Chinas Führer nehmen Hongkong ins Visier
Premierminister Li schwört den Volkskongress auf ein umstrittenes Sicherheitsgesetz ein, das die Formel „ein Land, zwei Systeme“beenden würde.
Wo es an guten Nachrichten für die Wirtschaft fehlt, müssen nationalistische Töne die Lücke schließen. Und wo innenpolitisch Nervosität herrscht, wird nach außen mit den Muskeln gespielt. So wirbt Chinas Regierungschef Li Keqiang am Freitag in der Großen Halle des Volkes in Peking für einen umstrittenen Plan, der auf Härte zielt: ein Sicherheitsgesetz für Hongkong.
Beim Volkskongress – den die Corona-Krise nicht nur um elf Wochen verschoben hat, sondern auch überschattet –, legt die Führung der Volksrepublik vor den 2900 Delegierten jede Zurückhaltung im Umgang mit Hongkong ab. Nach mehr als einem halben Jahr der Proteste gegen den wachsenden Einfluss Pekings in der autonom regierten chinesischen Sonderverwaltungsregion greift Chinas Führung erstmals auch direkt ein.
Neue Sicherheitsgesetze, die sich gegen subversive Aktivitäten und ausländische Einmischung richten, sollen künftig für Ordnung sorgen. In Umgehung des Hongkonger Parlaments soll der Volkskongress die Gesetze erlassen. Selbst chinesische Sicherheitsorgane sollen in Hongkong eingesetzt werden können – ein klarer Bruch der bisherigen Autonomie nach dem Grundsatz „ein Land, zwei Systeme“, der seit der Rückgabe der britischen Kronkolonie
1997 an China gilt. Kritiker befürchten damit das „Ende Hongkongs“. Die prodemokratische Opposition in Hongkong fürchtet, Ziel des Gesetzes zu werden.
Mit der Werbung dafür lenkt Li Keqiang die Aufmerksamkeit der Delegierten auf ein Thema, das nichts mit Corona zu tun hat. Diese sind zahlreich – und unerfreulich für die Führung. „Gegenwärtig und in der näheren Zukunft wird China vor Herausforderungen stehen wie nie zuvor“, schwört der Regierungschef die Delegierten ein. Wegen der „großen Unsicherheiten“hinsichtlich der Covid-19-Pandemie und der weltweiten Wirtschaftskrise verzichtet die Führung erstmals seit fast zwei Jahrzehnten auf eine Zielvorgabe für das Wirtschaftswachstum. Mit Milliardenhilfen soll die angeschlagene Konjunktur angekurbelt werden. Derweil steigt der Militärhaushalt um 6,6 Prozent. Zur Eröffnung des Kongresses wird deutlich, dass in China auch Monate nach dem Höhepunkt der Pandemie – die dort ihren Anfang nahm – noch keine Normalität eingekehrt ist.
Und so macht Peking ernst beim Sicherheitsgesetz: Der Volkskongress soll darüber beraten und seinem Ständigen Ausschuss am Ende der Tagung am Donnerstag den Auftrag zur Verabschiedung geben. Es soll unter Anhang III des Hongkonger Grundgesetzes neben anderen nationalen Gesetzen eingefügt werden. Der Vizepräsident des Volkskongresses, Wang Chen, begründet das Vorgehen damit, dass der Legislativrat bis heute keine Sicherheitsgesetze verabschiedet habe, obwohl er nach Artikel 23 dazu verpflichtet gewesen sei. Die Pläne waren 2003 nach Massenprotesten auf Eis gelegt worden. Offenbar mit Blick auf die Proteste sagt Wang Chen, die nationalen Sicherheitsrisiken seien in Hongkong ein „herausragendes Problem“geworden. Energische Maßnahmen müssten ergriffen werden, um solche Aktivitäten „zu vermeiden, zu stoppen und zu bestrafen“.
Die Pläne dürften die Demonstrationen in Hongkong anfachen und stoßen auch international auf Kritik. Nicht nur US-Präsident Donald Trump erklärt, sich „sehr stark“positionieren zu wollen. Die Vorsitzende des Menschenrechtsausschusses des Bundestages, Gyde Jensen (FDP), sagt: „Die verbrieften Freiheits- und Grundrechte von über sieben Millionen Hongkongern sind durch das neue Gesetz massiv bedroht.“Die EU und Deutschland müssten endlich konkrete Konsequenzen für China in Aussicht stellen.