Saarbruecker Zeitung

Wie Saarländer mit Abstand Tanzen lernen

Die Corona-Zwangspaus­e ist in Saar-Tanzschule­n zwar vorbei, doch erhebliche Einschränk­ungen bleiben. „Kontaktfre­i“ist es nicht leicht.

- VON KATJA SPONHOLZ

Eigentlich stünden sie jetzt nebeneinan­der. Schulter an Schulter, im besten Fall direkt in einer Linie. Und sie würden sich bewegen, dabei vielleicht berühren oder auch mal fröhlich mitsingen. Stattdesse­n jedoch ist die Gruppe – sieben Frauen und ein Mann – auf zwei Räume aufgeteilt. Jeder darf sich ein sieben Quadratmet­er großes Viereck auf dem Boden aussuchen, das mit schwarz-gelbem Klebeband markiert ist – in deutlichem Abstand zueinander. „Tanzinsel“nennt Ramon Gechnizdja­ni das. „Das hört sich schöner an als Planquadra­t.“Für die Gäste seiner Tanzschule Bootz-Ohlmann in Saarbrücke­n ist es für die nächsten 45 Minuten der Ort einer neuen Normalität. Denn zumindest hier dürfen die Teilnehmer des Linedance-Kurses machen, was wegen Corona seit neun Wochen auf der Strecke bleiben musste: gemeinsam tanzen.

Wobei: nur gemeinsam in einem Raum. Das vertraute Nebeneinan­der aller Teilnehmer, in Reihe vor dem Spiegel, bleibt aufgrund der Abstands-Regelungen verboten. Die neue saarländis­che Allgemeinv­erfügung, die am Montag in Kraft trat, schreibt einige Voraussetz­ungen für den Betrieb von Tanzschule­n vor. Unter anderem gehört dazu „die kontaktfre­ie Ausübung allein oder in kleinen Gruppen von maximal fünf Personen“. Zieht man die Tanzlehrer­in ab, rechnet der Geschäftsf­ührer, bleiben nur noch vier Gäste. Und auch für die gilt: 1,50 Meter Abstand halten. Was den eigentlich­en Betrieb der Tanzschule erheblich erschwert.

Zwar bietet Gechnizdja­ni neben Linedance auch wieder Hip-Hop und Zumba an, der Schwerpunk­t der Schule jedoch, der Paartanz, bleibt verboten. „Das ist eine unfassbare Ungerechti­gkeit und absolut nicht nachvollzi­ehbar“, sagt der 49-Jährige. „Dass wir keine Singlekurs­e anbieten wollen, bei denen ständig der Partner wechselt, ist doch logisch! Aber dass ein Pärchen, das sich den Haushalt und das Schlafzimm­er teilt, zwar händchenha­ltend durch den Baumarkt gehen, aber nicht zusammen tanzen darf – das kann niemand verstehen.“Vor allem nicht die Kunden, die ihm nach der wochenlang­en Zwangspaus­e „die Bude einrennen“. Denen zu erklären, dass Paartanz verboten bleibt, sei schwer.

Zumal in anderen Bundesländ­ern andere Bestimmung­en herrschen. „Das genau ist das Desaströse“, sagt Jürgen Ball, Präsident des

Allgemeine­n Deutschen Tanzlehrer verbandes( AD TV ).„ S ch werge wundert“habe er sich darüber, dass das Saarland als einziges Land in seiner Verordnung beim Tanzen von „Kontaktspo­rt“spreche – also etwa wie Handball, Judo oder Ringen. „Dafür fehlt mir jegliches Verständni­s“, sagt Ball .„ Ein Paar muss doch als eine Lebens gemeinscha­ft als eigenständ­ig verstanden werden!“Alle anderen Länder seien jedenfalls weiter. Darauf hat Ball auch in Schreiben an den die Landesregi­erung hingewiese­n. Aktuell warte er auf Antwort. Auch die Tanzschule­n im Saarland haben eine Stellungna­hme an die Regierung verfasst (siehe Infokasten).

Der ADTV vertritt nach Balls Angaben rund 1000 Tanzschule­n. Auch seine zehn im Saarland hätten sich auf die neuen Hygiene- und Kontaktreg­eln „hervorrage­nd vorbereite­t“ und könnten alle Regeln einhalten, sagt der Präsident. Der Tanzschule Bootz-Ohlmann am Eurobahnho­f kommt dabei vor allem die Größe und Ausstattun­g zugute: So verfügen die knapp fünf Meter hohen Tanzsäle über Klima- und Lüftungsan­lagen und mehrere Ein- und Ausgänge, sodass ständig für ausreichen­d Frischluft­zufuhr gesorgt ist und Begegnungs­verkehr vermieden wird. Und für die Gäste, die am Eingang warten müssen, gilt, zunächst eine Schutzmask­e zu tragen und sich die Hände zu desinfizie­ren. Erst auf ihrer „Tanzinsel“dürfen sie die Maske ablegen.

Zum Nachdenken über diese vielleicht etwas skurrile Situation kommen die Linedancer an diesem Abend gar nicht. Fröhlich teilt ihnen ihre Lehrerin Jessica Beyhl ihren „Plan für heute“mit: Und da steht neben dem spanischen Tanz „Ah si“auch der Filmklassi­ker „Footloose“und ein „Country Walking“auf dem Programm. Strategisc­h günstig hat sie sich so platziert, dass sie von den Teilnehmer­n in beiden Räumen gesehen werden kann. Mag sein, dass in der Gruppe, die seit zwei Jahren miteinande­r tanzt, heute vieles anders und die Bewegungsf­reiheit eingeschrä­nkt ist. Aber Begeisteru­ng und

Freude sind dennoch zu spüren.

Noch lange stehen sie nach dieser ersten Tanzstunde in Corona-Zeiten draußen zusammen, um zu reden. „Es ist wunderbar. So schön, wieder hier zu sein“, bilanziert Rosemarie Kunz. Das mit der Distanz habe sie nicht gestört – „Hauptsache, man kann wieder tanzen.“Angst vor einer möglichen Infektion war für die Teilnehmer kein großes Thema. „Ich vertraue denen hier, dass die das alles ordentlich machen“, meint Natalie Petry. „Das war nach neun Wochen wirklich eine gute Erfahrung,“sagt der einzige Mann in der Runde, Guido Petto. „Ich hatte schon richtige Entzugsers­cheinungen.“

Ramon Gechnizdja­ni wundert so etwas nicht: „Tanzen ist nicht nur ein Hobby“, meint er. „Wissenscha­ftlich ist dokumentie­rt, dass es eine sehr sehr gute Medizin ist. Für uns die Beste! Deshalb glauben wir, dass gerade nach diesen neun Wochen der absoluten Abstinenz, in der vieles auf null reduziert war, der Fokus darauf liegen sollte, dass die Menschen mit einer gesunden Bewegungsf­orm zurück in ihren Alltag kommen.“Über die Zeit ohne Tanzstunde­n hinweg half Guido und seiner Frau Petra, dass ihr Linedance-Kurs wöchentlic­h live auf Facebook angeboten wurde. Auch Beate Nieser schaltete regelmäßig ein: „Dadurch hatte ich die Verbindung online mit den anderen. Bildlich konnte man sich gut vorstellen, wo gerade jeder irgendwo im Wohnzimmer steht. Und wenn dann noch die Kommentare dazu kamen, hatte man etwas zu lachen!“

Tanzlehrer­in Beyhl ist trotzdem froh, nach den Unterricht­sstunden vor der Kamera „endlich wieder ein Gesicht“zu sehen. „Die Stimmung war einfach geil und alle haben sich so gefreut! Das hat mir Kraft gegeben, dass alles wieder gut wird.“

Das Online-Programm der Tanzschule, zu dem auch noch Pilates kam, wird auch in Zukunft fortgesetz­t. Zwar finden auch schon wieder Hip-Hop-Unterricht, Videoclip-Dancing und Tanzkurse für Kinder statt, doch die meisten Kurse sind noch untersagt. „70 bis 75 Prozent der Angebote sind Paartanz, das ist das Herz der Tanzschule“, sagt Gechnizdja­ni.

Und deshalb ist für Jessica Beyhl die Arbeit an diesem Abend auch noch nicht beendet. In einem Raum mit großer Videoleinw­and unterstütz­t sie ihre Kollegin Janina Trouvain beim Online-Partnerkur­s in Boogie-Woogie. Vor der Kamera zeigen und erläutern sie Schritte und Bewegungen für Damen und Herren und tanzen schließlic­h im LiveStream auch als Paar zusammen. Mit Abstand natürlich, und ohne Berühren. Doch zumindest an der Musik zum Boogie-Woogie hat sich trotz Corona nichts geändert: „Come on, let‘s twist again, like we did last summer…“

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FOTO: SPONHOLZ Tanzen in Corona-Zeiten: Bei geöffneten Türen und auf abgegrenzt­en „Tanzinseln“leitet Lehrerin Jessica Beyhl (l.) den Linedance-Kurs in der Saarbrücke­r Tanzschule Bootz-Ohlmann.
 ?? FOTO: SPONHOLZ ?? Ramon Gechnizdja­ni (49) führt die Tanzschule Bootz-Ohlmann in Saarbrücke­n in der vierten Generation.
FOTO: SPONHOLZ Ramon Gechnizdja­ni (49) führt die Tanzschule Bootz-Ohlmann in Saarbrücke­n in der vierten Generation.

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