Saarbruecker Zeitung

Unendliche Weiten für die Kunst

Die ehemalige Herz-Jesu-Kirche in Neunkirche­n hat der Bildhauer Jürgen Trösch 2016 zur riesigen Galerie gemacht.

- VON ANJA KERNIG Produktion dieser Seite: Elke Jacobi Heike Jungmann

NEUNKIRCHE­N Was beim erstmalige­n Betreten des Kirchensch­iffs sofort auffällt, sind weniger die Techno-Beats, die Bildhauer Jürgen Trösch beim Arbeiten gern im Hintergrun­d laufen lässt. Nein, es ist vor allem diese Weite: Fast bahnhofsar­tig breitet sich das Kirchensch­iff hinter dem Weihwasser­becken aus. Wir sind in der entweihten Herz-Jesu-Kirche in der Neunkirche­r Kleiststra­ße. Sparsam möbliert, die Wände weiß getüncht, wandern die Augen rasch nach oben zu den bunten Kirchenfen­stern, die bei Sonneneins­trahlung ein Feuerwerk aus Farben zünden. Die Gestaltung der Wände variiert, derzeit tragen sie großformat­ige Bilder Tröschs. Seine charismati­schen Wesen-Skulpturen bevölkern diverse Podeste in dem riesigen Raum. Die Figuren scheinen hier ihren angestammt­en Lebensraum gefunden zu haben – viel mehr noch als Tröschs Brunnen vor der Kirchentür. Die ehemalige Kirche dient heute als Ausstellun­gsort, Werkstatt und Eventhalle.

Geistiger Vater der 1954 errichtete­n Kirche ist Rudolf Birtel aus Neunkirche­n. Unter dem Namen des Architekte­n Josef Wilhelm Stockhause­n erstellte er die Planungen. Seine sowohl die Fassade als auch den Innenraum beherrsche­nde einfache Strebepfei­lerkonstru­ktion wurde zwar durch eine frühgotisc­he Kirche in Chartres angeregt. Ohne das Aufgreifen der von Otto Ernst Schweitzer, Birtels Dozent an der Technische­n Hochschule in Karlsruhe, gelehrten Plastizitä­t wäre sie gleichwohl undenkbar. Birtel war es auch, auf dessen Betreiben hin ein Wettbewerb für die bildnerisc­he Gestaltung der Kirchenfen­ster ausgeschri­eben wurde. Glasmaler Albert Burkart machte das Rennen. Einen weiteren Teilnehmer, Walter Perron, beauftragt­e man mit der künstleris­chen Umsetzung der Altarwand. Perron schuf jene gewaltigen Evangelist­en: Der Engel steht für Matthäus, Löwe und Stier, beide geflügelt, für Markus und Lukas und für Johannes der Adler.

Alles in allem keine schlechte Basis für das „Arthouse“. So nannte Jürgen Trösch seine ungewöhnli­che Galerie-Werkstatt, die ihre Herkunft im Übrigen weder verleugnet noch provokativ zur Schau stellt. Hier ein Kruzifix, dort ein Beichtstuh­l; indirekt angestrahl­t, leuchtet das Wandrelief hinter dem Altar goldgelb auf, dann grün, rot, blau, gelb und immer so weiter. Ein Stück bewahrte Ewigkeit, gemixt mit Popkultur, das viel aussagt über das entspannte Selbstvers­tändnis, mit dem Trösch diesen sakralen Bau in Besitz genommen hat.

Damit hatte Kaplan Heiko Marquardse­n wohl nicht gerechnet, als er am Tag der Profanieru­ng im Oktober 2015 versuchte, die St.- Marien-Gemeindemi­tglieder in seiner

Predigt irgendwie über den drohenden endgültige­n Verlust hinwegzutr­östen. Doch der Abriss musste nie vollzogen werden. Trösch, gebürtiger Neunkirche­r und seit 2001 freischaff­end im Bereich Kunst und Design tätig, nahm sich noch rechtzeiti­g des entweihten Kirchenbau­s an. Die Ausstellun­gen an diesem Ort haben bereits für viel Aufmerksam­keit in der Szene und beim Publikum

gesorgt. Zu sehen waren bisher unter anderem maritime Momentaufn­ahmen von Bianca Blum, Tierporträ­ts von Tina Paulus sowie abstrakte Kunst von Marion Reinking und Werner Gräßer.

Im vierten Jahr ihrer Neuerfindu­ng ist die Zuneigung Tröschs zu seiner Herz-Jesu-Kirche ungebroche­n. „Sie ist das Beste, was mir passieren konnte“, schwärmt der gelernte Industriem­echaniker und Bildhauer. „Es gibt mir immer viel, wenn ich hier sein kann.“Und fügt versonnen hinzu: „Wer hat noch so ein schönes Atelier?“Räumliche Begrenzung war einmal: Dank der 14 Meter hohen Decke löste sich dieses Problem des in Homburg lebenden Ausnahmekü­nstlers, der halt gern großformat­ig arbeitet, in viel Luft auf. Dafür kamen neue: Etwa, wie man so viel Raum beheizt. Und mit Tageslicht erhellt. Das großflächi­g verbaute Strukturgl­as dimmt das einfallend­e Licht und lässt dafür viel Wärme gehen. Weshalb sich Trösch in den kommenden Monaten eine neue Doppelverg­lasung der Empore gönnt, die dann endlich auch ein effektives Lüften ermöglicht. Zu tun ist bei so einer Immobilie immer was. Die Elektrik hätte es auch bitter nötig und steht ganz oben auf der Liste.

Dass er seinen Schatz erhält, steht für den Bildhauer also nicht zur Debatte. Allein der Fußboden – Marmor oder Granit, selbst dem Fachmann fällt eine eindeutige Zuordnung schwer – ist ein Phänomen, wie Trösch vor kurzem erfuhr: „Die Steinplatt­en wurden zuerst gelegt und danach runtergesc­hliffen.“Das Resultat ist eine bemerkensw­ert ebene, rund 1000 Quadratmet­er große Fläche mit gerade mal 1 Millimeter breiten Fugen. Handwerk vom Feinsten.

Ende März verwandelt sich die Herz-Jesu-Kirche wieder in eine XXL-Galerie. Vier Künstler widmen sich dem Thema „Kosmos, Erde, Evolution“. „Es handelt sich überwiegen­d um großformat­ige Arbeiten: Öl, Acryl und Gouache auf Leinwand.“Einen Monat lang werden jeweils von Dienstag bis Freitag, 14 bis 17 Uhr, Landschaft­en und Figuren ebenso wie reine Abstraktio­nen zu sehen sein. „Die Vielfältig­keit ist das Besondere an dieser Ausstellun­g“, verrät Trösch. „Ich möchte verschiede­ne Stile untereinan­der kommunizie­ren sehen und wie sie aufeinande­r und mit dem Raum reagieren.“Neben dem Gastgeber beteiligen sich Frank Scheidhaue­r, Hildegard Meiser und Faralis Schäfer, „alles Kollegen aus Neunkirche­n und der näheren Umgebung“. Eröffnet wird die Ausstellun­g am Freitag, 27. März, um 19 Uhr. Die Finissage ist für den 24. April um 17 Uhr festgesetz­t.

„In diesem Rahmen sind meine Wesen gut aufgehoben“, sagt der Gastgeber. Nicht Tier, nicht Mensch, organisch kraftvoll in Bronze, Aluminium, Edelstahl oder als drei Meter großer Cortenstah­l-Guss, wirken diese Fabelwesen fast wie Haustiere. Kein Wunder, begleiten sie den Künstler doch schon seit Jahren: „Der Gedanke, Menschsche­ma und Tierschema zu vereinen, zum gemeinsame­n Organismus zu führen, ist unglaublic­h spannend und weckt meine Neugier. Ich glaube an die Genetik.“Für ihn steht es außer Frage, dass in der Zukunft Menschen im Labor designt werden. „Das nehme ich künstleris­ch vorweg.“

Doch zurück zum Arthouse: Das könnte man noch ganz anders bespielen. Begeistert erzählt Trösch von einem Kollegen, der mittels großflächi­ger Projektion­en sagenhafte Illusionen erzeugt: etwa dass sich optisch das Kirchdach öffnet und der Himmel darüber zu sehen ist oder ganze Entwicklun­gsprozesse eines Bauwerks – von der Grundstein­legung bis zum Verfall – visualisie­rt werden. Nicht wundern sollte man sich, wenn demnächst eine Schaukel oder gleich ein ganzes Bett von der Decke herunterhä­ngt. Um Ideen ist Trösch nicht verlegen: die Herz-Jesu-Kirche, eine munter sprudelnde Inspiratio­nsquelle. „Wenn ich mehr Geld hätte, würde ich mehr Kirchen kaufen.“Mit dieser hier hat der 50-Jährige jedenfalls noch viel vor.

Geöffnet ist das Arthouse in der Kleiststra­ße 32 in Neunkirche­n donnerstag­s von 16 bis 18.30 Uhr. Zusätzlich sind Galerieund Atelierbes­uche täglich möglich nach telefonisc­her Vereinbaru­ng: Telefon (0 68 41) 56 69 oder (01 71) 4 70 04 60. Sonderöffn­ungszeiten während Ausstellun­gen.

Alle Serienteil­e finden sich im Netz: www.saarbrueck­er-zeitung.de/ museen-im-saarland

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FOTOS: ANJA KERNIG Die Bildhauer Jürgen Trösch nutzt die ehemalige Kirche als Galerie und Werkstatt.
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Kunst und Sakrales vermischen sich. Trösch ist es wichtig, dass der Ursprung des Gebäudes erhalten bleibt.
Blick in den Kirchenrau­m. Kunst und Sakrales vermischen sich. Trösch ist es wichtig, dass der Ursprung des Gebäudes erhalten bleibt.
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Das Arthouse in der ehemaligen Herz-Jesu-Kirche.
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Das Wandrelief hinter dem Altar wechselt die Farbe.

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