Saarbruecker Zeitung

Tempo 30 in Städten? Bundestag debattiert über Sicherheit für Radler

Der Verkehrsmi­nister will Radfahren sicherer machen und die Straßenver­kehrsordnu­ng ändern. Den Parlamenta­riern von CDU/CSU und SPD geht der Vorschlag nicht weit genug.

- VON SIMON SACHSEDER

(dpa) Am Kottbusser Tor in Berlin stehen immer noch Kerzen. Eine Radfahreri­n wollte an einem Nachmittag Anfang Januar die Kreuzung überqueren. Ein rechtsabbi­egender Lastwagen erfasst die 68-Jährige, überrollt sie. Die Frau stirbt. Am Freitag diskutiert­en nur wenige Kilometer von der Unfallstel­le entfernt die Abgeordnet­en des Bundestage­s über derartige Unfälle. Dabei setzten sich die Koalitions­fraktionen CDU/CSU und SPD mit einem Antrag durch, der die Regierung zu zusätzlich­en Maßnahmen für einen sichereren Radverkehr in Deutschlan­d auffordert.

Und das, obwohl Verkehrsmi­nister Andreas Scheuer (CSU) bereits die Straßenver­kehrsordnu­ng ändern will. Nach seinen Vorstellun­gen soll zum Beispiel ein ausreichen­der Sicherheit­sabstand beim Überholen von Fahrradfah­rern durch Autofahrer festgeschr­ieben werden. Mindestens 1,5 Meter innerorts und zwei Meter außerorts würden dann im Gesetz stehen. Zudem könnte für Kraftfahrz­euge, die schwerer als 3,5 Tonnen sind, Abbiegen nur noch in Schrittges­chwindigke­it erlaubt sein. Das sei alles schon ganz gut, sagt SPD-Verkehrspo­litiker Mathias Stein. Aber: „Das geht noch besser.“

Nach dem Willen der Fraktionen soll unter anderem getestet werden, wie der Verkehr aussehen würde, wenn innerorts generell nur noch Tempo 30 erlaubt wäre und Tempo 50 auf Hauptverke­hrsstraßen eigens angeordnet werden müsste. Aus SPDSicht ließe sich durch die Absenkung des Tempolimit­s die Verkehrssi­cherheit erhöhen. „Bislang finden solche Absenkunge­n aber immer nur gezielt und in der Regel nicht in größeren

Gebieten statt“, sagt die SPD-Verkehrspo­litikerin Kirsten Lühmann.

Die FDP will beim Schutz für Radler eher auf eine digitale Verkehrsle­nkung und Warnsystem­e setzen. Den Zwang zum Schritttem­po beim Abbiegen und ein generelles Tempo-30-Limit lehnt die Fraktion ab. „Autofahrer sind nicht das Feindbild der deutschen Verkehrspo­litik“, sagt der FDP-Verkehrspo­litiker Christian Jung. Die AfD fürchtet die „ungehinder­te Reise in die ideologisc­he Anti-Auto-Politik“. Tempo 30 in ganzen Städten würde die Verkehrsbe­ruhigung in den Nebenstraß­en zunichte machen, sagt der AfD-Verkehrspo­litiker Wolfgang Wiehle.

Der Mobilitäts­club ADAC äußert eine ähnliche Befürchtun­g: Auf vielen etwas kleineren Hauptstraß­en dürfte es schwierig sein, Tempo 50 anzuordnen. „Damit hätten diese Straßen eine wichtige Funktion eingebüßt: den Verkehr bündeln und Nebenstrec­ken und Wohngebiet­e von unerwünsch­tem Schleichve­rkehr zu verschonen.“

Dass Tempo 30 der große Wurf für Fahrradfah­rer wäre, bezweifelt der Leiter der Unfallfors­chung der Versichere­r, Siegfried Brockmann. Man könne davon ausgehen, dass Autofahrer dann mit etwa 40 unterwegs wären, aber: Schon heute seien nur bei elf Prozent der Fahrradunf­älle mit Personensc­haden Auto oder Lastwagen mehr als 40 km/h schnell. Das liege unter anderem daran, dass die meisten Unfälle beim Abbiegen passierten. „Allerdings wäre es mal einen Großversuc­h wert – zum Beispiel in einer ganzen Kommune“, meint Brockmann.

Den Grünen und den Linken gehen die Pläne der Regierung und der Koalitions­fraktionen nicht weit genug. „Sie machen nur das, was das Auto nicht einschränk­t“, sagt der Grünen-Radverkehr­spolitiker Stefan Gelbhaar mit Blick auf Verkehrsmi­nister Andreas Scheuer.

Unfallfors­cher Brockmann sieht vor allem Potenzial in den Kommunen. „Entscheide­nd wäre eine bessere Infrastruk­tur.“

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