Elsass und Lothringen verlassen Krisen-Modus
Die französische Grenzregion Grand Est gilt nun nicht mehr als Corona-Risikogebiet. Die Saar-SPD fordert ein Ende der Grenzkontrollen.
(hem) Die Grenzregion Grand Est ist von der französischen Regierung nun als „grüne Zone“eingestuft worden. Das gab Frankreichs Premier Edouard Philippe gestern bekannt. Die Einteilung in Farben gibt an, wie schwer die französischen Regionen vom Virus betroffen sind. Bislang war Grand Est „rote Zone“.
Durch die neue Einstufung dürfen dort wie im größten Teil des Landes ab nächster Woche Restaurants und Kneipen wieder eröffnen. In dem Grenzgebiet, das aus den vorherigen Regionen Elsass, Lothringen und Champagne-Ardenne besteht, seien mittlerweile weniger als 40 Prozent der Intensivbetten mit
Covid-Patienten belegt, sagte Gesundheitsminister Olivier Véran. Ebenso sei die Zahl der Neuinfektionen rückgängig. Der Präsident des Départements Moselle mit Grenze zum Saarland, Patrick Weiten, begrüßte die Entscheidung der Regierung. „Alle Kennziffern standen auf ‚grün’ und die Bewohner des Départements
Moselle haben die Regeln besonders gut eingehalten“, sagte er.
An den Grenzkontrollen ändert sich durch die neue Farbzone allerdings nichts. Wie Philippe gestern bestätigte, bleiben diese bis zum 15. Juni bestehen. Danach wolle man sie in einem „gemeinsamen europäischen Vorgehen“wieder aufheben. Im Hinblick auf die Neueinstufung von Grand Est forderte der SPD-Fraktionschef im Saar-Landtag, Ulrich Commerçon, eine „Rückkehr zu grenzüberschreitender Normalität“zwischen Deutschland und Frankreich. „Ich erwarte jetzt von der Bundesregierung aber auch von allen Vertretern der saarländischen Landesregierung ein klares Signal Richtung Paris, einvernehmlich auf Grenzkontrollen verzichten zu wollen“, sagte Commerçon.
Seit vergangener Woche gibt es im Luxemburger CHL-Klinikum wieder nur noch eine Intensivstation. Vor zwei Monaten war dort, wie in vielen Kliniken europaweit, ein Sonderbereich geschaffen worden, eine „sous-unité Covid-19“. Dieser wird jetzt aufgrund der stetig abnehmenden Zahl an Corona-Patienten nicht mehr benötigt. Überlastet war das Klinikum, in dem alle Covid-Erkrankten des Landes stationär behandelt wurden, nie. Im Gegenteil: Es war sogar möglich, Patienten aus der benachbarten, schwer betroffenen französischen Region Grand Est aufzunehmen.
Vor ziemlich genau drei Monaten meldete sich in der Notaufnahme des CHL ein 40-jähriger Mann. Er war aus Norditalien zurückgekommen und zeigte Covid-Symptome. Sein Test war positiv – damit hatte Luxemburg am Abend des 29. Februar seinen ersten bestätigten Corona-Fall. Zwei Wochen später starb ein an Corona erkrankter 94-Jähriger. In den folgenden Tagen fuhr die Regierung um Premier Xavier Bettel das Land im Schnelltempo herunter. Der ausgerufene Notstand ermöglichte es, per Verordnungen zu regieren. Als das CHL-Klinikum am 27. März mit 63 Neueinweisungen von bestätigten Covid-Patienten den Höhepunkt der Welle erreichte, waren Schulen, Geschäfte, Baustellen oder Kultureinrichtungen längst geschlossen. Um mögliche Infektionsherde im Keim zu ersticken, setzte Luxemburg von Anfang an auf eine massive Testung. Nur in Island wurden im Verhältnis
zur Bevölkerung mehr Tests als im Großherzogtum durchgeführt. Auch Menschen mit schwachen Symptomen bekamen ein ärztliches Attest, um sich auf Covid-19 testen zu lassen.
Einen Monat später tastete sich das Land wieder schrittweise an die neue Normalität heran. Am 20. April starteten die Arbeiten auf den ersten Baustellen wieder. Auch die Wertstoffhöfe öffneten. Zwei Wochen später kehrten die Abschlussklassen zurück in die Schulen – natürlich unter Einhaltung der Hygiene- und Abstandsregeln. Diese ersten Lockerungen waren Teil eines durchdachten Ausstiegsszenarios. So wurden im Bausektor zwei Testreihen durchgeführt, um herauszufinden, ob die Zahl der Neuinfektionen nach zwei Wochen der Wiederaufnahme eines Betriebs signifikant steigen würde. Die Testergebnisse zeigten, dass dies nicht der Fall war. In der Folge wurden Beschränkungen schrittweise aufgehoben. Ab dem 11. Mai durften sich zum Beispiel bereits sechs Personen in Innenräumen treffen und bis zu 20 Menschen unter freiem Himmel. Zwei Wochen später sind nun Gastronomie-Betriebe an der Reihe und öffnen wieder ihre Türen und Terrassen. Das gilt ebenso für Schwimmbäder und Fitness-Studios. Auch Gottesdienste, Hochzeiten und Beerdigungen mit mehr als 20 Teilnehmern sind wieder eingeschränkt möglich. Einzig Wellness-Bereiche und Nachtklubs bleiben geschlossen.
Eine wesentliche Rolle in der Luxemburger Wirtschaft spielen die Grenzgänger. Rund 46 Prozent der Beschäftigten im Land pendeln täglich aus Frankreich, Deutschland und Belgien. Anders als im Saarland und Rheinland-Pfalz, wo viele Betriebe ihre Mitarbeiter aus der französischen Region Grand Est ab Anfang März baten, zu Hause zu bleiben, wurde in Luxemburg hingegen überlegt, wie man den Grenzgängern den Zugang zu ihrem Arbeitsplatz weiterhin ermöglichen könnte, sollten Landesgrenzen geschlossen werden. Vor allem der in der Corona-Krise so wichtige Gesundheitsbereich stehe und falle mit den Pendlern, warnte Gesundheitsministerin Paulette Lenert und schlug vor, dort beschäftigte Grenzgänger und ihre Familien in Hotelzimmern unterzubringen. Wie selbstverständlich die Grenzgänger in die Planung der luxemburgischen Regierung einbezogen werden, zeigt sich auch bei der Frage der Versorgung mit Masken. Als die Maskenpflicht in Geschäften, in den öffentlichen Verkehrsmitteln und überall, wo der Zwei-Meter-Abstand nicht eingehalten werden kann, eingeführt wurde, kündigte Premier Bettel an, dass jeder Bürger ab 16 Jahren 50 Einwegmasken erhalten werde. Gleichermaßen galt das auch für die Grenzgänger, die einen entsprechenden Gutschein zugeschickt bekamen, die sie zur Abholung der Masken an verschiedenen Verteilungspunkten berechtigt. Ebenso sollen Pendler zur Teilnahme an einem groß angelegten Test eingeladen werden, bei dem anhand von
Blutproben erforscht werden soll, wie es um die Immunität gegen Covid-19 in der Bevölkerung steht.
Weil das Land eben so sehr auf die Pendler angewiesen ist, waren weder die Schließung der Luxemburgischen Grenzen zu den Nachbarländern noch die Wiedereinführung der Grenzkontrollen und „triftige Einreisegründe“ein Thema. Nicht zu Deutschland, aber auch nicht zu Belgien und Frankreich, die viel mehr von dem neuartigen Coronavirus geplagt wurden. Dass Deutschland die Grenze zu Luxemburg nur noch für Pendler und an weniger Grenzübergängen geöffnet ließ, sorgte bei den Nachbarn für Verstimmung. Die Begründung der Maßnahme – die Nähe zu Frankreich und der vom Robert-Koch-Institut als Risikogebiet gekennzeichneten Region Grand Est – konnten viele Luxemburger nicht verstehen. Nicht nur Außenminister Jean Asselborn kritisierte mehrmals öffentlich die Grenzkontrollen. Anfang Mai setzten mehrere Bürgermeister von grenznahen Kommunen im Großherzogtum die Europa-Fahnen
auf Halbmast, um gegen die einseitige deutsche Grenzsperrung zu protestieren.
Nun ist die Grenze wieder offen. Sowohl Luxemburg als auch Deutschland scheinen die Corona-Pandemie im Griff zu haben. In beiden Ländern ist der Höhepunkt der ersten Welle längst überschritten, doch nun haben sie beide mit den wirtschaftlichen Folgen des Lockdown zu kämpfen. Neben einem Stabilitätsprogramm von 2,2 Milliarden Euro hat der luxemburgische Staat für den „Neustart“der besonders betroffenen Branchen
Finanzhilfen bis zu 800 Millionen Euro verabschiedet. Betriebe aus dem Kulturbereich oder der Gastronomie können zum Beispiel bei der Wiedereröffnung einen Betrag von 1250 Euro pro Monat und Mitarbeiter erhalten und das sechs Monate lang. Auch die Hotelbranche soll unterstützt werden. Die Regierung will jedem Bürger ab 16 Jahren einen 50-Euro-Gutschein für eine Übernachtung in Luxemburg schenken. Das gilt auch für Grenzgänger – die auch in dieser Entscheidung wieder den Luxemburgern gleichgestellt werden.