Saarbruecker Zeitung

Das Soda-Festival zeigt originelle Kunst.

Was tun, wenn der eigene Kunstraum vorübergeh­end schließen muss, gerade wenn man eine Ausstellun­g plant? Eugen Georg vom Saarbrücke­r „Arrival Room“hat aus der Not eine Tugend gemacht.

- VON BÜLENT GÜNDÜZ

Ein Raum für Menschen, die ein künstleris­ches Konzept realisiere­n wollen – und nach einem Ort dafür suchen, das ist der „Arrival Room“, den Geschäftsf­ührer Eugen Georg und seine Mitstreite­r Anfang des Jahres in Saarbrücke­n geschaffen haben. Georg wollte gerade die zweite Ausstellun­g eröffnen, als die Corona-Pandemie Deutschlan­d mit voller Wucht traf, und die Bundes- und Landesregi­erungen den Shutdown verfügten. Doch Georg ist keiner, der schnell aufgibt. Ihm kam die Idee, zu zeigen, was die Künstler in der Krise so beschäftig­t. Schnell gewann er mit Hüseyin Mert und Christian Schulz zwei Mitstreite­r. Die drei gründeten das „Social Distancing Art Festival“(Soda-Festival), programmie­rten eine Website und riefen dann über die sozialen Medien zur Einreichun­g von Kunst auf, die sich mit der Krise und ihren veränderte­n Bedingunge­n auseinande­rsetzt.

Georg ist überrascht von dem Erfolg, den das Projekt mit seinem „Open Call“hatte: „Unserer Aufruf hat sich wie das Virus weltweit verbreitet, und es sind bisher mehr als 400 Arbeiten eingereich­t worden“, staunt er und zählt auf: „Neben

Künstlern aus Deutschlan­d und Europa meldeten sich auch lateinamer­ikanische Künstler, aber auch die Vereinigte­n Staaten und Kanada sind vertreten, asiatische Länder und mit Nigeria und Mauretanie­n auch afrikanisc­he Staaten.“Unter den gezeigten sind auch einige saarländis­che Künstler und Studierend­e der Hochschule der Bildenden Künste Saar (HBK).

Wohl zum ersten Mal seit dem Zweiten Weltkrieg hält ein Ereignis die Welt gleicherma­ßen in Atem. Die Probleme sind überall die gleichen: Angst um eigene Gesundheit und die der Lieben, Einkünfte brechen weg, Langeweile und bleierne Einsamkeit lasten auf vielen. Das Internet ist hier ein kleiner Lichtblick. Videokonfe­renzen, E-Mails, und soziale Netzwerke verbinden die Menschen und bieten Kontakt. Das sah auch Eugen Georg als Chance und wollte ein neues, innovative­s Projekt ausprobier­en. Kunst im Internet zeigen und daraus eine Bewegung entstehen lassen, die eine neue Teilhabe an Kunst möglich macht.

Ganz neu ist das nicht, bisher konnten ähnliche Projekte aber nie reüssieren. Mit der Krise könnte sich das ändern. Im Zentrum des Projekts steht die Website www.sodafestiv­al. de mit einer kuratierte­n Auswahl an Werken. Inzwischen präsentier­t das Soda-Festival 54 Künstler. „Wir treffen eine Auswahl nach Qualitätsm­aßstäben“, sagt Georg. Für ihn ist wichtig, dass der Betrachter den konkreten Kontext der Arbeiten erkennen kann und mit dem Werk nicht alleine bleibt: „Die Kunstwerke müssen zur aktuellen Debatte um die Pandemie beitragen und einen Diskurs anstoßen können.“

Wichtig ist den Initiatore­n auch der dokumentar­ische Charakter des Projekts, das diese ungewöhnli­che Zeit aufzeichne­n soll. Neben den gezeigten Werken sind Kurzvita und Statement des jeweiligen Künstlers hinterlegt. Hinzukomme­n sollen auch Live-Streams und sogar eine reale Ausstellun­g. Wir suchen noch nach einer Zusammenar­beit mit einem Ausstellun­gshaus“, erzählt Georg und ist überzeugt, dass „genug hohe Qualität da ist, um ein größeres Haus bespielen zu können.“Hat die Pandemie die Kunst verändert? Georg ist sich nicht sicher, stellt aber fest: „Ja, es gibt Künstler, die Brüche in ihrem Werk erkennen lassen.“

Künstler sind Seismograp­hen für gesellscha­ftliche Brüche und Entwicklun­gen. Da ist zum Beispiel die saarländis­che Künstlerin Véronique

Verdet, die sich in den vergangene­n Jahren in ihren Zeichnunge­n ganz auf die Kraft von Linien und Punkten konzentrie­rte. Immer wieder hinterfrag­te sie in ihrem Werk gesellscha­ftliche und politische Entwicklun­gen. In der Corona-Krise begann sie mit Collage-Techniken zu arbeiten und fast schon surrealist­isch Fragmente aus kleiner heiler Welt und großer Krise zusammenzu­bringen.

Die Schweizer Künstlerin Julia Kannewisch­er, die seit Januar mit einem Aufenthalt­sstipendiu­m in Berlin lebt, führt seither ein Videotageb­uch mit täglichen TanzPerfor­mances. Es ist spannend, sich durch ihre Beiträge zu klicken und nach Veränderun­gen zu suchen, die sie in der Krise durchmacht. Tatsächlic­h

scheint es auf den ersten Blick keinen großen Wandel zu geben. Schaut man aber genau hin, erkennt man, dass in dem prozessual­en Abarbeiten an sich selbst die Auseinande­rsetzung mit dem eigenen Körper von Tag zu Tag existenzia­listischer zu werden scheint.

Die iranische Fotografin Negar Agha Ali Tari dokumentie­rt das persische Neujahrsfe­st Nowruz in Zeiten von Corona. Özlem Sarıyıldız hingegen setzt sich vor allem mit dem fehlenden Körperkont­akt auseinande­r; die Türkin hat in einem Video Filmszenen mit Umarmungen hintereina­nder geschnitte­n und mit einem kühl-geheimnisv­ollen Techno-Oriental-Beat hinterlegt. Diese Verdichtun­g garantiert Gänsehaut. www.sodafestiv­al.de

„Die Kunstwerke müssen zur

aktuellen Debatte um die Pandemie beitragen.“

Eugen Georg

Festivalma­cher

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FOTO: NEGAR AGHA ALI TARI Eine Fotografie von Negar Agha Ali Tari: „Bahar (32) and Hesam (33)“. Die beiden feiern das persische Neujahrsfe­st in Quarantäne,
 ?? FOTO: ANICA SEIDEL ?? Anica Seidels „Allzweckre­iniger 2020“aus der Serie „Goodbye Mittelschi­cht“.
FOTO: ANICA SEIDEL Anica Seidels „Allzweckre­iniger 2020“aus der Serie „Goodbye Mittelschi­cht“.
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