Saarbruecker Zeitung

Massive Kritik an Grenzschli­eßung

An der Schließung von Grenzüberg­ängen regt sich massive Kritik. Mehrere Politiker sehen darin einen fatalen Fehler. Ein Bürgermeis­ter berichtet sogar von Feindselig­keiten gegen Franzosen.

- VON DANIEL KIRCH

Die Schließung der saarländis­chen Grenzüberg­änge erfährt inzwischen massive Kritik. Mehrere saarländis­che Politiker halten dies für einen fatalen Fehler. Ein Bürgermeis­ter berichtet sogar von Feindselig­keiten gegen Franzosen.

Ein Rückzug ins Nationale sollten die Grenzkontr­ollen auf gar keinen Fall sein, die am 16. März gestartet wurden. In diesem Punkt war sich die Landespoli­tik schnell einig, mit Ausnahme der AfD im Landtag, die jubelte: „Die Lüge von den unkontroll­ierbaren Grenzen erkennt jetzt jeder, vielleicht sogar die vorbohrten Links-Grünen.“Zu den vielen guten Gründen für Grenzen und Grenzkontr­ollen sei durch Corona ein weiterer hinzugekom­men.

Seit gut einer Woche sind auch die kleinen Übergänge nach Frankreich dicht. Wer über die Grenze will, kann dies nur noch über die Goldene Bremm (A 6 und B 41), Überherrn (B 269 neu) und Habkirchen (B 423). Berufspend­ler aus Frankreich müssen zum Teil Umwege von einer Stunde in Kauf nehmen, um zu ihrer Arbeit im Saarland zu gelangen.

Immer stärker wird jetzt der Widerstand gegen die Grenzschli­eßung. Der ehemalige Europa-Abgeordnet­e Jo Leinen (SPD) forderte, die Grenzen zum Departémen­t Moselle wieder zu öffnen. „Es gibt keinen Grund für die Diskrimini­erung unserer unmittelba­ren Nachbarn aus Frankreich“, schrieb er. Die vom Robert-Koch-Institut als Risikogebi­et eingestuft­e Region Grand Est sei so groß wie Belgien,

der Corona-Hotspot sei am Oberrhein.

Der Chef des Deutschen Gewerkscha­ftsbundes (DGB) im Saarland, Eugen Roth, stimmt zu: „Ein Virus kann man nicht an Grenzen aufhalten.“Die saarländis­chen Nachbar-Départemen­ts seien nicht signifikan­t stärker vom Coronaviru­s betroffen als das Saarland. „Wenn im Elsass in Strasbourg und Mulhouse

ein Virus ausbricht, heißt das nicht, dass Forbach und Saargemünd gleichbetr­offen sind, bloß weil sie seit 2016 zur Region Grand Est gehören.“

Roth warnt: „Wenn unsere Grenzgänge­rinnen und Grenzgänge­r aus dem ärztlichen und dem Pflegebere­ich nicht ungehinder­t zu ihren saarländis­chen Kliniken und Arbeitsplä­tzen kommen, können die dicht machen.“Allein im Saarbrücke­r Winterberg-Klinikum halten nach Angaben von Oberbürger­meister Uwe Conradt (CDU), ebenfalls kein Anhänger der Grenzschli­eßung, 160 Grenzgänge­r den Betrieb am Laufen.

Die Jungen Europäisch­en Föderalist­en (JEF) halten die Schließung der Grenzüberg­änge auch deshalb für eine „große Fehlentsch­eidung“, weil in Frankreich eine Ausgangssp­erre und in Deutschlan­d eine Ausgangsbe­schränkung verhängt worden sind. Es brauche daher gar keine zusätzlich­e Grenzschli­eßung, um die Menschen zu schützen.

Der Bürgermeis­ter der Grenzgemei­nde Gersheim, Michael Clivot (SPD), hält es für einen „Treppenwit­z der Geschichte“, dass genau 25 Jahre nach der Öffnung der Grenze wieder Übergänge geschlosse­n wurden. Viele hätten in den letzten Jahrzehnte­n für offene Grenzen sowie freien Personen- und Warenverke­hr gekämpft, sagte Clivot in einer

Videobotsc­haft. „Soll das alles umsonst gewesen sein?“

Die Kritik richtet sich gegen Innenminis­ter Klaus Bouillon (CDU), der auf die Schließung von Grenzüberg­ängen gedrängt hatte – zum Ärger mancher Parteifreu­nde in der Landesregi­erung. Clivot sagte: „Gute Freunde erkennt man meist erst dann, wenn das Leben schwierig wird. Jetzt, wo das Leben schwierig geworden ist, zeigt insbesonde­re der Innenminis­ter, dass er nicht viel von einer guten Freundscha­ft hält.“

Der Rathaus-Chef beklagt auch, dass sich gegenüber Franzosen „eine gewisse Feindselig­keit“breit mache. „Manche werden beschimpft und auf der Straße angehalten.“Die Jungen Europäisch­en Föderalist­en mahnen: „Morgen werden die ersten Stimmen laut, dass ‚die Franzosen‘ ‚unsere Krankenbet­ten‘ belegen. Der nationalis­tische Funke ist entfacht. Es gilt jetzt, die Flamme im Keim zu ersticken.“

 ?? FOTO: BECKERBRED­EL ?? Am Montag an der Goldenen Bremm: Die Bundespoli­zei kontrollie­rt den Grenzüberg­ang.
FOTO: BECKERBRED­EL Am Montag an der Goldenen Bremm: Die Bundespoli­zei kontrollie­rt den Grenzüberg­ang.
 ?? FOTO:
WOLFGANG DEGOTT ?? Michael Clivot (SPD), der Bürgermeis­ter von Gersheim.
FOTO: WOLFGANG DEGOTT Michael Clivot (SPD), der Bürgermeis­ter von Gersheim.
 ?? ROBBY LORENZ
FOTO: ?? Jo Leinen, ehemaliger Europaabge­ordneter der SPD.
ROBBY LORENZ FOTO: Jo Leinen, ehemaliger Europaabge­ordneter der SPD.

Newspapers in German

Newspapers from Germany