Der Fall Cummings stürzt die Tories in die Krise
Der Skandal um Boris Johnsons wichtigsten Berater führt die britischen Konservativen ins Umfragetief. Doch der Premier hält weiter zu seinem Chefstrategen.
Großbritannien ist eines der am schwersten von Covid-19 betroffenen Länder der Welt. Fast 38 000 mit dem Coronavirus infizierte Menschen sind im Königreich offiziell gestorben. Und trotzdem dreht sich auf der Insel seit einer Woche alles um einen Mann: Dominic Cummings. Der Chef-Berater von Premierminister Boris Johnson hat während des strikten Lockdowns im März und April mit einer Reise quer durchs Land inklusive Familienausflug auf ein Schloss einige jener Regeln gebrochen, die er selbst mit aufgestellt hat. Was als Fehler begann, hat sich mittlerweile zu einem handfesten Skandal ausgeweitet, der die Regierung zunehmend in Bedrängnis bringt und wieder einmal die Gesellschaft spaltet.
Cummings steht im Mittelpunkt des medialen Interesses, die wütende Öffentlichkeit verlangt Konsequenzen. Johnson-loyale Minister verbiegen in Interviews die Wahrheit, um Cummings Aktionen zu verteidigen, dass es „erniedrigend“anmutet, wie Beobachter bemerken. Die Frustration über die störende Ablenkung von drängenden Aufgaben bezüglich der Pandemie steigt.
Derweil werden Forderungen an Johnson, Cummings zu entlassen, auch aus den eigenen Tory-Reihen immer lauter. Der Staatssekretär für Schottland, Douglas Ross, hat über die Affäre sogar seinen Rücktritt
verkündet. Mehr als 40 konservative Parlamentarier sprechen sich mittlerweile offen dafür aus, dass der umstrittene Berater sein Amt niederlegen müsse. Johnson scheint zu straucheln beim Versuch, die wachsende Revolte in der Partei zu kontrollieren. Aus Downing-Street-Kreisen heißt es zwar, der Regierungschef wolle die Sache aussitzen, da man annehme, der Sturm ziehe bald vorüber. Die Frage bleibt aber, ob diese Taktik aufgeht – oder ob Johnson und Cummings die Stimmung in der Bevölkerung verkennen. Die scheint verheerend, wie aktuelle Umfragen zeigen. Dem Institut YouGov zufolge betrachten 71 Prozent der befragten Briten Cummings’ Reise als Verstoß gegen die Corona-Regeln.
Viel schlimmer für Johnson aber dürfte der Blick auf den schmelzenden Vorsprung seiner Tories gegenüber der oppositionellen Labour-Partei sein. Dieser verringerte sich um neun Prozentpunkte, die Konservativen liegen nun bei 44 Prozent. Labour verbesserte sich um fünf Punkte auf 38 Prozent. Einen solchen Rückschlag in den Umfragen
hatte es für die Tories zuletzt 2010 unter dem damaligen Premier David Cameron gegeben.
Warum zieht Johnson nicht die Reißleine? Warum opfert er für den Job eines Beraters nicht nur die Zustimmung vieler Wähler, sondern untergräbt damit auch seine eigenen Botschaften? Die Glaubwürdigkeit und Autorität der Regierung haben zuletzt schwer gelitten.
Der Premier befinde sich in einer Falle, sagt Jonathan Lis, Vize-Chef der Denkfabrik „British Influence“. „Bleibt Cummings, ist es eine permanente Erinnerung daran, wie Johnson seinen Berater über das Land gestellt hat.“Trete er jetzt aber zurück, wäre das dem Druck von außen geschuldet. „Niemand würde der Regierung zugute halten, das Richtige getan zu haben.“Der Schaden sei längst angerichtet. „Nichts wird Johnsons Fehleinschätzung rückgängig machen. Nichts wird die Arroganz ungeschehen machen.“
Dem Premier wohlgesonnene Stimmen verweisen dagegen auf die Bedeutung des Chefstrategen, der sowohl für das Brexit-Votum als auch der Wahl Johnsons verantwortlich gemacht wird. Die beiden zusammen seien „der einzige Weg, den Brexit zu vollenden“, sagte der Abgeordnete Danny Kruger. Die Guardian-Kolumnistin Marina Hyde betrachtet das Theater dagegen als „einfache Geschichte“: „Ein Mann mit keinen Ideen ist zu verängstigt, seinen Ideen-Mann zu entlassen.“