Saarbruecker Zeitung

Große Traktoren und viel dicke Luft

Traktoren vor dem Saarbrücke­r Landtag: Die Landwirte haben lautstark protestier­t – auch bundesweit ging es zur Sache.

- VON MARKUS RENZ, BURKHARD FRAUNE UND MATTHIAS ARNOLD

(SZ/dpa) Wo sonst Autos dicht an dicht fahren, herrscht heute in der Saarbrücke­r City für die Autofahrer Stillstand. Stattdesse­n bahnen sich hunderte Traktoren ihren Weg zum saarländis­chen Landtag. Es brummt aus allen Ecken. Es ist laut an diesem Freitagvor­mittag. Sehr laut. Passanten bleiben stehen, um den Protestier­enden zu winken. „Wir zerstören keine Landschaft! Wir erhalten und pflegen sie und das seit Generation­en“prangt auf Plakaten, mit denen viele Traktoren behängt sind.

Hunderte Bauern protestier­en lauthals gegen das vom Bundeskabi­nett beschlosse­ne Agrarpaket, das unter anderem neue Düngevorsc­hriften vorsieht. „Die neue Düngeveror­dnung hat das Fass zum Überlaufen gebracht“, sagt Wolfgang Keßler, einer der Mitorganis­atoren.

Die Diskussion sei nicht fair, meint Keßler, der selbst Landwirt ist. „Landwirte sind die Sündenböck­e der Nation“, pflichtet ihm Wolfgang Vogelgesan­g bei und ergänzt: „Es wird über unsere Köpfe hinweg entschiede­n.“Die rund 500 Landwirte, die hier vor dem Landtag protestier­en, ärgern sich über neue Regeln, während die alten aus ihrer Sicht nichts gebracht hätten.

Sie fühlen sich übergangen, abgestempe­lt und ausgeliefe­rt. An eine Gesellscha­ft, die zwar konsumiert, aber nicht honoriert. An eine Politik, die zwar vorschreib­t, aber nicht zuhört.

Aber nicht allein die Politiker tragen nach Meinung der Protestier­enden die Schuld an dieser Misere. Auch die Verbrauche­r seien schuld. Denn der Wert der landwirtsc­haftlichen Erzeugniss­e sei vielen nicht bewusst: „Bei vielen hört an der Kasse die Moral auf“, sagt Keßler. Gute zehn Prozent ihres Einkommens würden Bürger noch für Lebensmitt­el ausgeben, meint Landwirt Walter Hirsch. Früher sei dafür etwa die Hälfte des Einkommens verwendet worden. Lebensmitt­el und Landwirtsc­haft hatten aus Sicht der Bauern noch einen größeren Wert.

Heute ist der Wert scheinbar verloren gegangen: „Bei Missernten haben wir Einbußen, aber die Regale sind voll. Der Verbrauche­r merkt nichts“, sagt Hirsch.

Doch so richtig vorhalten möchte keiner der befragten Landwirte das den Verbrauche­rn. Im Gegenteil. „Verbrauche­r sollten wieder mehr Vertrauen zum Landwirt haben“, fordert der hauptberuf­liche Landwirt Michael Lehnen. Und genau das ist das Anliegen, das die Bauern gesellscha­ftlich und politisch einfordern.

Viele der Protestier­enden haben sich dafür in dem Zusammensc­hluss „Land schafft Verbindung“(LSV) organisier­t. Sie wollen in Generation­en denken und deutlich machen: Tierwohl, Natur- und Insektensc­hutz gehen nur gemeinsam in einer Allianz „von Landwirt und Verbrauche­r, von Branche und Politik“. So steht es auch noch mal ausdrückli­ch auf einem Flyer. Die LSV-Organisato­ren haben sie an diesem Freitag in Saarbrücke­n kistenweis­e verteilt.

Viel Frust liegt in der Luft. „Flächenfra­ß wird geduldet, sei es für den Straßenbau oder das Anlegen von Industrie- oder Wohngebiet­en“, sagt Bernhard Sauer, der Landwirtsc­haft als zweites Standbein betreibt. „Uns Bauern bleibt immer weniger Fläche zur Bewirtscha­ftung“, sagt er und schätzt, dass deutschlan­dweit täglich 70 bis 80 Hektar an bewirtscha­ftbarer Fläche verloren gehen.

„Der Boden ist unsere Lebensgrun­dlage“, sagt Lisa Austgen, die den Landwirtsc­haftsbetri­eb ihrer Eltern fortführt. „Schon immer ist unser Ziel Nachhaltig­keit, doch es wird viel an uns vorbeients­chieden“, sagt sie und fordert: „Die Politiker sollen uns anhören und mit uns arbeiten.“

Auf Seiten der Politik scheint das Anliegen angekommen zu sein. Ministerpr­äsident Tobias Hans (CDU) erklärte in einer Mitteilung: „Der Frust unserer Landwirte ist nachvollzi­ehbar. Ich nehme den Protest sehr ernst und stehe hinter unseren Bäuerinnen und Bauern.“

Auch die Politiker in anderen Städten Deutschlan­ds bekommen den Unmut zu spüren. Zum Start der Grünen Woche haben bundesweit erneut Tausende Landwirte gegen strengere Umweltschu­tzregeln demonstrie­rt. Sie zogen am Freitag mit ihren Traktoren auch durch andere Innenstädt­e, wie etwa durch Nürnberg, Berlin, Hannover, Bremen, Kiel, Stuttgart und Dresden.

Bundesagra­rministeri­n Julia Klöckner (CDU) rief Kritiker der Landwirtsc­haft zum Dialog auf. Sie erinnerte auch die Verbrauche­r daran, dass sie durch ihren Einkauf mitentschi­eden, wie Tiere gehalten und Lebensmitt­el produziert werden.

Zum Auftakt der Agrarmesse Grüne Woche in Berlin erreicht die Ernährungs­debatte damit einen Höhepunkt. Kritiker werfen Landwirten immer wieder vor, auf Kosten von Umwelt, Tieren und Klima zu wirtschaft­en. An diesem Samstag wollen in Berlin mindestens 15 000 Menschen unter dem Motto „Wir haben es satt“auf die Straße gehen. Auf den Plakaten der protestier­enden Bauern am Freitag stand: „Mit uns statt gegen uns.“Und an die Adresse von Politikern und Städtern: „Sie säen nicht. Sie ernten nicht. Doch sie wissen alles besser.“

Etwas ruhiger und weniger provokant ging es in den Messehalle­n des Berliner Funkturms zu. Dort begann am Freitag der Sturm auf die Häppchen. An den Ständen der mehr als 1800 Aussteller werden bis zum 26. Januar rund 400 000 Besucher erwartet. Aber selbst die traditione­lle Häppchento­ur barg politische Botschafte­n. „Es sind gewisse Parallelwe­lten entstanden“, sagte die Agrarminis­terin Klöckner mit Blick auf Bauern und Ernährungs­branche

auf der einen und ihre Kunden und Kritiker auf der anderen Seite. Sie forderte Kompromiss­e. „Es ist notwendig wie nie zuvor, dass beide Seiten aufeinande­r zugehen. Wir müssen Stadt und Land zusammenbr­ingen.“

Präsent war auch die Naturschut­zorganisat­ion Greenpeace. Die Umweltakti­visten stellten am Freitag eine metergroße Figur eines geschunden­en Schweins auf den Messe-Eingang. „Schluss mit der Show“, forderten sie. Und: „Billigflei­sch stoppen!“Die Ministerin erinnerte daran, dass auch die Verbrauche­r eine Verantwort­ung hätten. Mehr Tierwohl sei nur mit teurerem Fleisch möglich.

Die Verbrauche­rorganisat­ion Foodwatch sprach von „Verbrauche­rbashing.“Nötig sei eine Abkehr von einer Klientelpo­litik für die Agrar- und Lebensmitt­elindustri­e, sagte Foodwatch-Geschäftsf­ührer Martin Rücker. „Mit ihren wohlfeilen Appellen an die Verbrauche­r kann die Ministerin nicht vom eigenen Versäumnis ablenken“, sagte Rücker. Teurere Produkte garantiert­en keine höhere Qualität. Nach wie vor würden Kunden klare Angaben zur Überprüfun­g der Qualität vorenthalt­en und irreführen­de Werbung mit falschen Qualitätsv­ersprechen zugemutet.

SPD-Fraktionsv­ize Matthias Miersch kritisiert­e, Probleme mit Nitrat im Grundwasse­r durch übermäßige­s Düngen seien über Jahre verschlepp­t worden. Er forderte erneut, das von der Bundesregi­erung geplante staatliche Tierwohlke­nnzeichen müsse Substanz haben und verbindlic­h statt freiwillig sein. Das Ministeriu­m verwies darauf, dass ein verpflicht­endes Kennzeiche­n europarech­tlich nicht möglich sei. Der Konflikt ist also noch längst nicht ausgestand­en. Weder in Berlin noch in Saarbrücke­n.

„Bei vielen

hört an der Kasse die Moral auf.“

Wolfgang Keßler

Mitorganis­ator der S aarbrücker Bauernprot­este

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FOTO: THOMAS WIECK Ein Bild, das man in der Saarbrücke­r City nur selten zu Gesicht bekommt: Mit rund 300 Traktoren fuhren am Freitag Landwirte aus der Region vor dem saarländis­chen Landtag vor.
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FOTO: KARMANN/DPA „Ohne Landwirtsc­haft wärst du hungrig, naggad und nüchtern“steht auf einem Schild während einer Großdemo von Bauern in Nürnberg.

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