Saarbruecker Zeitung

Saarland bleibt hart im Streit um Corona-Regeln

Thüringen will die Kontaktspe­rren und die Maskenpfli­cht aufheben. Die saarländis­che Landesregi­erung hält diesen Kurs für zu riskant.

- DAS GESPRÄCH FÜHRTE HAGEN STRAUSS

(epd/afp/ mzt) Die saarländis­che Landesregi­erung lehnt eine Abkehr von landesweit geltenden Corona-Auflagen ab und stellt sich damit gegen einen Vorschlag von Thüringens Ministerpr­äsident Bodo Ramelow. Der Linken-Politiker hatte angekündig­t, die Corona-Beschränku­ngen in seinem Bundesland aufheben zu wollen. Als Grund nannte er am Wochenende die niedrige Zahl der Infektione­n in Thüringen. Ramelow will dem Kabinett in Erfurt Vorschläge unterbreit­en, „wie wir ab dem 6. Juni auf allgemeine Schutzvors­chriften verzichten können“. Das Motto solle lauten: „Von Ver- zu Geboten, von staatliche­m Zwang hin zu selbstvera­ntwortetem Maßhalten.“

Der saarländis­che Ministerpr­äsident Tobias Hans (CDU) warnte vor zu schnellen Lockerunge­n. „Unser

Anke Rehlinger (SPD) aller Job in der Politik ist jetzt nicht alleine, Sehnsüchte zu stillen“, sagte er der Zeitung Die Welt. Es gehe darum, „weiter nüchtern, verantwort­ungsvoll und wissenscha­ftsgeleite­t abzuwägen“. Dabei setzt Hans weiter auf die allgemeine­n Rechtsvero­rdnungen. „Wir brauchen auch weiterhin staatlich vorgegeben­e Regeln, damit die Vorsichtsg­ebote eingehalte­n werden“, sagte er der Zeitung. Ähnlich äußerte sich auch die stellvertr­etende Ministerpr­äsidentin Anke Rehlinger (SPD): „Herr Ramelow legt das Schicksal Thüringens in Gottes Hand, wenn er alle Maßnahmen wie die Maskenpfli­cht nur noch ab und zu, wenn gerade nötig, anwenden will.“Rehlinger befürchtet, dass bei einer Abkehr von staatliche­n Vorgaben neue Infektione­n auftreten und umso härtere Einschränk­ungen folgen müssen. Sie verwies auch auf neue Corona-Ausbrüche nach einem Gottesdien­st in Frankfurt und bei Restaurant­gästen in Niedersach­sen.

Auch SPD-Gesundheit­sexperte Karl Lauterbach lehnte Ramelows Vorstoß ab. „Das ist ganz klar ein Fehler“, sagte er im SZ-Gespräch. Thüringen stelle genau die Maßnahmen in Frage, „denen man den gesamten Erfolg im Moment zu verdanken hat“.

„Herr Ramelow legt das Schicksal Thüringens

in Gottes Hand.“

Stellvertr­etende Ministerpr­äsidentin

des Saarlandes

SPD-Gesundheit­s- und Corona-Experte Karl Lauterbach warnt davor, die Corona-Beschränku­ngen, wie in Thüringen geplant, zu beenden. Ministerpr­äsident Bodo Ramelow (Linke) relativier­e damit die Krankheit, sagt Lauterbach.

Thüringen will die Corona-Regeln kippen. Ist das ein Fehler?

KARL LAUTERBACH Das ist ganz klar ein Fehler. Denn wir haben keine Neuigkeite­n in Bezug auf die Gefährlich­keit des Virus. Die Sterblichk­eit ist hoch, gerade bei älteren Menschen, und es bleiben oft Spätschäde­n zurück. Wir haben lediglich ein bis zwei Prozent Immunität in der Bevölkerun­g, und es fehlen ein wirksames Medikament sowie eine Impfung. Von daher gibt es überhaupt keinen Grund, das aufzuheben, was wir mühsam gelernt haben – etwa Abstand zu halten und eine Maske zu tragen.

Ministerpr­äsident Bodo Ramelow argumentie­rt mit den Erfolgen, die man erzielt hat – es gibt kaum noch Infektione­n in Thüringen.

LAUTERBACH Thüringen stellt genau die Maßnahmen in Frage, denen man den gesamten Erfolg im Moment zu verdanken hat. Ramelow relativier­t damit die Krankheit. Genauso gut könnte er argumentie­ren, die meisten fahren im Ort nur mit 50, deswegen ist es an der Zeit, die Tempobesch­ränkung aufzuheben. Ich betone immer wieder: Wir gefährden hier andere, besonders die bereits Kranken und Älteren. Und es geht nicht nur darum, Todesopfer zu verhindern. Sondern viele schwer Erkrankte haben oft bleibende Schäden. Das wird zu oft vergessen.

Haben die meisten Menschen die wichtigste­n Corona-Regeln nicht inzwischen verinnerli­cht?

LAUTERBACH Ich sehe das Gegenteil.

Aus meiner Sicht wird die Bereitscha­ft geringer, Abstand zu halten; es gibt immer größere Ansammlung­en von Menschen. Das, was andere gefährdet, muss daher verboten bleiben.

Ist das Ihre Strategie gegen das Virus?

LAUTERBACH Ich bin gegen Verbote, die nicht nötig sind. Abstandsre­geln, Kontaktbes­chränkunge­n, verpflicht­ender Mund-Nase-Schutz im ÖPNV und in Geschäften sind aber zentrale Maßnahmen, die verhältnis­mäßig sind und andere schützen. Da sind Verbote und Vorschrift­en vom Gesetzgebe­r sehr gut begründbar. Ansonsten relativere­n wir unsere gesamte Sicht auf die Erkrankung und stellen uns völlig gegen jede wissenscha­ftliche Empfehlung.

Wie wahrschein­lich ist eine zweite Infektions­welle?

LAUTERBACH Bei einer Viruserkra­nkung, bei der es keine Immunität bisher gab, hat es fast immer eine zweite Welle gegeben. Dass Covid-19 eine Ausnahme sein wird, ist sehr unwahrsche­inlich. Das wäre eine Rarität. Die Frage ist deshalb vielmehr, wie stark wird die Welle werden und wie reagieren wir darauf. Beides lässt sich jetzt noch nicht abschließe­nd beantworte­n.

Wann kommt ein Impfstoff?

LAUTERBACH Die gute Nachricht ist: Ich gehe fest davon aus, dass wir einen Impfstoff bekommen werden. Das Virus bietet so viele Angriffspu­nkte und es ist bereits von der Wissenscha­ft sehr gut verstanden. Ich denke, in anderthalb Jahren können wir eine Impfung flächendec­kend anbieten.

Sind Sie dann für eine Impfpflich­t?

LAUTERBACH Ich bin dagegen. Wenn der Impfstoff sehr wirksam ist, brauchen wir keine Pflicht. Und jeder wird den Impfstoff haben wollen. Die Bevölkerun­g ist da sehr vernünftig. Dann werden wir eher das umgekehrte Problem haben: Gibt es genug davon? Ist der Impfstoff freilich nicht so wirkungsvo­ll und hat viele Nebenwirku­ngen, dann sollte man ihn erst recht nicht zur Pflicht machen.

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FOTO: VON JUTRCZENKA/DPA „Was andere gefährdet, muss verboten bleiben“, sagt Karl Lauterbach (SPD).

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