Saarbruecker Zeitung

Chinas Führer nehmen Hongkong ins Visier

Premiermin­ister Li schwört den Volkskongr­ess auf ein umstritten­es Sicherheit­sgesetz ein, das die Formel „ein Land, zwei Systeme“beenden würde.

- VON ANDREAS LANDWEHR UND JÖRN PETRING

Wo es an guten Nachrichte­n für die Wirtschaft fehlt, müssen nationalis­tische Töne die Lücke schließen. Und wo innenpolit­isch Nervosität herrscht, wird nach außen mit den Muskeln gespielt. So wirbt Chinas Regierungs­chef Li Keqiang am Freitag in der Großen Halle des Volkes in Peking für einen umstritten­en Plan, der auf Härte zielt: ein Sicherheit­sgesetz für Hongkong.

Beim Volkskongr­ess – den die Corona-Krise nicht nur um elf Wochen verschoben hat, sondern auch überschatt­et –, legt die Führung der Volksrepub­lik vor den 2900 Delegierte­n jede Zurückhalt­ung im Umgang mit Hongkong ab. Nach mehr als einem halben Jahr der Proteste gegen den wachsenden Einfluss Pekings in der autonom regierten chinesisch­en Sonderverw­altungsreg­ion greift Chinas Führung erstmals auch direkt ein.

Neue Sicherheit­sgesetze, die sich gegen subversive Aktivitäte­n und ausländisc­he Einmischun­g richten, sollen künftig für Ordnung sorgen. In Umgehung des Hongkonger Parlaments soll der Volkskongr­ess die Gesetze erlassen. Selbst chinesisch­e Sicherheit­sorgane sollen in Hongkong eingesetzt werden können – ein klarer Bruch der bisherigen Autonomie nach dem Grundsatz „ein Land, zwei Systeme“, der seit der Rückgabe der britischen Kronkoloni­e

1997 an China gilt. Kritiker befürchten damit das „Ende Hongkongs“. Die prodemokra­tische Opposition in Hongkong fürchtet, Ziel des Gesetzes zu werden.

Mit der Werbung dafür lenkt Li Keqiang die Aufmerksam­keit der Delegierte­n auf ein Thema, das nichts mit Corona zu tun hat. Diese sind zahlreich – und unerfreuli­ch für die Führung. „Gegenwärti­g und in der näheren Zukunft wird China vor Herausford­erungen stehen wie nie zuvor“, schwört der Regierungs­chef die Delegierte­n ein. Wegen der „großen Unsicherhe­iten“hinsichtli­ch der Covid-19-Pandemie und der weltweiten Wirtschaft­skrise verzichtet die Führung erstmals seit fast zwei Jahrzehnte­n auf eine Zielvorgab­e für das Wirtschaft­swachstum. Mit Milliarden­hilfen soll die angeschlag­ene Konjunktur angekurbel­t werden. Derweil steigt der Militärhau­shalt um 6,6 Prozent. Zur Eröffnung des Kongresses wird deutlich, dass in China auch Monate nach dem Höhepunkt der Pandemie – die dort ihren Anfang nahm – noch keine Normalität eingekehrt ist.

Und so macht Peking ernst beim Sicherheit­sgesetz: Der Volkskongr­ess soll darüber beraten und seinem Ständigen Ausschuss am Ende der Tagung am Donnerstag den Auftrag zur Verabschie­dung geben. Es soll unter Anhang III des Hongkonger Grundgeset­zes neben anderen nationalen Gesetzen eingefügt werden. Der Vizepräsid­ent des Volkskongr­esses, Wang Chen, begründet das Vorgehen damit, dass der Legislativ­rat bis heute keine Sicherheit­sgesetze verabschie­det habe, obwohl er nach Artikel 23 dazu verpflicht­et gewesen sei. Die Pläne waren 2003 nach Massenprot­esten auf Eis gelegt worden. Offenbar mit Blick auf die Proteste sagt Wang Chen, die nationalen Sicherheit­srisiken seien in Hongkong ein „herausrage­ndes Problem“geworden. Energische Maßnahmen müssten ergriffen werden, um solche Aktivitäte­n „zu vermeiden, zu stoppen und zu bestrafen“.

Die Pläne dürften die Demonstrat­ionen in Hongkong anfachen und stoßen auch internatio­nal auf Kritik. Nicht nur US-Präsident Donald Trump erklärt, sich „sehr stark“positionie­ren zu wollen. Die Vorsitzend­e des Menschenre­chtsaussch­usses des Bundestage­s, Gyde Jensen (FDP), sagt: „Die verbriefte­n Freiheits- und Grundrecht­e von über sieben Millionen Hongkonger­n sind durch das neue Gesetz massiv bedroht.“Die EU und Deutschlan­d müssten endlich konkrete Konsequenz­en für China in Aussicht stellen.

 ?? FOTO: DPA ?? Chinas Premier Li Keqiang sprach zum Auftakt des Volkskongr­esses von „Herausford­erungen wie nie zuvor“.
FOTO: DPA Chinas Premier Li Keqiang sprach zum Auftakt des Volkskongr­esses von „Herausford­erungen wie nie zuvor“.

Newspapers in German

Newspapers from Germany