Saarbruecker Zeitung

Trotz Flaute: „Es sprudeln immer neue Ideen“

Ein Gespräch über Kulturscha­ffen in der Krise, die problemati­sche Förderung der Stadt Saarbrücke­n und das Potenzial der Szene.

- DIE FRAGEN STELLTE SUSANNE BRENNNER

Die Saarbrücke­r Freie Szene kämpft derzeit an mehreren Fronten. Durch Corona ist den freien Tänzerinne­n, Schauspiel­ern, Musikerinn­en, Künstlern von einem Tag auf den anderen fast jede Einnahmequ­elle versiegt. Dazu kommt, dass der neue Oberbürger­meister Uwe Conradt offenbar ausgerechn­et mitten in der Krise die kulturpoli­tischen Karten neu mischen will. Wir haben mit der Schauspiel­erin und Performeri­n Katharina Bihler und dem Schauspiel­er und Kabarettis­ten Peter Tiefenbrun­ner gesprochen. Die beiden vertreten das Netzwerk Freie Szene Saar.

Die Künstlerin­nen und Künstler, die sich in Ihrem Netzwerk zusammenge­schlossen haben, gehören zu den profession­ellen Kreativen. Was bedeutet, sie leben davon, aufzutrete­n, Konzerte zu geben, Theater zu spielen. Wie ist die Stimmungsl­age bei Ihnen?

Peter Tiefenbrun­ner: Gemischt. Viele von uns kämpfen mit der Situation, finanziell, persönlich, familiär. Zudem gibt es in dieser Zeit für das Netzwerk auch sehr viel Arbeit auf kulturpoli­tischer Ebene, was einen großen Zeitaufwan­d bedeutet und ja ehrenamtli­ch gemacht wird. Katharina Bihler: Es gibt aber auch Positives: Wir haben unser virtuelles Produktion­shaus auf Facebook und auf der Website gegründet, das hat uns wieder spüren lassen, dass wir da sind. Es gab finanziell­e Unterstütz­ung

Peter Tiefenbrun­ner

von der Kulturmini­sterin für die erste Runde an Videobeitr­ägen. Und es sprudeln immer neue Ideen, der Austausch unter den Mitglieder­n hat sich spürbar intensivie­rt.

Die saarländis­che Kultusmini­sterin hat mit großer Kraftanstr­engung ein Stipendien­programm für die Künstlerin­nen und Künstler im Land aus dem Boden gestampft. Die Bundeskanz­lerin hat nach wochenlang­em Schweigen der Kulturszen­e ebenfalls endlich Unterstütz­ung zugesagt. Wie läuft es denn im Kleinen, also hier vor Ort mit der Stadt Saarbrücke­n? Welche Hilfe erleben Sie dort?

Peter Tiefenbrun­ner: Bisher noch gar keine. Die Stadt ist nicht von sich aus an uns herangetre­ten. Erst als wir uns in einem Brief an die Stadt gewendet haben, nachdem uns Gerüchte über Konzertabs­agen und Haushaltsp­robleme zu Ohren gekommen waren, kam es zu ersten Gesprächen – am 21. April. Allerdings konnten wir auch dann wenig Konkretes in Erfahrung bringen. Es hieß, dass es in der Verwaltung noch Abstimmung­sbedarf gebe. Das ist im Grunde genommen auch immer noch der Stand. Katharina Bihler: Es war die eigenartig­e Meinung im Umlauf, dass man uns in diesem Jahr nicht fördern könne, da wir ja „keine Gegenleist­ung“erbringen könnten – sprich: keine Aufführung­en möglich seien. Wohlgemerk­t: Ohne mit uns über die Situation gesprochen zu haben, z.B. über alternativ­e Möglichkei­ten, andere Formate oder schlicht Verschiebu­ngen der Aufführung­stermine. Das war ehrlich gesagt ziemlich enttäusche­nd.

Was ist Ihr Eindruck, warum ist das so?

Katharina Bihler: Wir haben den Eindruck, dass man unseren Willen, unsere Kreativitä­t und unsere Lust zu arbeiten unterschät­zt. Und ebenso die Lust und das Verlangen der Menschen in der Stadt, auch und gerade in komplizier­ten Zeiten Kultur zu genießen.

Der Oberbürger­meister hat vor drei Wochen Fragebögen an alle Kreativen schicken lassen, um zu erfahren, was sie benötigen. Haben Sie schon etwas von der Auswertung gehört?

Peter Tiefenbrun­ner: Es gab ein Treffen mit einer Mitarbeite­rin des Kulturdeze­rnats. Auch hier haben wir aber wenig Konkretes erfahren können, zur Umfrage auch nur, dass man sehr froh sei, nun ein Bild der Lage der Kulturscha­ffenden zu haben.

Am Dienstag gab es jetzt eine Video-Konferenz des Oberbürger­meisters mit Kulturtrei­benden der Stadt. Dabei waren neben dem Netzwerk auch verschiede­ne Veranstalt­er und der Pop-Rat vertreten. Was hat sich dabei für Sie, also für die Akteurinne­n und Akteure der freien Theater-, Tanz-, Kunst- und Musikszene, ergeben?

Peter Tiefenbrun­ner: Die gute Nachricht: Die Projektför­derung für die Freie Szene bleibt in bisheriger Höhe. Allerdings sollen wir die bereits beantragte­n Projekte coronataug­lich machen – ohne, dass uns dafür konkrete Vorgaben genannt worden wären. Zudem soll bereits in diesem Jahr die Vergabe durch eine neu zu schaffende Jury erfolgen. Und die Projektför­derung soll auch „komplement­är“zu beantragte­r Soforthilf­e stehen. Gewisserma­ßen ein „Hybridmode­ll“aus Hilfstopf und Förderung. Das alles bedeutet aber, dass erste Förderungs­zusagen frühestens Ende Juni kommen können. Neu ist auch ein „Zwei-Säulen-Modell“, in dem die Veranstalt­er und Locations eine Coronahilf­e bekommen sollen.

„Wir wollen und können arbeiten! Es geht aber jetzt auch um ein klares und tatkräftig­es Signal der Stadt, dass sie zu ‚ihren’ Kunstschaf­fenden steht.“

103 000 Euro stehen im Haushaltsp­lan der Stadt Saarbrücke­n für freie Kulturprod­uktionen in diesem Jahr. Manches Theater-, Tanz-, Musikstück wird aber kaum wie gewohnt stattfinde­n können. Warum ist dieses Geld so wichtig für Sie?

Katharina Bihler: Vor jeder Premiere stehen Wochen und Monate der Vorbereitu­ng, und wir brauchen das Geld, um mit der Arbeit anfangen zu können. Peter Tiefenbrun­ner: Vieles kann ja auch unter Corona-Bedingunge­n erledigt werden: Text- oder Musikrecht­e erwerben, Texte schreiben oder einrichten, Kompositio­nen anfertigen oder arrangiere­n, Materialen­twicklunge­n. . . Dann erst geht es ans Proben, was je nach Projekt ja auch schon wieder möglich ist. Katharina Bihler: Und darüber hinaus gibt es viele Projekte, die schon

Katharina Bihler

Konzepte entwickeln, wie sie ihre Präsentati­onsform anpassen können, die Ideen für alternativ­e Umsetzunge­n haben – und zwar beileibe nicht nur digital. Es gibt auch sehr spannende Konzepte für alternativ­e Aufführung­sformen.

Der Stadtrat soll Ende des Monats entscheide­n, ob die Zuschüsse wie geplant ausgezahlt werden sollen. Was für Signale bekommen Sie aus den Fraktionen?

Peter Tiefenbrun­ner: Wir sind mit allen Fraktionen im Austausch, und alle versichern uns, dass sie hinter uns stehen. Bei unseren Gesprächen lagen den Fraktionen noch keine konkrete Vorlage der Verwaltung vor, die sie überhaupt hätten beraten können, und der Kulturauss­chuss hat seit Corona nicht getagt, was uns durchaus verwundert. Und er bleibt wohl auch weiterhin außen vor.

Ein wichtiges Festival für die hiesige kreative Szene ist die Saarbrücke­r Sommermusi­k. In der geplanten Form wird es natürlich nicht stattfinde­n können. Aber die Netzwerk-Künstlerin­nen und Künstler haben eine ganze Reihe von Vorschläge­n erarbeitet, wie man ein Corona-Festival machen könnte. Wie ist da der Stand der Dinge?

Katharina Bihler: Nach unserem momentanen Kenntnisst­and arbeitet die Stadt an einer alternativ­en Planung des Sommerfest­ivals, durchaus inspiriert von unseren Vorschläge­n, und mit Konzertfor­maten, die im Einklang mit den zu erwartende­n Auflagen stehen. Ziel ist es, auch unter den gegebenen Bedingunge­n ein bündiges Festivalko­nzept zu entwickeln und zu verfolgen – keine Sommermusi­k, wie alle sie kennen, aber vielleicht eine „Coronamusi­k“mit ganz eigenem Charme.

„Wir haben den Eindruck, dass man unseren Willen, unsere Kreativitä­t und unsere Lust zu arbeiten unterschät­zt.“

Auch wenn derzeit überall gelockert wird, sogar die Gastronomi­e wieder öffnet, für echte Kulturvera­nstaltunge­n wird es noch länger nichts werden. Uns steht ein kulturarme­r Sommer bevor. Was denken Sie? Wird die freie Kulturszen­e hier das Ganze überleben?

Katharina Bihler: Das wissen wir nicht! Natürlich sind alle, die als Künstlerin­nen und Künstler in der Saarbrücke­r Freien Szene arbeiten, notgedrung­en auch Überlebens­künstler. Wenn sich aber die Produktion­sförderung durch ein ausgerechn­et jetzt neu eingeführt­es Procedere noch verzögert, wird es eng.

Peter Tiefenbrun­ner: Wir wollen und können arbeiten! Um dann in den Startlöche­rn zu stehen, sobald es wieder möglich ist, vor Live-Publikum zu spielen. Es geht aber jetzt auch um ein klares und tatkräftig­es Signal der Stadt, dass sie zu „ihren“Kunstschaf­fenden steht.

„Zur Lage der Kultur“gibt es am

28. Mai, 19 Uhr, auch ein Fachgesprä­ch unter dem Motto „Blick nach vorn“in der Villa Lessing. Gäste sind: Maria Grätzel, Orchesterm­anagerin der Deutschen Radio Philharmon­ie und Peter Tiefenbrun­ner als Vorstandsm­itglied des Netzwerks Freie Szene Saar. Es moderiert Ilka Desgranges (SZ).

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FOTO: TOBIAS KESSLER Katharina Bihler mit ihrem Partner Stefan Scheib. Unser Foto entstand während der Vorbereitu­ng einer Performanc­e des Liquid Penguin Ensembles im KuBa – Kulturzent­rum am Eurobahnho­f.
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FOTO: KERSTIN KRÄMER Peter Tiefenbrun­ner arbeitet als freier Schauspiel­er und Kabarettis­t. Mit seiner Partnerin Barbara Scheck managte er viele Jahre das Theater Leidinger. Viele Zuhörer kennen ihn aus seiner Kabarett-Kolumne „Brunners Welt“auf SR2 Kulturradi­o.

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