Setzt Abbas seine Drohungen in die Tat um?
Der Palästinenserchef hat immer wieder gewarnt, Annexionsschritte Israels bedeuteten das Ende der Friedensverträge. Das wäre für beide Seiten fatal.
(dpa) Vor mehr als einem Vierteljahrhundert haben Israel und die Palästinenser die Osloer Friedensverträge vereinbart. Sie sollten ihren blutigen Konflikt beilegen und bestimmen seitdem die politischen, wirtschaftlichen und Sicherheitsbeziehungen beider Völker. Aus Zorn und Frustration über Israels Pläne, Teile des besetzten Westjordanlands zu annektieren, hat Palästinenserpräsident Mahmud Abbas nun aber alle Vereinbarungen mit Israel und dessen Bündnispartner USA aufgekündigt. De facto würde dies auch eine Auflösung seiner Palästinenserbehörde bedeuten. Abbas hat schon häufiger mit ähnlichen Schritten gedroht. Meint es der 84-Jährige diesmal ernst?
Jonathan Rynhold, Politikprofessor an der Bar-Ilan-Universität nahe Tel Aviv, sagt dazu am Mittwoch: „Selbst wenn er es ernst meinen sollte, wird niemand ihn ernst nehmen, weil er schon zu oft blind Alarm geschlagen hat.“Abbas könnte zwar diesmal seine Drohungen in die Tat umsetzen, es sei nur äußerst unwahrscheinlich, meint Rynhold.
Der palästinensische Politikexperte Dschihad Harb sagt dagegen, Abbas habe durchaus einen „neuen Ton“angeschlagen. Anders als zuvor habe der Palästinenserpräsident offenbar „jegliche Hoffnung auf Frieden mit Israel verloren“. Angesichts dieser Aussichtslosigkeit sei die Gefahr einer neuen Explosion der Gewalt in den Palästinensergebieten gegenwärtig hoch, meint Harb. Abbas wolle nicht, „dass diese in sein Gesicht explodiert, sondern sie lieber in Richtung Israel lenken“. Außerdem seien Abbas‘ Worte eine Botschaft an die internationale Gemeinschaft, „vor allem die Europäische Union, die Gelder in Milliardenhöhe in den Friedensprozess investiert hat“.
Abbas hatte die Friedensverträge mit Israel in der Vergangenheit immer wieder als „heilig“bezeichnet.
Auch der palästinensische Ministerpräsident Mohammed Schtaje sagte noch vor gut einer Woche, man werde die Autonomiebehörde nicht auflösen, weil sie ein Ergebnis des palästinensischen Kampfes für Unabhängigkeit sei. Bei einer Dringlichkeitssitzung am Mittwochabend wies Schtaje sein Kabinett allerdings dazu an, die Entscheidung über eine Auflösung aller Abkommen mit Israel sofort umzusetzen.
Die nach Unterzeichnung der Osloer Friedensverträge 1994 eingerichtete Palästinensische Autonomiebehörde ist zuständig für die Versorgung der Bevölkerung in den von ihr verwalteten Gebieten. Sie kümmert sich um grundlegende Dienstleistungen wie die Versorgung mit Wasser und Strom, das Schulsystem und die Müllabfuhr. Sie gibt aber auch Dokumente wie Pässe, Geburts- und Todesurkunden und Führerscheine heraus. Wichtigster Geldgeber der Palästinenserbehörde ist die Europäische Union. Sie hat 2019 im Rahmen eines Programms namens Pegase 154,5 Millionen Euro gezahlt, von denen 85 Millionen Euro in Gehälter und Renten flossen. Dazu kommen noch Hilfsgelder für palästinensische Flüchtlinge in Millionenhöhe.
Sollte die Palästinenserbehörde wirklich aufgelöst werden, drohte Chaos in der Region. Zehntausende Angestellte der Autonomiebehörde würden ihre Jobs verlieren. Israel hat aber keinerlei Interesse, die Verwaltung in den palästinensischen Autonomiegebieten selbst zu übernehmen. Aber auch die Palästinenserführung hat viel zu verlieren. Viele Führungsmitglieder der Autonomiebehörde haben sich stark bereichert, es gibt immer wieder Korruptionsvorwürfe.
Sollte sie die Sicherheitszusammenarbeit mit Israel wirklich stoppen, könnte die Führung um Abbas von der islamistischen Hamas abgelöst werden, wie es 2007 im Gazastreifen passiert ist, meint Rynhold. „Israel hat Abbas‘ Fatah im Westjordanland bisher auch immer vor der Hamas geschützt.“
Abbas hatte die Friedensverträge mit Israel in der Vergangenheit immer wieder als „heilig“bezeichnet.