Mit kühlem Kopf ins Endspiel um das Halbfinale
Die deutschen Handballer müssen bei der EM gegen Kroatien gewinnen, um ihren Medaillentraum am Leben zu halten.
(sid) Timo Kastening zog voll ab – und landete den nächsten Volltreffer. Johannes Bitter, sein neuestes „Opfer“, fiel einfach um. Der Senkrechtstarter im deutschen Team hatte seinen Torhüter beim lockeren Trainingskick aus nächster Nähe im Gesicht getroffen. „So, jetzt bin ich wach“, sagte Bitter, kniff kurz die Augen zusammen, berappelte sich und lachte. An der Seitenlinie feixten Kapitän Uwe Gensheimer und seine Kollegen.
Beim Anschwitzen für den Showdown gegen Kroatien an diesem Samstag (20.30 Uhr/ZDF) fiel vor allem eines auf: Pünktlich zur heißen Turnierphase ist bei den deutschen Handballern die Lockerheit zurückgekehrt, der Kantersieg gegen Weißrussland (31:23) setzt Kräfte frei. Den Spielern ist aber auch klar: Nur mit einem Sieg gegen den alten Rivalen lebt ihr Medaillentraum bei der EM weiter. „Das ist unser einziger Weg, wenn es noch zur Finalrunde nach Schweden gehen soll“, sagte Gensheimer vor dem Klassiker gegen den Ex-Weltmeister.
Aus dem kroatischen Lager war von einem „sportlichen Krieg“zu hören, doch die deutschen Spieler blieben vor ihrem „Endspiel“um das Halbfinale cool. Statt in die martialische Rhetorik des Gegners einzustimmen, strahlten sie vor Vorfreude. „Wir haben Bock auf das Spiel“, sagte Rückraumspieler Julius Kühn. Mit Blick auf die ausverkaufte Wiener Stadthalle und die vielen Fans aus beiden Lagern könne er sich „vorstellen, dass das
Hallendach wegfliegen wird“. Und Rechtsaußen Kastening, der mit sechs Treffern bei sechs Versuchen zum Hauptrundenauftakt überzeugt hatte, meinte: „Wenn du die Kroaten dazu bekommst, dass sie ein bisschen emotionaler werden, dann sieht es gut aus für uns.“
Dabei scheinen die Emotionen auf kroatischer Seite schon vor dem Duell hochzukochen. Igor Vori, langjähriger Bundesligaspieler
und Teammanager der Kroaten, heizte die Stimmung ordentlich an. „Das wird eine Stunde lang sportlicher Krieg“, sagte Vori der Hamburger Morgenpost. Bundestrainer Christian Prokop hat großen Respekt vor dem Gegner, der nach vier Siegen aus vier Spielen zu den Titelanwärtern zählt. „Sie sind eine absolute Top-Mannschaft“, sagte Prokop. Mit kühlem Kopf will er die heißblütigen Kroaten ausbremsen.
Seine Mannschaft habe bei der EM „nur eine Chance, wenn wir in der Abwehr, bei den Torhütern und im Rückzugsverhalten top sind. Dort müssen wir Mentalitäts-Europameister sein.“
Was gegen Weißrussland erstmals im Turnier über nahezu 60 Minuten gut klappte, soll gegen Kroatien nun noch gesteigert werden. Der Eigenantrieb der Spieler, das betonte Prokop, sei das A und O.
„Ich kann viel vorgeben und fordern. Die Jungs müssen aber selber wissen, was sie für eine EM-Geschichte schreiben können“, sagte Prokop. Gegen Kroatien, da waren sie sich im deutschen Lager einig, soll nun noch eine Schippe draufgelegt werden. „Eine Leistung wie gegen Weißrussland wird nicht reichen. Wir brauchen noch zehn Prozent mehr“, forderte DHB-Vizepräsident Bob Hanning. Entscheidend
werde sein, „wie wir die Abwehr bespielen, gegen die Spanier ist uns ja nicht so viel eingefallen“.
Zum entscheidenden Faktor könnte die neu entfachte Euphorie werden. „Vor dem Weißrussland-Spiel war die Stimmung in Handball-Deutschland so, dass wir nur noch verlieren können“, sagte Kastening: „Nun haben wir Kroatien vor der Brust und auf einmal wieder etwas zu gewinnen.“