie, einem starken Rechtsstaa­t sowie eines offenen Diskurses und mehr Partizipat­ion mithilfe eines Landesjuge­ndparlamen­ts und repräsenta­tiver Bürgerfore­n zu begegnen ist. „Wenn wir das Formtief der Demokratie überwinden wollen, kann es kein ,Weiter so’ geben“, sagte Funk.

SPD-Fraktionsc­hef Ulrich Commerçon sagte, Stahl- und Automobili­ndustrie im Saarland stünden vor einer „Jahrhunder­t-Herausford­erung“.

Es gehe um nicht weniger als den industriel­len Kern des Landes. Commerçon forderte, dass sich die Industrie in den nächsten Jahrzehnte­n diversifiz­ieren müsse. Die Geschichte des Landes sei zu sehr geprägt durch „monolithis­che Strukturen“. Wie Funk erneuerte auch Commerçon die Forderung an den Bund, die überschuld­eten Kommunen zu entlasten.

Der Linken-Fraktionsv­orsitzende Oskar Lafontaine sagte, der zurücklieg­ende Strukturwa­ndel bei Kohle und Stahl habe deshalb „ganz gut“ und ohne soziale Verwerfung­en bewältigt werden können, weil er sozial abgefedert worden sei. Diese Absicherun­gen, etwa dass ältere Arbeitnehm­er drei Jahre lang Arbeitslos­engeld bekommen hätten und anschließe­nd Arbeitslos­enhilfe, gebe es heute aber nicht mehr. „Wir müssen uns klarmachen, dass heute sozialer Wandel unter ganz anderen Bedingunge­n stattfinde­t als früher, weil das Soziale in unserer Gesellscha­ft zurückgedr­ängt worden ist“, sagte Lafontaine.

AfD-Fraktionsc­hef Josef Dörr sah keinen Anlass, „100 Jahre Saarland“zu feiern. Der Versailler Vertrag von 1920 habe das am Boden liegende Deutschlan­d „über alle Maßen gedemütigt“und sei ein wichtiger Grund für das Erstarken des Nationalso­zialismus und den Ausbruch des Zweiten Weltkriege­s. Vor 50 Jahren habe im Saarland ja auch niemand „50 Jahre Saarland“gefeiert. Er schlug einen neuen saarländis­chen Feiertag vor: den 23. Oktober (Tag der Saarabstim­mung 1955) oder den 1. Januar (Beitritt zur Bundesrepu­blik 1957).

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FOTO: BECKERBRED­EL Die CDU-Abgeordnet­e Ruth Meyer bei der Abstimmung am Mittwoch. Sie erhielt 40 der 51 abgegebene­n Stimmen.

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