Trump spaltet die USA in der Krise – und lernt nichts dazu
In der Nacht zum Donnerstag haben die Vereinigten Staaten einen traurigen Meilenstein erreicht. Die Zahl der Corona-Toten hat die Marke von 100 000 überschritten, damit sind mehr Amerikaner an den Folgen der Krankheit gestorben als in den Kriegen in Vietnam und Korea. Zugegeben, pro Kopf der Bevölkerung liegt das deutlich unter dem, was Großbritannien oder Italien, Frankreich oder Spanien an Opfern zu beklagen haben. Doch für ein Land, das sich noch immer als Weltspitzenreiter des technischen, wissenschaftlichen und medizinischen Fortschritts versteht, ist es eine schockierende Zahl. Es wäre der Moment, in dem sich der US-Präsident an seine Nation wenden müsste, um Trost zu spenden und ihr Mut einzuflößen.
Donald Trump aber hält keine solche Rede. Stattdessen beschuldigt er die Medien, im Bunde mit der Opposition eine „falsche Erzählung“zu verbreiten – das tut er wie üblich auf Twitter, dem Kurznachrichtendienst, mit dem er sich heftig befehdet, seit der ihn bei einem Faktencheck durchfallen ließ. Man behaupte, er habe zu langsam auf die Epidemie reagiert, empört sich Trump. Dabei sei das Gegenteil richtig: Hätte er seinen Job nicht so gut und schnell gemacht, hätte man womöglich schon zwei Millionen Tote.
Der Einwurf zeigt wieder einmal, was für ein Kleingeist dieser Präsident ist, allein darauf bedacht, sich ins rechte Licht zu rücken.
Lob im Kampf gegen die Seuche kassiert er gern selbst. An Versäumnissen sind immer die anderen schuld, China, die WHO, der politische Gegner in Washington. Zu Mitgefühl scheint er nicht fähig zu sein, sonst hätte er, wie sein Herausforderer Joe Biden es tat, die traurige Wegmarke zum Anlass genommen, um den Angehörigen der Verstorbenen zu signalisieren, dass er ihren Schmerz teilt. Und statt Sätze zu formulieren, in denen sich alle Amerikaner wiederfinden, vertieft er die Spaltung.
Covid-19 hat das riesige Land auf sehr verschiedene Weise getroffen, die Ballungsgebiete viel härter als den ländlichen Raum, den Nordosten stärker als zum Beispiel den Süden. Acht der neun Bundesstaaten mit der höchsten Opferbilanz werden von Gouverneuren der Demokratischen Partei regiert. New York, das Zentrum der Tragödie, ist eine Hochburg der Blauen, der Demokraten. Dünner besiedelte Regionen, in denen die Republikaner dominieren, die Partei mit der Farbe Rot, stehen in aller Regel besser da. Während das blaue Amerika zur Vorsicht mahnt, ist im roten Amerika schon lange der Ruf nach schnellerer Öffnung laut geworden. Manche beschweren sich sogar, sie seien Geiseln der Blauen. Trump hat sich entschlossen, nur noch das gelten zu lassen, was das rote Amerika fordert. Er hat auch diesmal allein seine Anhänger im Blick.
Gewiss, Donald Trump ist bei weitem nicht der Einzige, der den Ernst der Corona-Lage zu spät erkannte. Auch andere, rund um den Globus, haben sich anfangs geirrt. Später haben sie Fehler eingestanden, völlig zu Recht vom Lernprozess in der Krise gesprochen. Ein Donald Trump scheint auch dazu nicht in der Lage zu sein.