Drei Saarländer arbeiten in der Welt der Beatles
Die SZ hatte exklusiv Zugang zu den Abbey Road Studios in London, wo Matthias J. Stalter, Dustin Dooley und Patrick Mordiconi arbeiten.
Na klar, es regnet. Trotzdem stehen sich die Leute in der Abbey Road auf den Füßen. Schauen nach rechts. Nach links. England. Hier kommt der Verkehr zuerst von rechts, wenn man die Straße überqueren will. Jetzt, alles frei! Schnell auf den Zebrastreifen, um ein Foto zu machen. Bis wieder Autos kommen, genervte Fahrer hupen. Fast rund um die Uhr gibt es das Katzund-Maus-Spiel zwischen Fußgängern und Autofahrern. Menschen aus aller Welt spielen die Szene nach, die vor 50 Jahren Geschichte geschrieben hat. Der Fotograf Iain MacMillan hat sie am 8. August 1969 für die Ewigkeit festgehalten. Auf einer Leiter stehend. Mit Hilfe eines einzigen Polizisten, der den Verkehr aufhielt. Sein Foto ist so schlicht wie genial. Jeder kennt es. Vier Pilzköpfe aus Liverpool überqueren einen Zebrastreifen. Paul McCartney, John Lennon, George Harrison und Ringo Starr. Die Beatles. MacMillans Foto ziert das Cover ihres Albums „Abbey Road“. Es machte die Straße im noblen Stadtteil St. John’s Wood mit über 300 000 Besuchern pro Jahr zu einer der größten Touristen-Attraktionen Londons.
Drei Saarländer schauen sich das alltägliche Treiben am Zebrastreifen direkt aus den legendären Abbey Road Studios an. Hier haben die Beatles, Pink Floyd, Oasis, David Bowie, Amy Winehouse und viele mehr die Top-Alben aller Zeiten aufgenommen. Aber die Musikgeschichte geht weiter mit Künstlern wie U 2, Nile Rodgers, Mick Jagger, David Fernandez, Lady Gaga, Ed Sheeran, Taylor Swift, Kendrick Lamar, Dua Lipa und, und, und. . . das „Who is who“der Musikszene! Aus dem wohl berühmtesten Tonstudio der Welt kommen auch unvergessliche Meisterwerke der Filmmusik: Star Wars, Herr der Ringe, Harry Potter, James Bond, The Avengers, Bohemian Rhapsody, Rocketman. Um nur einige zu nennen.
In diesem Mekka der Musikindustrie arbeiten seit 2018 die Produzenten und Songschreiber Matthias J. Stalter aus St. Ingbert und Dustin Dooley aus Homburg. Der Physiotherapeut Patrick Mordiconi wird regelmäßig aus Saarbrücken eingeflogen. Eigentlich sind es sogar vier Saarländer. Dustins 18 Jahre alter Bruder Gregory ist seit Sommer Barkeeper in den exklusiven Studios.
Hier haben Stalter und Dustin Dooley am 26. September mit Paul McCartney und Ringo Starr gefeiert. Ja, zwei Saarländer und die letzten zwei Beatles. Für die Party gab es einen besonderen Anlass: Genau 50 Jahre zuvor war das „Abbey Road“-Album erstveröffentlicht worden. 17 Stücke, 47 Minuten und 26 Sekunden – eines der größten Meisterwerke aller Zeiten. Die Beatles haben fast all ihre Songs in den Abbey Road Studios aufgenommen – und diese weltberühmt gemacht.
So berühmt, dass der Zebrastreifen selbst morgens kurz nach 8 an einem verregneten Samstag schon wieder von Touristen übersät ist. „Aber das ist ganz normaler Alltag“,
berichtet Mordiconi. Und beobachtet das Geschehen aus einem Fenster im ersten Stock. Während sich Fans an der Mauer des Studios verewigen, hat zum Gebäude dahinter niemand Zugang. Alles wird mit Sicherheitspersonal und Kameras überwacht. Es darf nur rein, wer zum erlesenen Kreis derer gehört, die hier arbeiten dürfen. Und das sind die Weltbesten ihres Fachs.
„Das Niveau der Musiker ist in London unglaublich hoch“, schwärmt Dustin Dooley, dessen Onkel der US-Fußballer Tom Dooley ist. Und der 27-Jährige schiebt nach: „Neben Los Angeles und New York ist London vielleicht die beste Stadt, in der du kreative Gedanken ausleben kannst. Du sprichst Ideen aus und sie werden sofort aufgegriffen.“Daraus entstehen dann seine Songs. Der Halbamerikaner hatte bereits im Alter von 17 Jahren 500 davon geschrieben. Seine damalige Schule, das Homburger Mannlich-Gymnasium, hatte er geschmissen, um sich voll und ganz auf seine Karriere zu konzentrieren. Dooley spielt fünf Instrumente auf höchstem Niveau. Vier davon hat er sich selbst beigebracht. Kein Wunder, dass das Ausnahmetalent in der Abbey Road gelandet ist.
„Hier zu arbeiten ist der Ritterschlag in unserer Branche. Kein anderes Studio bietet diese Möglichkeiten“, sagt Stalter, der ursprünglich aus der klassischen Musikszene kommt. Vor genau zehn Jahren standen er und Dooley an dem unter Denkmalschutz stehenden Zebrastreifen. „Damals hatten wir eine Vision, ein Ziel, und es lagen Jahre harter Arbeit vor uns“, erzählt Stalter. Der Traum wurde wahr. „Mit fünf Jahren hatte ich meine erste Band. Wir haben im Kindergarten, wie es das Schicksal wollte, Beatles-Songs aufgeführt – zum großen Glück der Zuschauer mit Playback. Und jetzt, 32 Jahre später, bin ich neben Giles Martin der einzige hausinterne Produzent in den Abbey Road Studios“, berichtet Stalter.
Draußen vor der Mauer träumen Fans davon, einmal das Studio von innen zu sehen. Versuchen sogar, über den Zaun zu klettern. Stalter und Dooley leben dort ihren Traum. Sie haben in den 1931 eröffneten Musikstudios, die mittlerweile zum Universal-Konzern gehören, sogar ihre eigenen Produktionsräume und Büros: „The Lounge at Abbey Road Studios“. Neben der Tätigkeit als Produzenten und Songschreiber betreiben sie mit Dooley Records ihr eigenes internationales Plattenlabel – genau in den Räumen, die zuvor EMI gehörten, eine der weltweit größten Plattenfirmen vor der Übernahme durch Universal. Die beiden Saarländer tragen damit zur Geschichte der Studios bei.
Dooley wird branchenintern zu den weltbesten Songwritern gezählt. In der Abbey Road mischen sie im „Konzert“der ganz Großen der Musikbranche mit, während draußen die Fans kreischen, weil sie auf dem Studiogelände einen Star erkannt haben. Viel weiter nach oben geht es in diesem Business wohl nicht mehr. „Letztens war Jon Bon Jovi
„Hier zu arbeiten ist der Ritterschlag in unserer
Branche. Kein anderes Studio bietet diese Möglichkeiten.“
Matthias J. Stalter
bei uns in Studio 3“, erzählt Stalter und schmunzelt: „Er fragte mich, ob ich in der Produktionspause ein Foto von ihm auf dem Zebrastreifen machen könnte. Gute Idee an einem Samstagvormittag, dachte ich mir, und musste zehn Security-Mitarbeiter hinzunehmen.“
In welcher Welt sich die Saarländer bewegen, zeigt auch die Begrüßung Mordiconis im Korridor vor Studio 2. Giles Martin kommt den Flur entlang, entdeckt ihn und begrüßt den Physiotherapeuten aus Saarbrücken mit den Worten: „Dich könnte ich mal wieder dringend gebrauchen!“Der zweifache Grammy-Gewinner führt in den Studios das Erbe seines Vaters weiter. Sir George Martin war der legendäre Produzent der Beatles. Er hat die „Fab
Four“zu der wohl bedeutendsten Band des 20. Jahrhunderts gemacht.
Die Tür zu Studio 2 ist übrigens einen Spalt weit geöffnet. Musik ist zu hören. Sofort kommt der Gedanke an einen ganz bestimmten Film, der im April in die Kinos kommt. Mehr darf man darüber noch nicht verraten. Im Studio befinden sich zwecks Filmmusikaufnahmen ständig unveröffentlichte Hollywood-Produktionen. Das streng geheime Bildmaterial ist teilweise mehrere hundert Millionen wert. Auch die Original-Tonbänder der Beatles lagern hier, mit teilweise unveröffentlichten Songs. Wie geht man im „Arbeitsalltag“damit um? „Nach außen ist alles mit modernster Technik und Personal hermetisch abgeriegelt. Im Studio selbst ist die Atmosphäre jedoch sehr entspannt, man kennt sich, vertraut einander – wir sind eine große Familie“, erklärt Stalter.
Giles Martin, der Stalter und Dooley kennenlernte, als diese mit einer deutschen Sängerin für Aufnahmen in der Abbey Road waren, produzierte erst neulich die Musik zum Film Rocketman über das Leben von Elton John. Und 50 Jahre nach der Erstveröffentlichung des von seinem Vater produzierten „Abbey Road“-Albums hat er dieses neu gemischt – mit technischen Möglichkeiten, die es 1969 nicht gab. Dadurch hat er bislang ungehörte Details aus den Original-Bändern herausgelockt. Das Jubiläums-Werk hat es sofort auf Platz eins der britischen Charts geschafft – wie vor 50 Jahren. Paul McCartney sagt dazu: „Kaum zu glauben, dass sich ,Abbey Road’ nach all den Jahren noch behaupten kann. Aber andererseits ist es ein verdammt cooles Album!“
Das elfte Studioalbum der Beatles spielt in der Musikgeschichte eine wichtige Rolle. Dabei war die Band bereits zerstritten. Das Meisterwerk erschien sechs Tage, nachdem John Lennon seinen Abschied verkündet hatte. Brandmarken seiner Zigaretten sind auf den Studio-Pianos verewigt. Es waren ihre letzten Songs, welche die „Fab Four“zusammen aufgenommen hatten – und somit das Ende ihres gemeinsamen musikalischen Schaffens. Zwar folgte ein Jahr später mit „Let it be“noch ein weiteres Album. Doch die Aufnahmen hierzu waren vor dem „Abbey Road“-Album entstanden.
Dass Mordiconi in den legendären Studios arbeiten kann, hat weniger mit Musik zu tun, obwohl der Beatles-Fan scherzt: „Ich spiele virtuos mit meinen Fingern auf der Wirbelsäule meiner Patienten wie ein Pianist am Klavier.“Der 49-Jährige hat sich auf die Behandlung von Musikern und insbesondere Sängern spezialisiert. Er hat darüber Stalter vor vier Jahren in seiner Praxis in Saarbrücken kennengelernt. Daraus ist eine enge Freundschaft entstanden. Und diese führt den fünffachen Vater mit Dooley Records mindestens einmal im Monat nach London, wo er in die Welt der internationalen Stars abtaucht. „Ich trainiere Musiker mit speziellen Übungen, damit sie während den anstrengenden Studioaufnahmen fit bleiben und zur Höchstleistung fähig sind“, erklärt Mordiconi, warum seine Künste in dem weltweit bekannten Musikstudio so gefragt sind.
Wer so alles auf Mordiconis Therapiebank lag, darf er nicht sagen. Genauso wenig wie Stalter und Dooley erzählen, an welchen Hits sie gerade arbeiten. Vieles von dem, was im Studio geschieht, fällt unter die Verschwiegenheitsklausel. „Aber das ist kein Problem für uns. Wir erleben hier täglich die verrückten und schrägen Seiten der Musikbranche. Man gewöhnt sich dran. Ich sollte irgendwann darüber ein Buch schreiben“, scherzt Stalter. „Spaß beiseite. Wir möchten auf dem internationalen Markt einen positiven Einfluss auf die Qualität der Musik nehmen“, sagt Dooley. Und fügt hinzu: „Wir sind doch mehr als nur gesättigt von all den Casting Shows. Die Hörer wollen wieder interessante Künstler und Musik, die Substanz hat.“Und so leben sie ihren Traum, der vor genau zehn Jahren auf dem berühmtesten Zebrastreifen der Welt entstanden ist. Während Touristen die Abbey Road verstopfen, schreiben die Saarländer in den Abbey Road Studios Musikgeschichte.