Saarbruecker Zeitung

Orban greift nach der ganzen Macht

Ungarns Parlament sichert dem autoritäre­n Regierungs­chef in der Corona-Krise beispiello­se Vollmachte­n. Aus Brüssel kommt Kritik – auch interne.

- VON DETLEF DREWES

Ungarns Journalist­en sehen den „letzten Rest der Pressefrei­heit“beseitigt. Vertreter der Opposition wie die sozialdemo­kratische Europaabge­ordnete Klára Dobrev sprechen von einem Ermächtigu­ngsgesetz: „Danach kann Ministerpr­äsident Viktor Orbán alles machen und durchsetze­n“, sagte sie am Montag bei einer virtuellen Pressekonf­erenz in Budapest. Kurz danach war es soweit. Das ungarische Parlament billigte das Notstandsg­esetz, das es dem rechts-nationalen Regierungs­chef ermöglicht, ohne Befristung auf dem Verordnung­sweg zu regieren. Eine Opposition musste Orbán nicht fürchten: In der Abgeordnet­enkammer verfügt seine Fidesz-Partei über eine komfortabl­e Zwei-Drittel-Mehrheit.

Das neue Gesetz erlaubt es der Regierung, „alle zur Eindämmung beziehungs­weise Abwehr der Folgen der Covid-19-Pandemie nötigen außerorden­tlichen Maßnahmen zu treffen“, heißt es in der Einleitung des Entwurfes. Dabei kann sie dann „die Anwendung einzelner Gesetze suspendier­en, von gesetzlich­en Bestimmung­en abweichen und sonstige außerorden­tliche Maßnahmen“treffen. Die Dauer ist nicht begrenzt. Wer künftig gegen Quarantäne-Auflagen verstößt, muss mit deutlich höheren Haftstrafe­n rechnen. Und wer „Falschnach­richten“verbreitet oder die Bevölkerun­g durch schlechte Nachrichte­n beunruhigt, dem drohen bis zu fünf Jahre Haft. Betroffen sind keineswegs nur Journalist­en der ohnehin kaum noch vorhandene­n regierungs­kritischen Medien, sondern auch Autoren in den sozialen Netzwerken. Ungarische Korrespond­enten in Brüssel sagen, dass eine kritische Reportage über Versorgung­smängel in den dortigen Krankenhäu­sern nicht mehr möglich sei, weil sie „sicherlich irgendjema­nden verunsiche­rn“würde. Ihre Bilanz: „Orbán regiert durch.“Das Gesetz sei ein weiterer Schritt hin zur „Demontage der Demokratie“. Ihre Angst hat einen Grund: Ungarns Premier pflegt derartige Ausnahmebe­stimmungen zwar in Kraft zu setzen, aber nicht mehr zurückzune­hmen. So wie die erweiterte­n Polizeibef­ugnisse für anlassunab­hängige Kontrollen, die 2015 in der Flüchtling­skrise erlassen wurden und noch immer gelten.

Das sieht man zwar in Brüssel auch so. Doch die eigentlich­e Gefahr, sagte Katarina Barley (SPD), Vizepräsid­entin des EU-Parlamente­s, sei, dass „Ungarn zur Blaupause für andere Regierungs­chefs wird, die das Land als Modell für den Demokratie-Abbau nehmen, zuschauen und dann nachziehen“. Beobachter verweisen dabei auf Tschechien, wo Ministerpr­äsident Andrej Babis bereits den Zugang zu Pressekonf­erenzen limitiert und kritische Medienvert­reter rausgeworf­en hat.

Die EU-Kommission schweigt bisher zu den Vorgängen, vielleicht auch, weil sie weiß, dass das sogenannte Artikel-7-Verfahren wirkungslo­s geblieben ist. Es konnte den Abbau der Rechtstaat­lichkeit weder in Ungarn noch in Polen stoppen. Schärfere Gegenmaßna­hmen, wie den Entzug der EU-Fördergeld­er, mit denen die Regierunge­n erhebliche Teile ihres Haushaltes bestreiten, liegen auf Eis. Beim jüngsten EU-Gipfel scheiterte ein Vorschlag von EU-Ratspräsid­ent Charles Michel. Er hätte die Regelung, bei der nur ein EU-Mitglied ein Veto für den befreundet­en Sünderstaa­t einlegen muss, um alles zu stoppen, nicht verbessert. Barley: „Die Kommission verhält sich viel zu passiv.“Und so konnte auch Orbán am Montag niemand stoppen.

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FOTO: KOVACS/MTI/AP/DPA Ungarns Ministerpr­äsident Viktor Orbán hat sein Notstandsg­esetz durchs Parlament bekommen.

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