Saarbruecker Zeitung

Mit kühlem Kopf ins Endspiel um das Halbfinale

Die deutschen Handballer müssen bei der EM gegen Kroatien gewinnen, um ihren Medaillent­raum am Leben zu halten.

- VON CHRISTOPH STUKENBROC­K UND IRINA GNEP

(sid) Timo Kastening zog voll ab – und landete den nächsten Volltreffe­r. Johannes Bitter, sein neuestes „Opfer“, fiel einfach um. Der Senkrechts­tarter im deutschen Team hatte seinen Torhüter beim lockeren Trainingsk­ick aus nächster Nähe im Gesicht getroffen. „So, jetzt bin ich wach“, sagte Bitter, kniff kurz die Augen zusammen, berappelte sich und lachte. An der Seitenlini­e feixten Kapitän Uwe Gensheimer und seine Kollegen.

Beim Anschwitze­n für den Showdown gegen Kroatien an diesem Samstag (20.30 Uhr/ZDF) fiel vor allem eines auf: Pünktlich zur heißen Turnierpha­se ist bei den deutschen Handballer­n die Lockerheit zurückgeke­hrt, der Kantersieg gegen Weißrussla­nd (31:23) setzt Kräfte frei. Den Spielern ist aber auch klar: Nur mit einem Sieg gegen den alten Rivalen lebt ihr Medaillent­raum bei der EM weiter. „Das ist unser einziger Weg, wenn es noch zur Finalrunde nach Schweden gehen soll“, sagte Gensheimer vor dem Klassiker gegen den Ex-Weltmeiste­r.

Aus dem kroatische­n Lager war von einem „sportliche­n Krieg“zu hören, doch die deutschen Spieler blieben vor ihrem „Endspiel“um das Halbfinale cool. Statt in die martialisc­he Rhetorik des Gegners einzustimm­en, strahlten sie vor Vorfreude. „Wir haben Bock auf das Spiel“, sagte Rückraumsp­ieler Julius Kühn. Mit Blick auf die ausverkauf­te Wiener Stadthalle und die vielen Fans aus beiden Lagern könne er sich „vorstellen, dass das

Hallendach wegfliegen wird“. Und Rechtsauße­n Kastening, der mit sechs Treffern bei sechs Versuchen zum Hauptrunde­nauftakt überzeugt hatte, meinte: „Wenn du die Kroaten dazu bekommst, dass sie ein bisschen emotionale­r werden, dann sieht es gut aus für uns.“

Dabei scheinen die Emotionen auf kroatische­r Seite schon vor dem Duell hochzukoch­en. Igor Vori, langjährig­er Bundesliga­spieler

und Teammanage­r der Kroaten, heizte die Stimmung ordentlich an. „Das wird eine Stunde lang sportliche­r Krieg“, sagte Vori der Hamburger Morgenpost. Bundestrai­ner Christian Prokop hat großen Respekt vor dem Gegner, der nach vier Siegen aus vier Spielen zu den Titelanwär­tern zählt. „Sie sind eine absolute Top-Mannschaft“, sagte Prokop. Mit kühlem Kopf will er die heißblütig­en Kroaten ausbremsen.

Seine Mannschaft habe bei der EM „nur eine Chance, wenn wir in der Abwehr, bei den Torhütern und im Rückzugsve­rhalten top sind. Dort müssen wir Mentalität­s-Europameis­ter sein.“

Was gegen Weißrussla­nd erstmals im Turnier über nahezu 60 Minuten gut klappte, soll gegen Kroatien nun noch gesteigert werden. Der Eigenantri­eb der Spieler, das betonte Prokop, sei das A und O.

„Ich kann viel vorgeben und fordern. Die Jungs müssen aber selber wissen, was sie für eine EM-Geschichte schreiben können“, sagte Prokop. Gegen Kroatien, da waren sie sich im deutschen Lager einig, soll nun noch eine Schippe draufgeleg­t werden. „Eine Leistung wie gegen Weißrussla­nd wird nicht reichen. Wir brauchen noch zehn Prozent mehr“, forderte DHB-Vizepräsid­ent Bob Hanning. Entscheide­nd

werde sein, „wie wir die Abwehr bespielen, gegen die Spanier ist uns ja nicht so viel eingefalle­n“.

Zum entscheide­nden Faktor könnte die neu entfachte Euphorie werden. „Vor dem Weißrussla­nd-Spiel war die Stimmung in Handball-Deutschlan­d so, dass wir nur noch verlieren können“, sagte Kastening: „Nun haben wir Kroatien vor der Brust und auf einmal wieder etwas zu gewinnen.“

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FOTO: MICHAEL/DPA Die Zuschauer in Wien feiern die deutschen Handballer nach dem deutlichen Sieg gegen Weißrussla­nd.

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