Saarbruecker Zeitung

„Trösten mit Abstand, das geht nicht“

Mundschutz nähen im Home-Office und Katapulte gegen das Virus: In der Krise müssen die Kitas kreative Lösungen finden.

- VON HÉLÈNE MAILLASSON

„Weißt du Claudia, man muss sich gut die Hände waschen, damit das Virus nicht kommt. Das hat mir die Mama erklärt.“Diesen Satz hat Claudia Dacharry in den vergangene­n Wochen öfter gehört. Von einem der drei Kinder, die zurzeit die Kita der Lebenshilf­e im Saarbrücke­r Stadtteil Eschberg besuchen. Seine Eltern arbeiten im Krankenhau­s und haben das Kind zu Hause über die Herausford­erungen, die das Coronaviru­s mit sich bringt, bereits aufgeklärt. Normalerwe­ise werden hier 64 Kinder von 18 Erziehern und Mitarbeite­rn betreut. „Die Corona-Krise hat unseren Alltag ganz schön auf den Kopf gestellt“, sagt die Kitaleiter­in. Von einem Tag auf den anderen schaltete die Einrichtun­g auf Krisenmodu­s. Neben dem regelmäßig­en Händewasch­en, das einfach umzusetzen war, wurde auch einiges überlegt, um das Ansteckung­srisiko auf das Mindeste zu reduzieren. „Die Eltern betreten die Räume nicht mehr, sondern holen ihre Kinder in der Gruppe über das Außengelän­de ab“, erklärt Dacharry. Doch sie stellt auch klar, wo die Grenzen im frühkindli­chen Bereich liegen. Auch wenn bei nur drei Kindern in der Betreuung viel Platz zum Spielen zur Verfügung steht, ohne dass sich die Kleinen ständig zu nahe kommen, zwei Meter sind hier nicht einzuhalte­n. Es gebe auch soviele Situatione­n im Kita-Alltag, in denen die Kinder die Nähe der Erzieher brauchen, wie zum Beispiel die Schlafbegl­eitung nach dem Mittagesse­n, oder wenn sie sich beim Spielen weh getan haben. „Trösten mit Abstand, das geht nicht“, sagt Dacharry. In ihrer Einrichtun­g tragen die Erzieher keine Masken. Diejenigen, die zur Risikogrup­pe gehören, arbeiten ausschließ­lich zu Hause. Sie lesen Fachlitera­tur,

bereiten neue Projekte vor, bilden sich weiter mit Best-Practice-Beispielen aus anderen Kitas, nehmen Videobotsc­haften für die Geburtstag­skinder auf. „An Ostern haben sie ein Dossier mit Bastelanle­itungen zusammenge­stellt und online hochgelade­n, damit die Eltern ihre Kinder zu Hause damit beschäftig­en können“, gibt die Leiterin ein Beispiel. Das Angebot wurde anscheinen­d gut angenommen. Zurück kamen Fotos von den Bastelwerk­en der Kleinen. „Die haben wir laminieren lassen und werden sie auf unserem Holzzaun anbringen“, sagt Dacchary. „Man versucht, so gut es geht, die Verbindung­en zu denjenigen zu halten, die zu Hause sind.“Die meisten Eltern seien froh über die Anregungen aus der Kita. Von einigen Familien, die kein Interesse daran haben, höre man seit Mitte März gar nichts mehr. „Das sind aber zum Glück wirklich Ausnahmen“, so Dacharry.

Ähnlich ist die Situation in einer anderen Kita der Lebenshilf­e auf dem Rastpfuhl. Statt 90 sind zurzeit zwölf Kinder täglich da. Ihre Eltern arbeiten in Krankenhäu­sern, aber auch bei der Polizei oder beim Zoll. „Die Kinder haben viele Fragen. Die Situation beschäftig­t sie sehr“, berichtet Kitaleiter­in Gabi Hessemer. „Es ist sehr wichtig, damit kindgerech­t umzugehen, keine Ängste zu schüren, aber auch ehrlich zu sein und nichts zu verschweig­en.“Dazu würden zum Beispiel Rollenspie­le beitragen. „In unserem Bauzimmer haben sie auch Katapulte gegen das Virus gebastelt“, sagt die Leiterin. Aber auch hier sei es kaum möglich, Abstand zu halten. Auch für das Team sei die Situation nicht einfach. Einige Eltern in den sogenannte­n „systemrele­vanten Berufen“, die ihre Kinder in die Notbetreuu­ng bringen, arbeiten mit

„Die Eltern holen

ihre Kinder in der Gruppe über das Außengelän­de ab.“

Claudia Dacharry

Kitaleiter­in

Covid-Patienten. Deshalb arbeiten ältere Mitarbeite­r oder welche mit Vorerkrank­ungen ausschließ­lich zu Hause. Sie schreiben Entwicklun­gsberichte und bereiten Elterngesp­räche vor, überarbeit­en Portfolios, nehmen an Online-Fortbildun­gen teil. Die anderen wechseln sich ab, eine Woche zu Hause, eine Woche in der Kita. „Wir sind aber Pädagogen, die Kinder und der normale Kita-Alltag fehlen uns“, stellt Hessemer fest. Das gelte auch für die Kolleginne­n in der Hauswirtsc­haft, die das rege Treiben in der Mittagspau­se

vermissen. Seitdem der Caterer aus Sicherheit­sgründen nicht mehr in die Kita kommt, wechseln auch die sich ab, um für die Kinder zu kochen. Währenddes­sen sind die anderen zu Hause, wo sie unter anderem Stoffmaske­n nähen.

Während die meisten Kinder, die zurzeit nicht die Kita besuchen dürfen, ihre Freunde und die gemeinsame­n Aktivitäte­n vermissen, trifft es eine Gruppe besonders schwer. In die Kitas der Lebenshilf­e gehen auch Kinder mit Behinderun­gen. Laut Thomas Trenz, Geschäftsf­ührer

der Lebenshilf­e Saarbrücke­n, betrifft es mehr als 40 der 230 Kinder, welche die Kitas der Einrichtun­g besuchen. „Im Besonderen brauchen Kinder mit Behinderun­gen, wie alle anderen Kinder auch, Kontakt mit anderen Kindern, um zu spielen und zu lernen“, sagt er. „Für Kinder mit besonderem Förderbeda­rf soll zukünftig darüber hinaus die Öffnung erfolgen, auch wenn die Eltern nicht einer besonderen Berufsgrup­pe angehören. Unsere Mitarbeite­r in den Kitas halten guten Kontakt zu den Eltern und Kindern. Ein wirklicher

Ersatz um Teilhabe mit anderen Kindern in Corona-Zeiten zu ermögliche­n, ist das aber nicht“, so Trenz.

Mit jedem Geschäft und jedem Unternehme­n, das seinen Betrieb wieder aufnimmt, steigt auch die Zahl der Eltern, die auf eine Betreuung in der Kita angewiesen sind. Auch Alleinerzi­ehende können jetzt einen Antrag stellen – und Haushalte, in denen beide Eltern arbeiten. Bei der Lebenshilf­e wurde die Anzahl der Notgruppen bereits erweitert, jedoch aber nicht die Anzahl der Kinder pro Gruppe.

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FOTO:LEBENSHILF­E Zurzeit besucht ein Dutzend Kinder die Notbetreuu­ng der Kita-Biber auf dem Saarbrücke­r Rastpfuhl. 90 sind es im Normalbetr­ieb.

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