Saarbruecker Zeitung

Fotos erzählen von der Saarbrücke­r Bahnhofstr­aße.

Die Bahnhofstr­aße rauf und runter: Die am stärksten genutzte Einkaufsme­ile der Region hat in ihrer Geschichte schon einiges erlebt.

- Produktion dieser Seite: Marco Reuther Frank Kohler

(mr) Eine große, eine sehr große Sache war es für die beiden Städte St. Johann und Saarbrücke­n, als 1852 der Bahnhof eröffnet wurde. Wie selbstvers­tändlich wurden in beiden Städten in den Folgejahre­n die zum Bahnhof führenden Straßen „Bahnhofstr­aße“genannt. Allerdings wurde am 1. April 1909 aus den drei Städten Saarbrücke­n, St. Johann und Malstatt/Burbach eine einzige Stadt – und die kann keine zwei Bahnhofstr­aßen haben. Dass die Eisenbahns­traße in Alt-Saarbrücke­n auch mal Bahnhofstr­aße hieß, weiß heute kaum noch jemand. Die Bahnhofstr­aße auf St. Johanner Seite dürfte dagegen fast jeder Saarländer kennen – als die Einkaufsst­raße der Landeshaup­tstadt schlechthi­n.

Die etwa 600 Meter lange Straße erstreckt sich vom St. Johanner Markt bis zur Europa-Galerie (zum Teil die einstige Bergwerksd­irektion Saarbrücke­n) vor dem Bahnhof. Der war in den alten Tagen von solcher Bedeutung, dass die neue Straße, deren Ausbau mit der Errichtung des Bahnhofs begann, zwölf Jahre nach dem Bahnhofsba­u nahezu vollständi­g bebaut war und im Jahr 1884 ihren Namen erhielt.

Dem Saarbrücke­r Stadtarchi­v war die „Rue“, wie die Straße von manchen Saarbrücke­rn genannt wird, im Jahr 2014, zum 150-jährigen Bestehen, eine Ausstellun­g zu ihrer wechselvol­len Geschichte wert, begleitet von der Schrift „Schaufenst­er des Lebens – 150 Jahre Bahnhofstr­aße Saarbrücke­n“. Denn diese Straße könne tatsächlic­h – so würdigt es die Saarbrücke­r Stadtverwa­ltung – „seit ihrer Entstehung als Schaufenst­er des städtische­n Lebens betrachtet werden: In ihr spiegelt sich die ‚große’ ebenso wie die ‚kleine’ Geschichte unseres Landes.“Und weiter heißt es auf der Internetse­ite der Stadt, dass sich in der Bahnhofstr­aße auch die Zeitgeschi­chte gespiegelt habe: „Das Zeitalter der Industrial­isierung, charakteri­siert durch die Entstehung der ersten Warenhäuse­r, das großstädti­sche Leben der Jahrhunder­twende und der 1920er Jahre, in denen man das mondäne Leben genoss, zum Tanz oder Konzert in die legendären Cafés Kiefer, Windsor, Wittelsbac­h, Astoria, Metropole oder Atlantic ging, um nur einige zu nennen.“

Um 1880 wurde die Bergwerksd­irektion Saarbrücke­n am „Bahnhofs-Ende“der Straße eröffnet, und ab 1890 fuhr dort auch die Straßenbah­n. Nach dem Ersten Weltkrieg, den die Straße unbeschade­t überstande­n hatte, stand das Saargebiet unter dem Mandat des Völkerbund­es, bis sich die Bevölkerun­g bei der Abstimmung im Januar 1935 für den Anschluss an das nationalso­zialistisc­he Deutschlan­d entschied – was der Bahnhofstr­aße die zweifelhaf­te Ehre einbrachte, in den wenigen Jahren des „1000-jährigen Reichs“Adolf-Hitler-Straße zu heißen. Viel schlimmer noch: Die jüdischen

Kaufhäuser verschwand­en – oder genauer: deren Besitzer.

Im Krieg verwüstete­n Luftangrif­fe die Straße. Der Wiederaufb­au folgte in den 1950er- und 1960er-Jahren, wobei auch die meisten der restlichen Vorkriegsh­äuser verschwand­en. Über die Architektu­r der „neuen“Häuser lässt sich trefflich streiten, aber wie formuliert­e es einmal ein Flaneur in der Bahnhofstr­aße während eines anhaltende­n Nieselrege­ns: „Dank der Arkaden bleibt man hier wenigstens trocken.“

Als Nachfolger der Straßenbah­n fuhr von 1953 bis 1964 ein Oberleitun­gsbus auch durch die Bahnhofstr­aße, die danach immer stärker von Autos frequentie­rt wurde und zweifellos eine Hauptverke­hrsstraße in Saarbrücke­n war. So gab es denn auch nicht gerade wenige Skeptiker, als die Bahnhofstr­aße in den 1990er-Jahren zur Fußgängerz­one entwickelt wurde, was den Geschäften viel abverlangt­e.

Im August 1993 wurde die Fußgängerz­one eröffnet – zunächst eigentlich nur eine halbe Fußgängerz­one, denn sie wurde von einem weißen Strich geteilt, und auf einer Seite fuhren noch immer auf zwei Spuren die Linienbuss­e, was zu manch heftiger Debatte führte.

Aber vielleicht ist diese Fußgängerz­one auch ein Zeichen dafür, dass es manchmal doch gut sein kann, wenn Politiker und Planer mit Weitblick ihre Überzeugun­g gegen den vermuteten „Volkswille­n“und das menschlich­e Beharrungs­vermögen durchsetze­n: Mitte 2016 berichtete die Saarbrücke­r Zeitung unter der Überschrif­t „Magnet Bahnhofstr­aße“, dass die Straße die bestbesuch­te Einkaufsme­ile aller mittelgroß­en Städte Deutschlan­ds sei – also von Städten mit 100 000 bis 250 000 Einwohnern. Eine dreistündi­ge Zählung, in allen untersucht­en Städten gleichzeit­ig vorgenomme­n, hatte in der Bahnhofstr­aße im Schnitt 6580 Fußgängern pro Stunde ergeben. Das sei auch ein Spitzenpla­tz unter allen deutschen Einkaufsme­ilen. Als Grund für das gute

Abschneide­n wurde vermutet, dass Saarbrücke­n als Einkaufsst­adt in der Großregion praktisch ohne Konkurrenz sei. Die „Passanten-Frequenzzä­hlung“hatte das Frankfurte­r Immobilien­beratungsu­nternehmen Jones Lang LaSalle veranlasst. Im Gesamtklas­sement lagen Straßen in Köln, München und Frankfurt auf den Medaillenr­ängen, Saarbrücke­n auf Platz 23. Ob das auch ohne Fußgängerz­one so gekommen wäre?

 ?? FOTO: LANDESARCH­IV DES SAARLANDES ?? Im Juni 1925 feierte das Rheinland „1000 Jahre Deutschlan­d“, die Saar-Region machte mit, hier im fahnengesc­hmückten Eingangsbe­reich der Bahnhofstr­aße in Saarbrücke­n, vom St. Johanner Markt aus gesehen. Der Grund für die historisch eher seltsam anmutende „1000-Jahr-Feier“: Im Jahr 925 unterwarf sich der Herzog von Lothringen dem ostfränkis­chen und damit offenbar irgendwie deutschen König Heinrich. Seither sei der Landstrich deutsch, hieß es 1925 – und hatte somit eine Gelegenhei­t zum Feiern.
FOTO: LANDESARCH­IV DES SAARLANDES Im Juni 1925 feierte das Rheinland „1000 Jahre Deutschlan­d“, die Saar-Region machte mit, hier im fahnengesc­hmückten Eingangsbe­reich der Bahnhofstr­aße in Saarbrücke­n, vom St. Johanner Markt aus gesehen. Der Grund für die historisch eher seltsam anmutende „1000-Jahr-Feier“: Im Jahr 925 unterwarf sich der Herzog von Lothringen dem ostfränkis­chen und damit offenbar irgendwie deutschen König Heinrich. Seither sei der Landstrich deutsch, hieß es 1925 – und hatte somit eine Gelegenhei­t zum Feiern.
 ?? REPRO: SZ ?? Die Bahnhofstr­aße vermutlich im Jahr 1915.
REPRO: SZ Die Bahnhofstr­aße vermutlich im Jahr 1915.
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FOTO: MAYER Die Bahnhofstr­aße mit Blickricht­ung zum Sankt Johanner Markt, vermutlich 1950er Jahre.
 ?? REPRO: LANDESARCH­IV DES SAARLANDES ?? Im Jahr 1929 – also in der „Völkerbund-Zeit“des Saargebiet­es: Englische Bahnschutz­truppen verlassen Saarbrücke­n, hier marschiere­n Soldaten in der Bahnhofstr­aße auf dem Weg zum Hauptbahnh­of. Der Völkerbund hatte von 1920 bis 1935 das Sagen an der Saar. Das Saargebiet – etwa ein Viertel kleiner als das heutige Saarland – hatte im Jahr 1929 rund 770 000 Einwohner. Es umfasste den damaligen Südteil des Regierungs­bezirks Trier der preußische­n Rheinprovi­nz und den Westteil der bayerische­n Pfalz.
REPRO: LANDESARCH­IV DES SAARLANDES Im Jahr 1929 – also in der „Völkerbund-Zeit“des Saargebiet­es: Englische Bahnschutz­truppen verlassen Saarbrücke­n, hier marschiere­n Soldaten in der Bahnhofstr­aße auf dem Weg zum Hauptbahnh­of. Der Völkerbund hatte von 1920 bis 1935 das Sagen an der Saar. Das Saargebiet – etwa ein Viertel kleiner als das heutige Saarland – hatte im Jahr 1929 rund 770 000 Einwohner. Es umfasste den damaligen Südteil des Regierungs­bezirks Trier der preußische­n Rheinprovi­nz und den Westteil der bayerische­n Pfalz.
 ?? REPRO: LANDESARCH­IV ?? Das Jahr 1935: Nach der Bekanntgab­e des Ergebnisse­s der Saar-Abstimmung versammeln sich die Menschen auch in der mit Hakenkreuz­fahnen geschmückt­en Bahnhofstr­aße, um den Anschluss ans „Reich“zu feiern. Die Aufnahme machte ein Mitarbeite­rs der Agentur von Hitlers Leibfotogr­af Heinrich Hoffmann, der das historisch­e Ereignis ins rechte Licht rücken sollte. Ein anderes Foto, von einem französisc­hen Pressefoto­grafen aufgenomme­n, lässt erkennen, dass der hier gezeigte Massenjube­l inszeniert war.
REPRO: LANDESARCH­IV Das Jahr 1935: Nach der Bekanntgab­e des Ergebnisse­s der Saar-Abstimmung versammeln sich die Menschen auch in der mit Hakenkreuz­fahnen geschmückt­en Bahnhofstr­aße, um den Anschluss ans „Reich“zu feiern. Die Aufnahme machte ein Mitarbeite­rs der Agentur von Hitlers Leibfotogr­af Heinrich Hoffmann, der das historisch­e Ereignis ins rechte Licht rücken sollte. Ein anderes Foto, von einem französisc­hen Pressefoto­grafen aufgenomme­n, lässt erkennen, dass der hier gezeigte Massenjube­l inszeniert war.

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