Große Traktoren und viel dicke Luft
Traktoren vor dem Saarbrücker Landtag: Die Landwirte haben lautstark protestiert – auch bundesweit ging es zur Sache.
(SZ/dpa) Wo sonst Autos dicht an dicht fahren, herrscht heute in der Saarbrücker City für die Autofahrer Stillstand. Stattdessen bahnen sich hunderte Traktoren ihren Weg zum saarländischen Landtag. Es brummt aus allen Ecken. Es ist laut an diesem Freitagvormittag. Sehr laut. Passanten bleiben stehen, um den Protestierenden zu winken. „Wir zerstören keine Landschaft! Wir erhalten und pflegen sie und das seit Generationen“prangt auf Plakaten, mit denen viele Traktoren behängt sind.
Hunderte Bauern protestieren lauthals gegen das vom Bundeskabinett beschlossene Agrarpaket, das unter anderem neue Düngevorschriften vorsieht. „Die neue Düngeverordnung hat das Fass zum Überlaufen gebracht“, sagt Wolfgang Keßler, einer der Mitorganisatoren.
Die Diskussion sei nicht fair, meint Keßler, der selbst Landwirt ist. „Landwirte sind die Sündenböcke der Nation“, pflichtet ihm Wolfgang Vogelgesang bei und ergänzt: „Es wird über unsere Köpfe hinweg entschieden.“Die rund 500 Landwirte, die hier vor dem Landtag protestieren, ärgern sich über neue Regeln, während die alten aus ihrer Sicht nichts gebracht hätten.
Sie fühlen sich übergangen, abgestempelt und ausgeliefert. An eine Gesellschaft, die zwar konsumiert, aber nicht honoriert. An eine Politik, die zwar vorschreibt, aber nicht zuhört.
Aber nicht allein die Politiker tragen nach Meinung der Protestierenden die Schuld an dieser Misere. Auch die Verbraucher seien schuld. Denn der Wert der landwirtschaftlichen Erzeugnisse sei vielen nicht bewusst: „Bei vielen hört an der Kasse die Moral auf“, sagt Keßler. Gute zehn Prozent ihres Einkommens würden Bürger noch für Lebensmittel ausgeben, meint Landwirt Walter Hirsch. Früher sei dafür etwa die Hälfte des Einkommens verwendet worden. Lebensmittel und Landwirtschaft hatten aus Sicht der Bauern noch einen größeren Wert.
Heute ist der Wert scheinbar verloren gegangen: „Bei Missernten haben wir Einbußen, aber die Regale sind voll. Der Verbraucher merkt nichts“, sagt Hirsch.
Doch so richtig vorhalten möchte keiner der befragten Landwirte das den Verbrauchern. Im Gegenteil. „Verbraucher sollten wieder mehr Vertrauen zum Landwirt haben“, fordert der hauptberufliche Landwirt Michael Lehnen. Und genau das ist das Anliegen, das die Bauern gesellschaftlich und politisch einfordern.
Viele der Protestierenden haben sich dafür in dem Zusammenschluss „Land schafft Verbindung“(LSV) organisiert. Sie wollen in Generationen denken und deutlich machen: Tierwohl, Natur- und Insektenschutz gehen nur gemeinsam in einer Allianz „von Landwirt und Verbraucher, von Branche und Politik“. So steht es auch noch mal ausdrücklich auf einem Flyer. Die LSV-Organisatoren haben sie an diesem Freitag in Saarbrücken kistenweise verteilt.
Viel Frust liegt in der Luft. „Flächenfraß wird geduldet, sei es für den Straßenbau oder das Anlegen von Industrie- oder Wohngebieten“, sagt Bernhard Sauer, der Landwirtschaft als zweites Standbein betreibt. „Uns Bauern bleibt immer weniger Fläche zur Bewirtschaftung“, sagt er und schätzt, dass deutschlandweit täglich 70 bis 80 Hektar an bewirtschaftbarer Fläche verloren gehen.
„Der Boden ist unsere Lebensgrundlage“, sagt Lisa Austgen, die den Landwirtschaftsbetrieb ihrer Eltern fortführt. „Schon immer ist unser Ziel Nachhaltigkeit, doch es wird viel an uns vorbeientschieden“, sagt sie und fordert: „Die Politiker sollen uns anhören und mit uns arbeiten.“
Auf Seiten der Politik scheint das Anliegen angekommen zu sein. Ministerpräsident Tobias Hans (CDU) erklärte in einer Mitteilung: „Der Frust unserer Landwirte ist nachvollziehbar. Ich nehme den Protest sehr ernst und stehe hinter unseren Bäuerinnen und Bauern.“
Auch die Politiker in anderen Städten Deutschlands bekommen den Unmut zu spüren. Zum Start der Grünen Woche haben bundesweit erneut Tausende Landwirte gegen strengere Umweltschutzregeln demonstriert. Sie zogen am Freitag mit ihren Traktoren auch durch andere Innenstädte, wie etwa durch Nürnberg, Berlin, Hannover, Bremen, Kiel, Stuttgart und Dresden.
Bundesagrarministerin Julia Klöckner (CDU) rief Kritiker der Landwirtschaft zum Dialog auf. Sie erinnerte auch die Verbraucher daran, dass sie durch ihren Einkauf mitentschieden, wie Tiere gehalten und Lebensmittel produziert werden.
Zum Auftakt der Agrarmesse Grüne Woche in Berlin erreicht die Ernährungsdebatte damit einen Höhepunkt. Kritiker werfen Landwirten immer wieder vor, auf Kosten von Umwelt, Tieren und Klima zu wirtschaften. An diesem Samstag wollen in Berlin mindestens 15 000 Menschen unter dem Motto „Wir haben es satt“auf die Straße gehen. Auf den Plakaten der protestierenden Bauern am Freitag stand: „Mit uns statt gegen uns.“Und an die Adresse von Politikern und Städtern: „Sie säen nicht. Sie ernten nicht. Doch sie wissen alles besser.“
Etwas ruhiger und weniger provokant ging es in den Messehallen des Berliner Funkturms zu. Dort begann am Freitag der Sturm auf die Häppchen. An den Ständen der mehr als 1800 Aussteller werden bis zum 26. Januar rund 400 000 Besucher erwartet. Aber selbst die traditionelle Häppchentour barg politische Botschaften. „Es sind gewisse Parallelwelten entstanden“, sagte die Agrarministerin Klöckner mit Blick auf Bauern und Ernährungsbranche
auf der einen und ihre Kunden und Kritiker auf der anderen Seite. Sie forderte Kompromisse. „Es ist notwendig wie nie zuvor, dass beide Seiten aufeinander zugehen. Wir müssen Stadt und Land zusammenbringen.“
Präsent war auch die Naturschutzorganisation Greenpeace. Die Umweltaktivisten stellten am Freitag eine metergroße Figur eines geschundenen Schweins auf den Messe-Eingang. „Schluss mit der Show“, forderten sie. Und: „Billigfleisch stoppen!“Die Ministerin erinnerte daran, dass auch die Verbraucher eine Verantwortung hätten. Mehr Tierwohl sei nur mit teurerem Fleisch möglich.
Die Verbraucherorganisation Foodwatch sprach von „Verbraucherbashing.“Nötig sei eine Abkehr von einer Klientelpolitik für die Agrar- und Lebensmittelindustrie, sagte Foodwatch-Geschäftsführer Martin Rücker. „Mit ihren wohlfeilen Appellen an die Verbraucher kann die Ministerin nicht vom eigenen Versäumnis ablenken“, sagte Rücker. Teurere Produkte garantierten keine höhere Qualität. Nach wie vor würden Kunden klare Angaben zur Überprüfung der Qualität vorenthalten und irreführende Werbung mit falschen Qualitätsversprechen zugemutet.
SPD-Fraktionsvize Matthias Miersch kritisierte, Probleme mit Nitrat im Grundwasser durch übermäßiges Düngen seien über Jahre verschleppt worden. Er forderte erneut, das von der Bundesregierung geplante staatliche Tierwohlkennzeichen müsse Substanz haben und verbindlich statt freiwillig sein. Das Ministerium verwies darauf, dass ein verpflichtendes Kennzeichen europarechtlich nicht möglich sei. Der Konflikt ist also noch längst nicht ausgestanden. Weder in Berlin noch in Saarbrücken.
„Bei vielen
hört an der Kasse die Moral auf.“
Wolfgang Keßler
Mitorganisator der S aarbrücker Bauernproteste