Wurden Hinweise auf Missbrauch ignoriert?
Drei Zeuginnen berichteten dem Untersuchungsausschuss des Landtages, dass man im Universitätsklinikum Homburg Hinweisen auf mögliche Missbräuche nicht entschieden genug nachgegangen sein soll.
Ein Jahr ist vergangen, seit der mutmaßliche Missbrauchsskandal an der Kinderund Jugendpsychiatrie der Homburger Universitätsklinik (UKS) bekannt wurde. Der 2016 verstorbene Assistenzarzt S. soll junge Patienten zwischen 2010 und 2014 bei Untersuchungen missbraucht haben. Ende 2014 wurde gegen ihn Strafanzeige gestellt. Nach seinem Tod hatte die Staatsanwaltschaft das Verfahren allerdings eingestellt. Erst im Sommer 2019 wurden Eltern informiert, dass ihre Kinder eventuell betroffen seien. Wann und wie wurde aber die Klinikleitung über erste Hinweise zu möglichen Missbrauchsfällen informiert? Und wie hat sie reagiert? Das versucht der Untersuchungsausschuss des Landtages aufzuklären.
In seiner nunmehr elften Sitzung befragte der Ausschuss am Mittwoch rund drei Stunden lang Zeuginnen zum Arbeitsklima in der Kinderund Jugendpsychiatrie. Es soll bereits 2010 Hinweise über mögliche pädophile Neigungen des verstorbenen Assistenzarztes gegeben haben.
Eine der drei Zeuginnen, eine Kinderkrankenschwester, bezeichnete S. als „schwierig in der Zusammenarbeit“. Er soll kein „Teamspieler“gewesen sein und sie von oben herab behandelt haben. Auffällig sei zudem gewesen, dass S. Vorab-Untersuchungen, die normalerweise von Pflegekräften übernommen würden, oft alleine und über das übliche Maß hinaus vorgenommen haben soll. Oft auch ohne Anwesenheit der Eltern. „Häufig haben die Eltern dann vor seinem Büro gesessen“, sagte die Krankenschwester. „Das kenne ich von anderen Ärzten nicht.“
Konkret beschrieb die Zeugin dann einen Vorfall vom September 2011: S. habe bei einem Kind unter Zwang eine Ultraschalluntersuchung vorgenommen. Er soll den jungen Patienten auf „eine Liege geworfen“haben und sie aufgefordert haben, das Kind festzuhalten. Weil das Kind geschrien habe, soll S. ihm den Mund zugehalten haben. „Ich habe mich geweigert, das Kind festzuhalten und den Vorfall später dem Oberarzt und meiner Bereichsleitung gemeldet.“Dies sei schriftlich festgehalten worden.
Bis auf ein „Gespräch zwischen dem leitenden Oberarzt und S.“, und einer Anweisung, wonach S. Untersuchungen nicht mehr alleine vornehmen dürfe, sei nichts unternommen worden. Wer und ob jemand die Anweisung auch kontrolliert hat, „kann ich nicht sagen“. Der Vorfall sei „heruntergespielt“worden. „Ich habe mich von meinen Vorgesetzten nicht verstanden gefühlt“, sagte die Zeugin. Ein offizielles Beschwerde-Management und ein Kinderschutzkonzept habe es zu diesem Zeitpunkt nicht gegeben.
2014, kurz bevor S. nach einem so genannten Fremdjahr wieder ans UKS zurückkehren sollte, habe man sich im Team zusammengesetzt und verschiedene Hinweise zusammengetragen, sagte die Krankenschwester. Eine leitende Oberärztin soll anschließend
„Ich habe mich von meinen Vorgesetzten nicht verstanden
gefühlt.“
Eine Krankenschwester am UKS
nachdem sie einen Vorfall meldete
beim damaligen Direktor der Kinder- und Jugendpsychiatrie, Prof. Dr. Alexander von Gontard, gegen eine erneute Beschäftigung von S. interveniert haben. Ende 2014 wurde gegen S. dann Strafanzeige gestellt.
Eine zweite Zeugin, eine ehemalige Oberärztin der Kinder- und Jugendpsychiatrie, habe selbst nur wenig Kontakt zu S. gehabt. Sie berichtete aber von einer Besprechung zwischen Oberärzten und dem Chefarzt im Frühjahr 2010. „Dieses Gespräch hat sich in mein Gedächtnis gebrannt.“Demnach soll der leitende Oberarzt dem Chef von Hinweisen der Station erzählt haben, dass S. Kinder länger als üblich untersuchen würde. Der Oberarzt soll seine Sorge sowohl um die Kinder als auch um S. selbst ausdrücklich zum Ausdruck gebracht haben. Vom Chefarzt habe sie anschließend zwar Betroffenheit wahrgenommen, er soll jedoch zunächst auf die Unschuldsvermutung gegenüber des Assistenzarztes bestanden haben.
Es soll so etwas wie ein Schamgefühl gegeben haben, „als ob man so etwas über einen Kollegen überhaupt nicht denken dürfte“. Gleichzeitig habe sie eine „Verzweiflung“des Oberarztes wahrgenommen, dass er mit seinen Sorgen nicht „durchgedrungen“sei. Sie selbst habe die Sorge gehabt, jemanden zu verleumden. Zum damaligen Zeitpunkt sei für sie auch nicht vorstellbar gewesen, dass es unter ihnen, die Kindern helfen, einen „Täter gegeben haben könnte“. Zumal eine längere Untersuchungsdauer nicht zwingend ein Hinweis auf einen möglichen Missbrauch bedeute. „Es kann genauso heißen, dass ein Kollege bemüht ist, erst einmal ein Vertrauen aufzubauen und ein Kind in einem kooperativen Miteinander zu untersuchen.“
Sie berichtete am Mittwoch allerdings auch von gewissen hierarchischen Strukturen. Verschiedene fachliche Ansätze seien zwar zur Kenntnis genommen worden, etwa über grundlegende Untersuchungsmethoden. Aber nach ihrer festen Überzeugung sei letztlich alles vom Chefarzt hierarchisch entschieden worden. „Rückblickend würde ich sagen, ich habe vermieden, Konflikte
anzusprechen, wenn es denn welche gab“, sagte die Ärztin.
Eine dritte Zeugin, ebenfalls ehemalige Oberärztin in der Kinderund Jugendpsychiatrie, berichtete von einem „normalen kollegialen Verhalten“des Assistenzarztes. S. sei bemüht und interessiert an der Arbeit gewesen. Dass er besonders häufig körperlicher Untersuchungen an ein und demselben Patienten vorgenommen haben soll, kann sie nicht bestätigen. Ihr sei nichts aufgefallen, und auch aus dem Kollegium sei nichts an sie herangetreten worden. Von den Vorwürfen habe sie erst durch die Strafanzeige gegen S. 2014 erfahren, als sie schon nicht mehr am UKS beschäftigt war. Das habe sie „überrascht“.