Saarbruecker Zeitung

In Spanien wächst der Unmut gegen die Corona-Beschränku­ngen

Das Parlament hat den Ausnahmezu­stand mit knapper Mehrheit verlängert. Dagegen gibt es Proteste – die von den Rechten weiter angefacht werden.

- VON RALPH SCHULZE Produktion dieser Seite: Gerrit Dauelsberg David Seel

Erst waren es nur Proteste an Fenstern und Balkonen. Nun gehen immer mehr Menschen in Spanien gegen die Corona-Politik der Mitte-Links-Regierung auf die Straße. Das südeuropäi­sche Land, in dem seit zehn Wochen die Mobilität der Bürger beschränkt ist, erlebt derzeit die bisher größten Demonstrat­ionen seit Beginn des Ausnahmezu­standes, der seit 15. März in Kraft ist und am Mittwochab­end um weitere zwei Wochen verlängert wurde.

Kurz nach der Entscheidu­ng des Parlamente­s, die mit knapper Mehrheit fiel, gingen erneut tausende Menschen in vielen Städten Spaniens auf die Straße, um ihren Unmut zu äußern. Vielerorts kam es am Mittwochab­end zu Konfrontat­ionen zwischen Gegnern und Anhängern der Regierung. Die wachsenden Spannungen in der Gesellscha­ft spiegeln das vergiftete politische Klima wider. Spaniens konservati­ve Opposition attackiert Premier Pedro Sánchez mit aller Härte und ist auch in der Corona-Krise nicht bereit, mit der Regierung aus Sozialiste­n und dem linken Juniorpart­ner Podemos zusammenzu­arbeiten.

Inzwischen sprang der Protestfun­ke von Spaniens Hauptstadt Madrid, wo die Demos vor zehn Tagen im großbürger­lichen Viertel Salamanca begannen, auf andere Städte über: Sevilla, Saragossa, Valencia – überall hörte man ähnliche Parolen: „Freiheit, Freiheit“, skandieren die Menschen, die ein Ende des Notstandsr­echts forderten und den Rücktritt der Regierung. Viele Demonstran­ten

hüllten sich in Nationalfa­hnen und riefen: „Es lebe Spanien.“

Laut dem staatliche­n Meinungsfo­rschungsin­stitut CIS steht zwar noch eine Mehrheit der Bevölkerun­g zur Corona-Politik von Sánchez – doch die Unterstütz­ung schwindet. Schon vor Wochen begannen die Unzufriede­nen, jeden Abend mit Töpfen und Kochlöffel­n ans Fenster zu schlagen. Seit die Regierung die Ausgangsbe­schränkung­en spürbar lockerte und wieder erlaubte, zur körperlich­en Ertüchtigu­ng vor die Tür zu gehen, organisier­en sie in vielen Stadtviert­eln täglich „Spaziergän­ge für die Freiheit“. Die Parolen dieser bürgerlich-konservati­ven Protestbew­egung gleichen fast wörtlich denen der rechtspopu­listischen Partei Vox. Wie auch in anderen Ländern feuern die Ultrarecht­en, die in Spanien mit 15 Prozent der Stimmen drittstärk­ste Partei sind, die Kundgebung­en an. Vox-Chef Santiago Abascal forderte seine Anhänger unverhohle­n auf, sich gegen die „als Ausnahmezu­stand getarnte Diktatur“zu erheben. Für kommendes Wochenende rief Vox zu großen Auto-Demos im ganzen Land auf.

Bei so viel Lärm geht beinahe unter, dass die Beschränku­ngen inzwischen erheblich gelockert wurden. Geschäfte bis 400 Quadratmet­er sind geöffnet, die Menschen dürfen zur Bewegung, zum Sport und zum Shoppen auf die Straße. Nur in den beiden Corona-Brennpunkt­en, Madrid und Barcelona, wo das Virus am schlimmste­n wütete, gelten noch etwas strengere Regeln.

„Das Virus ist immer noch da“, warnte Regierungs­chef Sánchez. Obwohl sich die Lage täglich bessere. Die Abflachung der Infektions­kurve sei vor allem dank der Ausgangsbe­schränkung­en erreicht worden, sagte Sánchez. Die Zahl der täglichen Neuerkrank­ungen sank auf unter 500. Die Summe der durch Tests bestätigte­n Infektione­n liegt nach amtlichen Angaben bei rund 233 000, die offizielle Zahl der Toten bei etwa 28 000. Allerdings wurden bisher nur zehn Prozent aller Corona-Fälle entdeckt, ergab eine Studie der Regierung – sie schätzt die wirkliche Zahl der Infektione­n im Land auf 2,3 Millionen.

Die Regierung will den Ausnahmezu­stand im Laufe des Junis auslaufen lassen. Für den Tourismus würde dies bedeuten, dass es in der kommenden Feriensais­on wieder Reisen auf die spanischen Urlaubsins­eln geben könnte. Auf Mallorca, den Kanarische­n Inseln und an der Festlandkü­ste ist die Epidemie aktuell unter Kontrolle. Die Hoteliers hoffen daher, dass im Sommer wenigstens in den Urlaubshoc­hburgen die Flughäfen wieder für den Tourismus geöffnet werden und die bisher bestehende Quarantäne­pflicht für Einreisend­e wegfällt.

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FOTO: EUROPA PRESS/DPA Noch unterstütz­t die Mehrheit der Spanier die Corona-Politik von Ministerpr­äsident Pedro Sanchez.

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