Saarland verlängert Ausgangsbeschränkung
Statt bis Freitag sollen die Einschränkungen jetzt bis zum 20. April gelten. Die Regierung hält das für alternativlos. Aus dem Landtag kommt Kritik.
Zur Bekämpfung des Coronavirus bleiben die Ausgangsbeschränkungen im Saarland bis zum 20. April in Kraft. Das beschloss der Ministerrat am Montag. Die Vorgabe, die zum weitgehenden Verzicht auf Begegnungen anhält und das Verlassen der eigenen Wohnung nur bei triftigen Gründen wie der Ausübung des Berufs, einem Arztbesuch oder einem Einkauf gestattet, wäre ansonsten an diesem Freitag, 3. April, ausgelaufen. Ministerpräsident Tobias Hans (CDU) erklärte, die Lage bleibe trotz erster Erfolge aufgrund steigender Infektionszahlen sehr ernst. „Wenn wir die Maßnahmen zu früh lockern, riskieren wir einen Rückfall und würden damit sträflich aufs Spiel setzen, was wir an Zeit gewonnen haben. Handeln wir jetzt nicht entschlossen, beginnen wir am Ende von vorn.“Wirtschaftsministerin Anke Rehlinger (SPD) warnte: „Ein vorschnelles Aufheben der getroffenen Maßnahmen wäre fahrlässig und könnte viele Menschenleben gefährden.“Für die Zeit nach dem 20. April müsse das weitere Vorgehen bundesweit koordiniert werden.
Aus dem Landtag kommt erstmals grundsätzliche Kritik an den Ausgangsbeschränkungen. Der Linken-Innenpolitiker Dennis Lander erklärte, für die Maßnahme gebe es momentan keine Rechtsgrundlage. Die in 75 Jahren erkämpften Freiheitsrechte würden „präventiv und ohne das Parlament“über Bord geworfen. „Wir müssen uns klarmachen, dass jetzt getroffene Entscheidungen auch in Zukunft bei der nächsten vielleicht nicht so schlimm verlaufenden Tiergrippe Einfluss haben“, erklärte Lander.
Beim Verwaltungsgericht des Saarlandes sind indes eine Klage und ein Eilantrag gegen die Allgemeinverfügung eingegangen. Sie sind aber hinfällig, weil der Ministerrat alle Allgemeinverfügungen in eine neue Rechtsverordnung überführt hat. Diese müsste auf einem anderen juristischen Weg angegriffen werden.
„Wenn wir die Maßnahmen zu früh lockern, riskieren wir einen Rückfall.“Tobias Hans (CDU) Ministerpräsident des Saarlandes
Durch die Corona-Krise sehen sich Regierungen zu drastischen Maßnahmen gezwungen. In Teilen Deutschlands gelten seit einer Woche Regelungen, die die Bevölkerung in ihren Grundrechten einschränken. So haben etwa die bayerische und die saarländische Landesregierung Ausgangsbeschränkungen angeordnet. Doch ist dies rechtmäßig? Darüber streiten die Rechtsgelehrten. Eine abschließende Bewertung vorzunehmen, ist jedoch schwierig. Aus Rechtskreisen verlautet die Warnung vor juristischen Schnellschüssen.
Von einer echten Ausgangssperre kann in Deutschland keine Rede sein. Die Regierungschefs der Länder haben sich auf eine Ausgangsbeschränkung verständigt. Sie wird von der saarländischen wie der bayrischen Landesregierung mit Paragraf 28 des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) begründet. Darin heißt es, die zuständige Behörde dürfe „die notwendigen Schutzmaßnahmen“ergreifen, „solange es zur Verhinderung der Verbreitung übertragbarer Krankheiten erforderlich“sei. Die Schutzmaßnahmen sind in den nachfolgenden Paragrafen geregelt und umfassen Auflagen für potenziell Erkrankte wie Beobachtung, berufliche Tätigkeitsverbote und die Isolation in Krankenhäusern oder zu Hause. Weiterhin kann die Behörde „Personen verpflichten, den Ort, an dem sie sich befinden, nicht zu verlassen oder von ihr bestimmte Orte nicht zu betreten, bis die notwendigen Schutzmaßnahmen durchgeführt worden sind“. Doch die konkrete Rechtsgrundlage hierfür ist umstritten. Insbesondere diskutieren Rechtsexperten, ob der Paragraf eine ausreichende Basis für Aufenthaltsbeschränkungen abgibt.
Die Juniorprofessorin Anika Klafki von der Universität Jena ist Expertin für rechtliche Regelungen bei Pandemien. Sie argumentiert im Wissenschaftsblog „Junge Wissenschaft im öffentlichen Recht“( Juwiss), dass nicht davon auszugehen sei, dass jeder Mensch ein potenzieller Infektionsträger sei. Dies sei aber laut Bundesverwaltungsgericht eine notwendige Bedingung für eine allgemeine Quarantäne. Auch müssten die Maßnahmen auf eine sehr kurze Dauer beschränkt sein. Zudem betreffe die Vorschrift „vorübergehende Fälle, wie etwa die Anordnung, ein Flugzeug oder ein Passagierschiff nicht zu verlassen“. Eine Ausgangsbeschränkung gehe weit darüber hinaus. Auch die Generalklausel „allgemeine Schutzmaßnahmen“– eine absichtlich weit und auslegungsbedürftig gefasste Formulierung in Gesetzestexten – könne nicht gelten, da eine Ausgangsbeschränkung „dafür zu eingriffsintensiv“sei. Der Gesetzgeber müsse hier eine spezielle Rechtsnorm schaffen.
Doch es gibt in juristischen Kreisen durchaus Gegenpositionen, die in einem zeitlich beschränkten Rückgriff auf die Generalklausel eine tragfähige Position sehen, um den Staat in Krisenzeiten handlungsfähig zu halten. Allerdings können an dieser Stelle nur Gerichte für Klarheit sorgen. Hierzu hat das Verwaltungsgericht München in einer ersten Prüfung festgestellt, dass der Paragraf in seiner derzeitig gültigen Form keine Einschränkung des Freizügigkeitsrechts erlaubt. Da es im Saarland bislang um Allgemeinverfügungen ging, und diese Verwaltungsakte
sind, gilt jedoch: Die Verhaltensgebote bleiben solange wirksam, bis eine Aufhebung durch die Behörde oder ein Gericht erfolgt – auch wenn sie womöglich rechtswidrig sind. Diese Allgemeinverfügungen hat die Landesregierung nun in einer Rechtsverordung zusammengefasst, die ab diesem Mittwoch gelten soll und die Ausgangsbeschränkungen, die ursprünglich bis kommenden Freitag befristet waren, bis zum 20. April verlängert.
Die letzte verbleibende Möglichkeit der rechtlichen Untermauerung der Einschränkungen ist nach Angaben von Anika Klafki der Rückgriff auf den Katastrophenschutz. Dieser wiederum sei Ländersache, der Bund dürfe lediglich unterstützend tätig werden. Ansonsten enthielten die Katastrophenschutzgesetze der Länder „überwiegend organisationsrechtliche Bestimmungen“, jedoch keine Passagen, auf die sich eine Ausgangsbeschränkung stützen ließe.
Dem widerspricht Fiete Kalscheuer, Fachanwalt für Verwaltungsrecht und Dozent am juristischen Repetitorium Alpmann Schmidt in Kiel in einem Beitrag im Expertenform „Beck-community“. Kalscheuer argumentiert mit dem sogenannten „Chaosgedanken“. Das Bundesverwaltungsgericht habe hierzu im Januar 2019 entschieden, „man könne sich für einen Übergangszeitraum auf eine rechtswidrige Rechtsgrundlage stützen, wenn ansonsten ein Zustand entstünde, der von der verfassungsmäßigen Ordnung noch weiter entfernt ist, als die bisherige Lage“. Seiner Einschätzung nach treffe das auch im Falle der Ausgangsbeschränkung zu. Dennoch sollte der Bund eine „gesetzliche Grundlage für eine Ausgangssperre schaffen“, befindet Kalscheuer.
Laut Expertenmeinung müssen die Regelungen im Saarland jeweils einer eigenständigen Bewertung, auch in Bezug auf ihre Verhältnismäßigkeit, unterzogen werden. Derzeit befindet sich eine Änderung des Paragrafen 28 im Gesetzgebungsverfahren, die Regelungen werden unter Zeitdruck nachjustiert. Produktion dieser Seite: Manuel Görtz, Robby Lorenz Frauke Scholl