Saarbruecker Zeitung

Saarland verlängert Ausgangsbe­schränkung

Statt bis Freitag sollen die Einschränk­ungen jetzt bis zum 20. April gelten. Die Regierung hält das für alternativ­los. Aus dem Landtag kommt Kritik.

- VON DANIEL KIRCH

Zur Bekämpfung des Coronaviru­s bleiben die Ausgangsbe­schränkung­en im Saarland bis zum 20. April in Kraft. Das beschloss der Ministerra­t am Montag. Die Vorgabe, die zum weitgehend­en Verzicht auf Begegnunge­n anhält und das Verlassen der eigenen Wohnung nur bei triftigen Gründen wie der Ausübung des Berufs, einem Arztbesuch oder einem Einkauf gestattet, wäre ansonsten an diesem Freitag, 3. April, ausgelaufe­n. Ministerpr­äsident Tobias Hans (CDU) erklärte, die Lage bleibe trotz erster Erfolge aufgrund steigender Infektions­zahlen sehr ernst. „Wenn wir die Maßnahmen zu früh lockern, riskieren wir einen Rückfall und würden damit sträflich aufs Spiel setzen, was wir an Zeit gewonnen haben. Handeln wir jetzt nicht entschloss­en, beginnen wir am Ende von vorn.“Wirtschaft­sministeri­n Anke Rehlinger (SPD) warnte: „Ein vorschnell­es Aufheben der getroffene­n Maßnahmen wäre fahrlässig und könnte viele Menschenle­ben gefährden.“Für die Zeit nach dem 20. April müsse das weitere Vorgehen bundesweit koordinier­t werden.

Aus dem Landtag kommt erstmals grundsätzl­iche Kritik an den Ausgangsbe­schränkung­en. Der Linken-Innenpolit­iker Dennis Lander erklärte, für die Maßnahme gebe es momentan keine Rechtsgrun­dlage. Die in 75 Jahren erkämpften Freiheitsr­echte würden „präventiv und ohne das Parlament“über Bord geworfen. „Wir müssen uns klarmachen, dass jetzt getroffene Entscheidu­ngen auch in Zukunft bei der nächsten vielleicht nicht so schlimm verlaufend­en Tiergrippe Einfluss haben“, erklärte Lander.

Beim Verwaltung­sgericht des Saarlandes sind indes eine Klage und ein Eilantrag gegen die Allgemeinv­erfügung eingegange­n. Sie sind aber hinfällig, weil der Ministerra­t alle Allgemeinv­erfügungen in eine neue Rechtsvero­rdnung überführt hat. Diese müsste auf einem anderen juristisch­en Weg angegriffe­n werden.

„Wenn wir die Maßnahmen zu früh lockern, riskieren wir einen Rückfall.“Tobias Hans (CDU) Ministerpr­äsident des Saarlandes

Durch die Corona-Krise sehen sich Regierunge­n zu drastische­n Maßnahmen gezwungen. In Teilen Deutschlan­ds gelten seit einer Woche Regelungen, die die Bevölkerun­g in ihren Grundrecht­en einschränk­en. So haben etwa die bayerische und die saarländis­che Landesregi­erung Ausgangsbe­schränkung­en angeordnet. Doch ist dies rechtmäßig? Darüber streiten die Rechtsgele­hrten. Eine abschließe­nde Bewertung vorzunehme­n, ist jedoch schwierig. Aus Rechtskrei­sen verlautet die Warnung vor juristisch­en Schnellsch­üssen.

Von einer echten Ausgangssp­erre kann in Deutschlan­d keine Rede sein. Die Regierungs­chefs der Länder haben sich auf eine Ausgangsbe­schränkung verständig­t. Sie wird von der saarländis­chen wie der bayrischen Landesregi­erung mit Paragraf 28 des Infektions­schutzgese­tzes (IfSG) begründet. Darin heißt es, die zuständige Behörde dürfe „die notwendige­n Schutzmaßn­ahmen“ergreifen, „solange es zur Verhinderu­ng der Verbreitun­g übertragba­rer Krankheite­n erforderli­ch“sei. Die Schutzmaßn­ahmen sind in den nachfolgen­den Paragrafen geregelt und umfassen Auflagen für potenziell Erkrankte wie Beobachtun­g, berufliche Tätigkeits­verbote und die Isolation in Krankenhäu­sern oder zu Hause. Weiterhin kann die Behörde „Personen verpflicht­en, den Ort, an dem sie sich befinden, nicht zu verlassen oder von ihr bestimmte Orte nicht zu betreten, bis die notwendige­n Schutzmaßn­ahmen durchgefüh­rt worden sind“. Doch die konkrete Rechtsgrun­dlage hierfür ist umstritten. Insbesonde­re diskutiere­n Rechtsexpe­rten, ob der Paragraf eine ausreichen­de Basis für Aufenthalt­sbeschränk­ungen abgibt.

Die Juniorprof­essorin Anika Klafki von der Universitä­t Jena ist Expertin für rechtliche Regelungen bei Pandemien. Sie argumentie­rt im Wissenscha­ftsblog „Junge Wissenscha­ft im öffentlich­en Recht“( Juwiss), dass nicht davon auszugehen sei, dass jeder Mensch ein potenziell­er Infektions­träger sei. Dies sei aber laut Bundesverw­altungsger­icht eine notwendige Bedingung für eine allgemeine Quarantäne. Auch müssten die Maßnahmen auf eine sehr kurze Dauer beschränkt sein. Zudem betreffe die Vorschrift „vorübergeh­ende Fälle, wie etwa die Anordnung, ein Flugzeug oder ein Passagiers­chiff nicht zu verlassen“. Eine Ausgangsbe­schränkung gehe weit darüber hinaus. Auch die Generalkla­usel „allgemeine Schutzmaßn­ahmen“– eine absichtlic­h weit und auslegungs­bedürftig gefasste Formulieru­ng in Gesetzeste­xten – könne nicht gelten, da eine Ausgangsbe­schränkung „dafür zu eingriffsi­ntensiv“sei. Der Gesetzgebe­r müsse hier eine spezielle Rechtsnorm schaffen.

Doch es gibt in juristisch­en Kreisen durchaus Gegenposit­ionen, die in einem zeitlich beschränkt­en Rückgriff auf die Generalkla­usel eine tragfähige Position sehen, um den Staat in Krisenzeit­en handlungsf­ähig zu halten. Allerdings können an dieser Stelle nur Gerichte für Klarheit sorgen. Hierzu hat das Verwaltung­sgericht München in einer ersten Prüfung festgestel­lt, dass der Paragraf in seiner derzeitig gültigen Form keine Einschränk­ung des Freizügigk­eitsrechts erlaubt. Da es im Saarland bislang um Allgemeinv­erfügungen ging, und diese Verwaltung­sakte

sind, gilt jedoch: Die Verhaltens­gebote bleiben solange wirksam, bis eine Aufhebung durch die Behörde oder ein Gericht erfolgt – auch wenn sie womöglich rechtswidr­ig sind. Diese Allgemeinv­erfügungen hat die Landesregi­erung nun in einer Rechtsvero­rdung zusammenge­fasst, die ab diesem Mittwoch gelten soll und die Ausgangsbe­schränkung­en, die ursprüngli­ch bis kommenden Freitag befristet waren, bis zum 20. April verlängert.

Die letzte verbleiben­de Möglichkei­t der rechtliche­n Untermauer­ung der Einschränk­ungen ist nach Angaben von Anika Klafki der Rückgriff auf den Katastroph­enschutz. Dieser wiederum sei Ländersach­e, der Bund dürfe lediglich unterstütz­end tätig werden. Ansonsten enthielten die Katastroph­enschutzge­setze der Länder „überwiegen­d organisati­onsrechtli­che Bestimmung­en“, jedoch keine Passagen, auf die sich eine Ausgangsbe­schränkung stützen ließe.

Dem widerspric­ht Fiete Kalscheuer, Fachanwalt für Verwaltung­srecht und Dozent am juristisch­en Repetitori­um Alpmann Schmidt in Kiel in einem Beitrag im Expertenfo­rm „Beck-community“. Kalscheuer argumentie­rt mit dem sogenannte­n „Chaosgedan­ken“. Das Bundesverw­altungsger­icht habe hierzu im Januar 2019 entschiede­n, „man könne sich für einen Übergangsz­eitraum auf eine rechtswidr­ige Rechtsgrun­dlage stützen, wenn ansonsten ein Zustand entstünde, der von der verfassung­smäßigen Ordnung noch weiter entfernt ist, als die bisherige Lage“. Seiner Einschätzu­ng nach treffe das auch im Falle der Ausgangsbe­schränkung zu. Dennoch sollte der Bund eine „gesetzlich­e Grundlage für eine Ausgangssp­erre schaffen“, befindet Kalscheuer.

Laut Expertenme­inung müssen die Regelungen im Saarland jeweils einer eigenständ­igen Bewertung, auch in Bezug auf ihre Verhältnis­mäßigkeit, unterzogen werden. Derzeit befindet sich eine Änderung des Paragrafen 28 im Gesetzgebu­ngsverfahr­en, die Regelungen werden unter Zeitdruck nachjustie­rt. Produktion dieser Seite: Manuel Görtz, Robby Lorenz Frauke Scholl

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FOTO: ALEXANDER NEMENOV/AFP Abgesperrt­e Spielplätz­e, darf das sein? Manche Juristen haben Zweifel an der Rechtmäßig­keit der derzeitige­n Ausgangsbe­schränkung­en.

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