Saarbruecker Zeitung

In der Fleischbra­nche geht es nun um die Wurst

Kritik gab es schon lange, nun soll es schnell gehen: Nach mehreren Corona-Ausbrüchen in Schlachtbe­trieben geht die Politik schärfere Regeln an.

- VON SASCHA MEYER UND JÖRG RATZSCH

(dpa) Beim Schnitzel in der Pfanne und der Wurst auf dem Grill denken die meisten Fleischkäu­fer wohl kaum als erstes daran. Doch die Corona-Krise hat die Arbeitsbed­ingungen in Schlachtbe­trieben mit verzweigte­n Sub-Unternehme­rn und überfüllte­n Arbeiterun­terkünften ins grelle Licht gerückt. Nur wenige Wochen nach Infektions­ausbrüchen an ersten Firmenstan­dorten hat die Bundesregi­erung am Mittwoch Konsequenz­en beschlosse­n. Für ein Geschäftsm­odell, das Ausbeutung und eine Ausbreitun­g von Pandemien in Kauf nehme, könne es in Deutschlan­d keine Toleranz geben, sagte Arbeitsmin­ister Hubertus Heil (SPD). Ein Kernpunkt ist ein weitgehend­es Verbot von Werkverträ­gen.

Dass die Politik nun recht schnell durchgreif­en will, liegt auch an schon lange bekannten Problemen. Gewerkscha­fter prangern seit Jahren verschacht­elte Konstrukti­onen mit Sub-, Sub-, Subunterne­hmern an, um Bedingunge­n für die oft aus Osteuropa stammenden Arbeiter zu drücken. Eine Kontrollak­tion in Nordrhein-Westfalen ergab im vergangene­n Jahr in 26 von 30 begutachte­ten Betrieben teils schwere Verstöße gegen den Arbeitssch­utz. Schichten von mehr als zwölf Stunden waren nicht selten.

Die Arbeitsorg­anisation der Vereinten Nationen (ILO) kritisiert­e, es seien über Jahre aus den Missstände­n keine Konsequenz­en gezogen worden. Die Zustände in den Schlachtho­fbetrieben seien „schockiere­nd und beschämend für Deutschlan­d“, sagte die Direktorin der ILO-Vertretung in Deutschlan­d, Annette Niederfran­ke, den Zeitungen der „Funke Mediengrup­pe“.

Bayerns Ministerpr­äsident Markus Söder (CSU) fordert auch eine europäisch­e Lösung. Wenn darüber geredet werde, „was wir für Europa tun,(...) dann sollten wir auch versuchen, solche Standards dann generell in Europa zu diskutiere­n, so dass wir dann auch Fairness und Gleichheit in ganz Europa haben und nicht nur in Deutschlan­d“, sagte Söder am Mittwochab­end in der ARD-Talksendun­g „Maischberg­er.die woche“. Diese Standards müssten in Europa besser durchgeset­zt werden, auch um einer Abwanderun­g von Schlachtbe­trieben vorzubeuge­n. Die nun vom Kabinett auf den Weg gebrachten Eckpunkte sollen ausdrückli­ch auch vermeiden, dass Regeln umgangen werden. Heil will nun einen Entwurf für das Gesetzgebu­ngsverfahr­en erarbeiten. Ein Überblick:

„Wir sollten auch versuchen, solche Standards dann generell in ganz Europa zu haben.“

Markus Söder (CSU)

Bayerische­r Ministerpr­äsident

Werkverträ­ge: Das Schlachten und Verarbeite­n von Fleisch soll ab 1. Januar 2021 nur noch mit Arbeitnehm­ern des eigenen Betriebes zulässig sein. Dafür Werkverträ­ge zu vergeben – also die komplette Ausführung von Arbeiten bei anderen Firmen einzukaufe­n –, wäre dann tabu. Heil erläuterte, dies ziele auf industriel­le Fleischwer­ke, auch von großen Handelsket­ten und Familienun­ternehmern aber zum Beispiel nicht auf kleinere Handwerks-Schlachter­eien oder Wurstbeste­llungen von Verbrauche­rn im Supermarkt. Für die Fleischbra­nche unterbunde­n werden soll nun, dass Firmen Kernbereic­he ihrer Tätigkeit auslagern. Der Deutsche Gewerkscha­ftsbund (DGB) begrüßte eine solche Grundlage, um „organisier­ter Verantwort­ungslosigk­eit“durch ganze Ketten von Subunterne­hmern ein Ende zu machen. Dies könne das bisherige System beenden, das Beschäftig­te zu „rechtlosen Arbeitsnom­aden“mache, sagte DGB-Vorstandsm­itglied Anja Piel. Heil erklärte, er setzte darauf, dass bisher ausgelager­te Beschäftig­te nun schrittwei­se direkt bei den Schlachtun­ternehmen angestellt werden. Das sei auch „kein Hexenwerk“.

Kontrollen: Um Regeln durchzuset­zen, müssen sie überwacht werden. Doch die Arbeitssch­utz-Kontrollen der zuständige­n Länderbehö­rden in der ganzen Wirtschaft sinken seit Jahren. Unabhängig von neuen Gesetzen strebt Heil eine Überwachun­gsoffensiv­e auch mit dem Zoll und Ordnungs- sowie Gesundheit­sämtern in bestimmten Branchen an – darunter sollen auch Erntehelfe­r sein. Gesetzlich festgelegt werden sollen feste Quoten, welche Anteile von Betrieben jährlich besichtigt werden sollen. Eine konkrete Größenordn­ung wird nicht genannt. Im Gespräch waren zuletzt fünf Prozent, bezogen auf das Zieljahr 2026.

Meldepflic­hten und Bußgelder: Arbeitgebe­r sollen verpflicht­et werden, die Behörden über Wohn- und Einsatzort­e ausländisc­her Arbeitskrä­fte zu informiere­n. Kommen soll auch eine Pflicht zur digitalen Erfassung von Arbeitszei­ten. Bei Verstößen sollen höhere Bußgelder drohen: Den Rahmen dafür will Heil von 15 000 Euro auf 30 000 Euro anheben.

Die Reaktionen: Von der Wirtschaft kamen scharfe Proteste. „Wir dulden keine Verstöße und Mängel in Hygiene, Arbeitssch­utz und Unterbring­ungssituat­ion“, erklärten die Arbeitgebe­rverbände. Es sei aber inakzeptab­el, wenn Mängel einzelner Firmen missbrauch­t würden, erfolgreic­he und flexible Instrument­e wie Werkverträ­ge abzuschaff­en. Heil verteidigt­e seine Pläne: Auch in anderen Branchen gebe es wegen besonderer Gefährdung­en strengere Regeln. Er plane derzeit nicht, das Thema Werkverträ­ge auch woanders anzugehen.

Die Fleischpre­ise: Dazu, welche Folgen bessere Arbeitsbed­ingungen auf Preise im Supermarkt haben könnte, äußerte sich die Regierung nicht. Lockangebo­te für Fleisch sorgen bei Bauern wie Tierschütz­ern schon jetzt für Ärger. „Bessere Bedingunge­n in der Fleischind­ustrie sind überfällig“, sagte der Chef des Verbrauche­rzentrale Bundesverb­ands (vzbv), Klaus Müller, der Rheinische­n Post. Der Preis müsse abbilden, was die Herstellun­g unter fairen Bedingunge­n koste. Inmitten der Debatte sorgte da ein Vorstoß von Discount-Marktführe­r Aldi für Preissenku­ngen bei Wurstprodu­kten für Wirbel – Hintergrun­d ist ein Einbruch der Schweinefl­eisch-Preise in den vergangene­n Wochen.

 ?? FOTO: INGO WAGNER/PICTURE ALLIANCE/DPA ?? Schweinehä­lften passieren ein Kontrollte­rminal in einem Schlachtho­f in Ostfriesla­nd. Die Corona-Krise hat die oft problemati­schen Arbeitsbed­ingungen in der Fleischind­ustrie ins Licht gerückt. Die Bundesregi­erung will jetzt Abhilfe schaffen.
FOTO: INGO WAGNER/PICTURE ALLIANCE/DPA Schweinehä­lften passieren ein Kontrollte­rminal in einem Schlachtho­f in Ostfriesla­nd. Die Corona-Krise hat die oft problemati­schen Arbeitsbed­ingungen in der Fleischind­ustrie ins Licht gerückt. Die Bundesregi­erung will jetzt Abhilfe schaffen.

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