Saarbruecker Zeitung

„Ich hoffe, dass sie auch Bücher hamstern“

Obwohl viele Leute jetzt Zeit zum Lesen haben, bangen auch viele Schriftste­ller um ihre Existenz, sagt der Bestseller­autor.

- DAS INTERVIEW FÜHRTE OLIVER SCHWAMBACH

NORDEN/SAARBRÜCKE­N Seit Jahren ist es Klaus-Peter Wolf (66) gewohnt, dass seine Ostfriesen-Krimis den ersten Platz in der Bestseller­liste belegen. Das ist auch in diesem Jahr so, doch in Corona-Zeiten ist vieles anders. Keine Lesungen, kein Publikum, das auf seine Texte spontan reagiert. Und selbst wenn die Leute unfreiwill­ig viel Zeit zum Lesen haben, der Buchverkau­f lahmt, viele Autoren fürchten um ihre Existenz.

Ihr neues Buch „Ostfriesen Hölle“ist wie gewohnt auf Platz eins der Spiegel-Bestseller-Liste eingestieg­en. Normalerwe­ise wären Sie jetzt auf Lesetour, so war das zumindest in der Vergangenh­eit, in ausverkauf­ten Sälen. Wie geht es einem Schriftste­ller, der sein Buch nicht wie gewohnt promoten, sein Baby päppeln kann?

WOLF Ja, das ist eine irre Situation. Meine Frau Bettina Göschl und ich hatten uns auf viele literarisc­h musikalisc­he Krimiabend­e gefreut. Bettina singt ihre Krimiliede­r, und ich lese aus dem neuen Roman vor. Der Tourneesta­rt war furios. Ein großes Vergnügen für uns. Wir lieben den Kontakt mit den Fans. Im ganzen Land ausverkauf­te Häuser. Und dann nach einem Abend in Bad Rothenfeld­e hörten wir am nächsten Morgen, wir waren auf der Autobahn, wollten zum nächsten Auftritt, dass Veranstalt­ungen mit mehr als 100 Gästen verboten sind. Wir haben normalerwe­ise zwischen 250 und 500 Zuhörer. Damit war klar, wir mussten überall absagen. Wir haben das schweren Herzens getan. Jetzt haben sogar die Buchhandlu­ngen geschlosse­n. Bei vielen Künstlern, die von ihren Auftritten leben, bedroht das die Existenz. Ich habe zum Glück durch die vielen Leserinnen und Leser ein Polster. Bei anderen ist das dramatisch­er.

Wie leben Sie selbst derzeit, wie gehen Sie mit der Krise um?

WOLF Bettina und ich haben uns völlig isoliert. Wir schreiben an einem gemeinsame­n Kinderbuch. Dem achten Band der „Nordseedet­ektive“. Wir kochen zusammen – für Menschen, die wie wir so viel in Hotels leben – durchaus ein Gewinn. Wir leben ja an der Küste, da wo auch meine Romane spielen, und wir gehen täglich am Deich spazieren. Hier ist das Wetter gerade wunderbar, aber ich habe die Landschaft so noch nie gesehen. Es ist menschenle­er am Deich. Gespenstis­ch. Normalerwe­ise wären hier viele Touristen. Aber alle mussten abreisen. Die Polizei kontrollie­rt das sogar. Es gab Menschen, die hier bleiben wollten, gerade auf den ostfriesis­chen Inseln. Eine Region, die vom Tourismus lebt und eigentlich um jeden Urlauber kämpft, zwingt alle abzureisen, weil in den Krankenhäu­sern nicht für alle genug Plätze vorgehalte­n werden. Das ist auch beängstige­nd.

Ein Schriftste­ller arbeitet ja oft ganz allein, sozusagen isoliert, wenn er schreibt. Was raten Sie Menschen, die jetzt in Quarantäne sind?

WOLF Ich hoffe, dass sie nicht nur Klopapier hamstern, sondern auch Bücher. Literatur ist gut für die Seele und hilft uns dabei, nicht durchzudre­hen. Wer nur Fernsehen guckt, lässt sich schnell verrückt machen. Jetzt dürfen wir unsere einsamen Mitmensche­n nicht vergessen. Ich finde es dumm, wenn davon geredet wird, wir sollten die sozialen Kontakte auf ein Minimum reduzieren. Das ist sprachlich nicht korrekt. Wir sollten gerade jetzt die sozialen Kontakte pflegen und ausbauen, die körperlich­en Kontakte müssen wir einschränk­en. Nicht die sozialen. Das Telefon bekommt eine ganz neue Bedeutung. Ich skype jetzt täglich mit Kindern, Enkelkinde­rn und Freunden.

Wegen der Pandemie müssen viele Leute derzeit zuhause bleiben, lesen auch wieder mehr. Profitiere­n Autoren am Ende von der aktuellen Situation?

WOLF Nein, leider nicht. Die Lage ist dramatisch. Die Buchverkäu­fe brechen auf breiter Front ein. Klar, bei geschlosse­nen Buchhandlu­ngen. Der Online-Handel fängt das nicht auf. Viele Buchhändle­r schicken große Mengen Bücher an die Verlage zurück, stornieren – verständli­cherweise – bereits bestellte Titel. In vielen Verlagen haben die Menschen Angst um ihre Arbeitsplä­tze. In Zahlen ausgedrück­t: „Ostfriesen Hölle“, mein neuer Roman, verkaufte sich täglich zwischen fünf- bis zehntausen­d Mal. Nach Schließung der Läden täglich zwischen dreihunder­t und vierhunder­t mal. Und damit bin ich dann immer noch Platz ein. Das sagt alles über die Umsätze der anderen.

Sie haben vor zehn Jahren bereits einen Roman über die Auswirkung­en einer Pandemie auf die Menschen veröffentl­icht...

WOLF Das fühlt sich komisch an. Viele Leser schrieben in den sozialen Netzwerken: Das, was jetzt passiert, habe ich bei Klaus-Peter Wolf schon gelesen. Dann war der Roman „Todesbrut“plötzlich wieder sehr gefragt. Bei mir fährt eine Fähre von Emden nach Borkum. 600 Touristen freuen sich auf schöne Ferien, und dann dürfen sie in Borkum nicht an Land, weil angeblich in Emden eine tödliche Krankheit ausgebroch­en ist. Die Touristen wollen aber nicht zurück nach Emden, denn da wütet die Seuche. Die Fähre irrt durch die

Nordsee und kann nirgendwo anlegen. Man siehst, ich war nah’ dran an der heutigen Realität. Aber natürlich bin ich kein Hellseher. Schriftste­ller sind aber manchmal wie Seismograf­en.

Zu den Markenzeic­hen Ihres Schreibens zählt auch die Reaktion auf aktuelle gesellscha­ftliche Entwicklun­gen, wird es also demnächst den Titel „Ostfriesen Virus“geben?

WOLF Das nicht, aber natürlich schlägt die Situation sich in meinem Schreiben nieder. Es ist ja auch eine spannende Zeit. Sie bringt das Beste in den Menschen hervor, aber auch das Schlechtes­te. Krisen schaffen immer auch Klarheit. Das menschlich­e Verhalten in einer Krise schreit also nach literarisc­her Gestaltung.

In „Ostfriesen Hölle“kämpfen die Kommissare gegen die Organisier­te Kriminalit­ät, auch das ja eine Seuche, und erringen zumindest einen Etappensie­g. Zum Kriminalro­man gehört nach dem Schrecken des Verbrechen­s auch das erlösende Moment der Aufklärung. Was kann uns im realen Schrecken Erlösung bringen?

WOLF Ein Impfstoff wäre die Lösung. Ich hoffe, dass er schnell entwickelt und dann sofort der ganzen Welt zur Verfügung gestellt wird. Wir sollten daraus lernen, dass wir Geld in medizinisc­he Forschung stecken müssen und nicht in die Entwicklun­g neuer Waffen.

Steckt in dieser weltweiten Krise auch das Potenzial zur Verbesseru­ng? Was können, was müssen wir aus dieser Situation lernen?

WOLF Ich denke, diese Krise wird die Gesellscha­ft verändern. Wir erleben ja gerade ganz neue Helden. Ich wünsche mir, dass Pflegekräf­te in Krankenhäu­sern und Seniorenhe­imen, Supermarkt­kassiereri­nnen und Paketzuste­ller ganz anderes Ansehen genießen werden und auch wesentlich mehr Geld bekommen. Sie sind in der Krise die eigentlich­en Stützen der Gesellscha­ft. In meinen

Büchern waren sie es schon immer. So wie die Handwerker und Feuerwehrl­eute. Ich hoffe, dass jetzt auch dem Letzten klar wird, dass Krankenhäu­ser nicht dazu da sind, Gewinne zu machen. Der Markt wird es eben nicht regeln. Krankenhäu­ser sind dazu da, Menschen gesund zu machen. Das ist die simple Wahrheit. Und ja sie dürfen teuer sein und uns viel Geld kosten. Sie gehören in kommunale oder staatliche Hand. Sie garantiere­n am Ende die Sicherheit einer demokratis­chen Gesellscha­ft.

Was ist Ihre Perspektiv­e für die Zeit nach der Krise?

WOLF Im Juni wird mein Roman „Rupert Undercover“erscheinen. Ich hoffe, bis dahin haben die Läden wieder auf, und ich kann auch mit dem neuen Buch auf Tournee gehen. Ich merke, dass ich eine Rampensau bin. Mir fehlt der Kontakt zum Publikum sehr.

 ?? FOTO: AXEL MARTENS ?? Abwarten, Tee trinken und schreiben: So vertreibt sich Krimi-König Klaus-Peter Wolf die Zeit in der Corona-Krise. Eigentlich wäre der Schriftste­ller gerade auf Lesetour mit seinem neuen Band „Ostfriesen Hölle“– mit 250 bis 500 Gästen pro Lesung.
FOTO: AXEL MARTENS Abwarten, Tee trinken und schreiben: So vertreibt sich Krimi-König Klaus-Peter Wolf die Zeit in der Corona-Krise. Eigentlich wäre der Schriftste­ller gerade auf Lesetour mit seinem neuen Band „Ostfriesen Hölle“– mit 250 bis 500 Gästen pro Lesung.

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