„Es wäre nicht das erste Mal, dass New York abgeschrieben wird“
Der amerikanische Umweltpolitik-Professor ist davon überzeugt, dass sich die von der Corona-Epidemie so heftig heimgesuchte US-Metropole bald erholen wird.
In den USA ist die Millionenmetropole New York besonders schwer von der Corona-Krise betroffen. Bedeutet die Epidemie den Beginn einer Talfahrt für die Stadt? Unsere Zeitung sprach mit Steven Cohen (66), dem führenden Umweltpolitik-Professor an der Columbia University in New York.
Die Epidemie hat New York besonders hart getroffen. Ist das der Beginn einer langen Talfahrt?
COHEN Es wäre nicht das erste Mal, dass New York abgeschrieben würde. In den Revolutionskriegen waren wir von 1776 bis 1783 von den Briten besetzt. Während der Großen Depression der 1930er Jahre campierten massenhaft Obdachlose im Central Park. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, bis hinein in die Achtziger, haben wir netto fast eine Million Einwohner verloren. Schon damals gab es Leute, die sagten, so, das war’s jetzt für New York. In den Siebzigern, mitten im Wandel von einer Industriestadt
zu einer Stadt der Dienstleistungen, sind wir um ein Haar in den Bankrott geschlittert. In den Siebzigern und Achtzigern wurden wir förmlich überrannt von Kriminalität und Drogendelikten, bis Anfang der Neunziger stieg die Zahl der Kapitalverbrechen rasant. Dann hatten wir den 11. September 2001, die Finanzkrise, den Wirbelsturm Sandy. Wieder und wieder hat man New York abgeschrieben, und jedes Mal folgte ein Comeback.
Was sind die Gründe für diese Fähigkeit zur Neuerfindung?
COHEN Es liegt an den Bewohnern New Yorks. Auch wenn wir uns in der Corona-Krise alle zu Hause verstecken, werden wir uns wieder aufrappeln. 40 Prozent der Menschen, die hier leben, wurden in anderen Ländern geboren. New York ist eine Stadt von Migranten, das macht ihren Charakter aus. Dies produziert eine enorme Energie, einen enormen Ehrgeiz, und das wird sich nicht in Luft auslösen.
Nun ist der Tourismus einer der stärksten Wirtschaftszweige New Yorks. Wie lautet da Ihre Prognose?
COHEN Es dürfte die Branche sein, die sich am langsamsten erholt. Im vergangenen Jahr kamen 66 Millionen Touristen. 2020 wird natürlich kein gutes Jahr, auch danach wird es noch eine Weile dauern, bis sich die Leute wieder nach New York trauen. Aber es gibt ja noch andere Gebiete, auf denen wir stark sind, etwa die Bildung, die Medizin, die Medien, die Künste, die Kultur.
Es fehlt nicht an Stimmen, die infolge der Epidemie die Zukunft großer Städte eher skeptisch beurteilen …
COHEN Dass es rund um den Globus große Städte gibt, hat einen Grund. Über die Hälfte der Weltbevölkerung lebt heute in Städten, und ich glaube nicht, dass sich daran etwas ändert. Die Vorteile des Lebens in der Großstadt werden sich behaupten. Im Moment haben die Menschen Angst, wir alle haben Angst, aber die Angst wird nachlassen. Irgendwann wird der Risikograd tolerierbar.
Das Geschäftsleben New Yorks spielt sich maßgeblich in Wolkenkratzern ab. Wie kann das funktionieren in Zeiten der Pandemie?
COHEN Wenn Sie heute in New York ein großes Gebäude betreten, müssen Sie durch eine Sicherheitsschleuse. Womöglich werden Sie fotografiert, dann bekommen Sie einen
Besucherausweis mit Ihrem Bild. Ich denke, man wird diese Kontrollen um eine medizinische Komponente erweitern. Anfangs misst man nur Ihre Körpertemperatur. Später, schätze ich, kommt eine Art Bio-Scan hinzu, um sicherzustellen, dass Sie keine ansteckende Krankheit haben.
Ohne seine U-Bahn ist New York eigentlich nicht denkbar. Wie stellen Sie sich die Zukunft öffentlicher Verkehrsmittel vor?
COHEN Es wird eine Weile dauern, bis die Leute wieder bereit sind, in sardinenbüchsengen U-Bahn-Waggons zu sitzen oder zu stehen. Das Problem der New Yorker U-Bahn ist, dass ihre Signaltechnik aus den 1930er Jahren stammt. Anderswo fahren die Züge in dichterer Abfolge, sodass sie auch nicht so überfüllt sind. Vielleicht erzeugt die Krise zusätzlichen Druck, um unsere Technik endlich zu modernisieren. Aber klar, die Menschen werden nicht alle gleich wieder mit der Subway zur Arbeit fahren.
In Sachen Corona-Impfstoff erweckt Donald Trump den Eindruck, als denke er nur an sein eigenes Land…
COHEN Wenn man die Medien verfolgt, scheint es bisweilen so, als gäbe es einen Wettlauf der Nationen, wer nun als Erster ans Ziel kommt. Die Wissenschaft sieht das ganz anders. Ich habe am Earth Institute mit Klimaund Umweltforschern aus aller Welt gearbeitet. Daher weiß ich, Wissenschaftler verstehen sich als globale Gemeinschaft. Es ist ihnen egal, aus welchem Land du kommst und wie dein Pass aussieht. Sie interessiert allein, was du weißt und ob wir Wissen teilen können. Die Dringlichkeit, einen Impfstoff zu finden, ist so groß, dass wir internationale Lösungen finden werden.