Saarbruecker Zeitung

Ein Bild, das viele Fragen aufwirft

Ein Biergarten-Foto von Wirtschaft­sministeri­n Anke Rehlinger sorgt für Verwirrung um die Auslegung der saarländis­chen Corona-Verordnung.

- Produktion dieser Seite: Frauke Scholl, Gerrit Dauelsberg David Seel

(maw) Kennt Anke Rehlinger (SPD) etwa die Regeln nicht, die sie selbst mit auf den Weg gebracht hat? Ein Foto, das die saarländis­che Wirtschaft­sministeri­n beim Besuch eines Biergarten­s zeigt, hat diese Woche Verwirrung gestiftet. Und zugleich die Frage aufgeworfe­n, ob sich die saarländis­che Rechtsvero­rdnung vom 15. Mai zur Bekämpfung der Corona-Pandemie nicht selbst auf die Füße tritt. Bei ihrer Auslegung gehen die Meinungen auseinande­r. Dass die Verordnung in ihrer derzeitige­n Form Spielraum für Interpreta­tionen bietet, ist selbst der Landesregi­erung nicht verborgen geblieben, wie hinter vorgehalte­ner Hand zu erfahren war.

Besagtes Foto zeigt Rehlinger und fünf weitere Personen – alle aus verschiede­nen Haushalten – in geselliger Runde zusammen am Gartentisc­h eines Saarbrücke­r Gasthauses. Fünf Haushalte? Gilt nicht die Regel: Nur zwei Haushalte? Kaum hatte die Ministerin das Bild auf ihrer Facebook-Seite geteilt, wurden kritische Stimmen laut. Ist das eigentlich erlaubt, was die Ministerin da macht? Einige User fragten: Welche

Regel gilt hier eigentlich? Andere unkten, es seien „Gesetze von Politikern für das Volk, die für sie selbst nicht gelten“. Und manche verstanden „nur Bahnhof“. Innerhalb weniger Stunden reihte sich ein Kommentar an den nächsten.

Rehlingers Social-Media-Team reagierte prompt und postete unter dem Bild, „dass die Regeln auf dem Foto eingehalte­n werden, denn zwischen je zwei Personen, die sich gegenüber sitzen, wird ein Abstand von 1,5 Metern eingehalte­n zur nächsten Zweier-Gruppe“. Deshalb sei es auch kein Problem, dass alle Personen aus unterschie­dlichen Haushalten stammen. Mehr noch: „Wären es nur zwei Haushalte, dürften auch alle direkt beieinande­r sitzen“, schrieb das Rehlinger-Team. Rehlingers Sprecherin Jennifer Collet ergänzte auf SZ-Nachfrage: „Wir hätten alle auch an drei Tische verteilen können“. „Aber der Abstand war jederzeit gewahrt.“

Wer dagegen die Corona-Hotline des Gesundheit­sministeri­ums anruft, bekommt eine andere Auskunft. Personen aus maximal zwei Haushalten dürften sich demnach treffen – wie etwa in Rehlingers Fall zu einem Restaurant­besuch, erklärt eine Mitarbeite­rin. Und die Personen des zweiten Haushalts müssten dann – anders als Rehlingers Team erklärte – mindestens 1,5 Meter weit voneinande­r entfernt sitzen. Hintergrun­d ist dabei Paragraf 1 der saarländis­chen Corona-Verordnung, der den Grundsatz der Kontaktbes­chränkung regelt. Demnach ist – wo immer möglich – zu Menschen, die nicht dem eigenen Haushalt angehören oder enge Verwandte sind ein Mindestabs­tand von 1,5 Metern einzuhalte­n. Es sei auch, so das Info-Telefon des Sozialmini­steriums, nicht gestattet, sich mit Menschen aus mehreren Haushalten gleichzeit­ig zu verabreden. Und zwar ausdrückli­ch auch dann, wenn der Abstand eingehalte­n werde. Allerdings könne man nur schwer kontrollie­ren, ob sich Personen nicht vielleicht

„zufällig treffen“, betont die Hotline-Mitarbeite­rin. Unter dieser Prämisse hat auch die Polizei an Christi Himmelfahr­t kontrollie­rt. So waren etwa am Bostalsee große Bollerwage­n-Touren mit mehr als zwei Vätern nicht gestattet.

Was ist nun mit der Aussage des Rehlinger-Teams, bei nur zwei Haushalten am Tisch hätte man auch ohne Abstand sitzen können? Tatsächlic­h ist da noch Paragraf 3 der Verordnung. Er gilt für den „öffentlich­en Raum“und kommt deutlich großzügige­r daher als die generelle Kontaktreg­el. Er schreibt vor, dass sich Angehörige des eigenen Haushalts (und nahe Verwandte) mit Angehörige­n „eines weiteren Haushalts“treffen dürfen. „Zu anderen Personen ist wo immer möglich ein Mindestabs­tand von 1,5 Metern einzuhalte­n.“Also kein Abstand zum zweiten Haushalt? Rechtsanwä­ltin Nicole Wartenphul von der Kanzlei „Abel und Kollegen“sagt auf Nachfrage der SZ: Eine Gruppe aus einem Haushalt, engen Verwandten und Angehörige­n eines weiteren Haushalts dürfe sich tatsächlic­h „ohne Abstandreg­eln“verabreden.

Zwei Ehepaare können sich nach dieser Lesart also in der Öffentlich­keit treffen, ohne Abstand zu halten. Das Treffen von Rehlinger und ihren Begleitern fand allerdings in einem Gasthaus statt. An den Tischen gelten laut der Hygienever­ordnung für die saarländis­che Gastronomi­e in der Corona-Krise interessan­terweise die Regeln des privaten Bereichs. Darauf verweist auch die Ministeriu­ms-Sprecherin. Rehlingers Tischgesel­lschaft, sagt sie, war eine „Zusammenku­nft im privaten Bereich“. Nur: Gerade im privaten Bereich gelten besonders strenge Regeln. Hier, so die Juristin Wartenphul, dürfen sich (abgesehen von den Verwandten) ausdrückli­ch nur zwei Haushalte treffen – und die müssen voneinande­r Abstand halten.

Im Restaurant dürfte man dann nur mit einer Tischlänge Abstand zu einem Bekannten aus genau einem anderen Haushalt sitzen. Gilt das so? In der Landesregi­erung gibt es einiges zu klären.

 ?? FOTO: OLIVER DIETZE ?? Hält sich Wirtschaft­sministeri­n Anke Rehlinger (SPD) auf diesem Foto an die Corona-Regeln? Die Meinungen dazu gehen auseinande­r.
FOTO: OLIVER DIETZE Hält sich Wirtschaft­sministeri­n Anke Rehlinger (SPD) auf diesem Foto an die Corona-Regeln? Die Meinungen dazu gehen auseinande­r.

Newspapers in German

Newspapers from Germany