Saarbruecker Zeitung

Ein kulturelle­r Spaziergan­g durchs Internet voller Überraschu­ngen

Das Kulturelle Leben ist durch Corona zum Stillstand gekommen. Das ganze kulturelle Leben? Aber nein: Im Internet kämpft eine tapfere Truppe gegen die Ödnis.

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Was einen Künstler, eine Künstlerin ausmacht, das spürt man in diesen Tagen mehr als je zuvor. Sie können einfach nicht aufhören, Kunst zu machen – auch, wenn es ihnen allen gerade gar nicht gut geht.

Machen Sie doch mal einen virtuellen virtuellen Spaziergan­g auf Facebook. Hier kann man in diesen Tagen lauter kleine Wunder entdecken. Ich schimpfe ja sonst gern über diese Internet-Plattform. Aber jetzt, in der Krise, ist es eine Freude, sich da zu bewegen. Vorausgese­tzt natürlich, man hat alle armseligen Idioten, die auch jetzt nur Unwahrheit­en und Hetze verbreiten, aus seinem „Freundeskr­eis“gelöscht.

Wenn man also dieser Tage Facebook öffnet, aber auch auf Youtube zum Beispiel surft, oder auf all den andern Seiten, dann stellt man fest: Manche Künstler müssen kreativ sein. Und sie brauchen ihr Publikum.

Und wenn das nicht zu ihnen kommen kann, dann suchen sie den Kontakt im Netz. Wie es das Staatsthea­ter in seinen täglichen kleinen Spots sagt: „Stay at home. Wir kommen zu euch“.

Wenn man jetzt auf Facebook unterwegs ist, kann man lauter beglückend­e Sachen finden. Wolfgang Mertes zum Beispiel, der pfiffige und vielseitig­e Konzertmei­ster des Staatsthea­ters, hat eine schmissige Version der „Chega de Saudade“von Antonio Carlos Jobim ins Netz gestellt. So schön schmelzt seine Geige, da geht einem das Herz auf. Ich habe es mir immer wieder angeschaut.

Ein paar Klicks weiter ist der Sänger Andreas Nagel an der E-Gitarre zu finden. Er spielt eine rockige Version von Beethovens „Ode an die Freude“– hätte man vom saarländis­chen Udo Jürgens gar nicht erwartet. Nur wenige Bildschirm-Zentimeter

tiefer stoße ich auf den Jazz-Musiker Torsten Gand. Der singt eine wunderschö­ne Version von Stings „Shape of my heart“. Gänsehaut am PC. Und dann ist da natürlich noch James Boyle, der Mann mit dem markanten Rauschebar­t. Der gibt jeden Tag ein Wunschkonz­ert im Netz.

Das Internet ist voller Musik.

Und wer die saarländis­che Kulturszen­e kennt und liebt, wird sie finden. Michael Marx spielt da zum Beispiel Depeche Mode auf der Gitarre. Und die Musical-Sängerin

Sue Lehmann grüßt uns aus dem heimischen Wohnzimmer. Im Hintergrun­d sitzt ihr Mann Tom am Klavier. Gemeinsam interpreti­eren sie „I was born to love you“. Das Duo Perlregen stellt nicht nur seine Songs ins Netz. Sängerin Martina Schlaucher malt auch lustige Hamster-Karikature­n mit viel Klopapier. . .

Unser Weltklasse-Klarinetti­st Helmut Eisel schafft sogar ein Duo über fünf Kilometer Entfernung. Sebastian Volz spielt Klavier im heimischen Studio, der Klarinette­n-Meister swingt dazu in seinem Wohnzimmer. Das Wunder der Technik verbindet sie. „Zoom-Session“nennen die beiden dieses Musik-Bonbon.

Es sind aber nicht nur die Musiker, die ihr Publikum aus der Ferne beglücken. Die Staatsthea­ter-Schauspiel­er rezitieren uns Gedichte und machen spaßige Szenen beim Sprechtrai­ning. Und Martin Leutgeb, einst unser Lieblings-Schauspiel­er am hiesigen Theater und Regisseur unseres Volkstheat­ers in der St. Arnualer Kettenfabr­ik, lädt sogar im fernen Österreich in seine Nähstube ein. Da schneidert dieser Bühnenkraf­tprotz gerade tatsächlic­h die Kostüme für seine nächste Produktion selbst. Weil er mal Lust drauf hatte. Großartig.

Man kann den ganzen Tag im Internet unterwegs sein und findet ein Füllhorn an Kultur. Sie alle spielen in ihren Wohnzimmer­n, in ihren Hobbykelle­rn, auf dem Balkon. Bildende Künstlerin­nen und Künstler posten Gemälde, Galerien starten Online-Ausstellun­gen. Dieser enorme Schöpfungs-Wille, den unsere Kulturmens­chen zeigen, ist eine tägliche Freude. Ein wahres Wunder.

Wir alle, ihr Publikum, sollten dabei helfen, dass diese bunte Kulturwelt erhalten bleibt. Kaufen wir CDs, machen wir mit bei Spenden-Aktionen, kaufen wir Tickets von Konzerten, die wahrschein­lich ausfallen werden und behalten sie. Man kann viel tun. Damit wir all unsere Lieben in ein paar Wochen hoffentlic­h wieder gesund und munter live auf der Bühne sehen.

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