Saarbruecker Zeitung

Der Fall Cummings stürzt die Tories in die Krise

Der Skandal um Boris Johnsons wichtigste­n Berater führt die britischen Konservati­ven ins Umfragetie­f. Doch der Premier hält weiter zu seinem Chefstrate­gen.

- VON KATRIN PRIBYL

Großbritan­nien ist eines der am schwersten von Covid-19 betroffene­n Länder der Welt. Fast 38 000 mit dem Coronaviru­s infizierte Menschen sind im Königreich offiziell gestorben. Und trotzdem dreht sich auf der Insel seit einer Woche alles um einen Mann: Dominic Cummings. Der Chef-Berater von Premiermin­ister Boris Johnson hat während des strikten Lockdowns im März und April mit einer Reise quer durchs Land inklusive Familienau­sflug auf ein Schloss einige jener Regeln gebrochen, die er selbst mit aufgestell­t hat. Was als Fehler begann, hat sich mittlerwei­le zu einem handfesten Skandal ausgeweite­t, der die Regierung zunehmend in Bedrängnis bringt und wieder einmal die Gesellscha­ft spaltet.

Cummings steht im Mittelpunk­t des medialen Interesses, die wütende Öffentlich­keit verlangt Konsequenz­en. Johnson-loyale Minister verbiegen in Interviews die Wahrheit, um Cummings Aktionen zu verteidige­n, dass es „erniedrige­nd“anmutet, wie Beobachter bemerken. Die Frustratio­n über die störende Ablenkung von drängenden Aufgaben bezüglich der Pandemie steigt.

Derweil werden Forderunge­n an Johnson, Cummings zu entlassen, auch aus den eigenen Tory-Reihen immer lauter. Der Staatssekr­etär für Schottland, Douglas Ross, hat über die Affäre sogar seinen Rücktritt

verkündet. Mehr als 40 konservati­ve Parlamenta­rier sprechen sich mittlerwei­le offen dafür aus, dass der umstritten­e Berater sein Amt niederlege­n müsse. Johnson scheint zu straucheln beim Versuch, die wachsende Revolte in der Partei zu kontrollie­ren. Aus Downing-Street-Kreisen heißt es zwar, der Regierungs­chef wolle die Sache aussitzen, da man annehme, der Sturm ziehe bald vorüber. Die Frage bleibt aber, ob diese Taktik aufgeht – oder ob Johnson und Cummings die Stimmung in der Bevölkerun­g verkennen. Die scheint verheerend, wie aktuelle Umfragen zeigen. Dem Institut YouGov zufolge betrachten 71 Prozent der befragten Briten Cummings’ Reise als Verstoß gegen die Corona-Regeln.

Viel schlimmer für Johnson aber dürfte der Blick auf den schmelzend­en Vorsprung seiner Tories gegenüber der opposition­ellen Labour-Partei sein. Dieser verringert­e sich um neun Prozentpun­kte, die Konservati­ven liegen nun bei 44 Prozent. Labour verbessert­e sich um fünf Punkte auf 38 Prozent. Einen solchen Rückschlag in den Umfragen

hatte es für die Tories zuletzt 2010 unter dem damaligen Premier David Cameron gegeben.

Warum zieht Johnson nicht die Reißleine? Warum opfert er für den Job eines Beraters nicht nur die Zustimmung vieler Wähler, sondern untergräbt damit auch seine eigenen Botschafte­n? Die Glaubwürdi­gkeit und Autorität der Regierung haben zuletzt schwer gelitten.

Der Premier befinde sich in einer Falle, sagt Jonathan Lis, Vize-Chef der Denkfabrik „British Influence“. „Bleibt Cummings, ist es eine permanente Erinnerung daran, wie Johnson seinen Berater über das Land gestellt hat.“Trete er jetzt aber zurück, wäre das dem Druck von außen geschuldet. „Niemand würde der Regierung zugute halten, das Richtige getan zu haben.“Der Schaden sei längst angerichte­t. „Nichts wird Johnsons Fehleinsch­ätzung rückgängig machen. Nichts wird die Arroganz ungeschehe­n machen.“

Dem Premier wohlgesonn­ene Stimmen verweisen dagegen auf die Bedeutung des Chefstrate­gen, der sowohl für das Brexit-Votum als auch der Wahl Johnsons verantwort­lich gemacht wird. Die beiden zusammen seien „der einzige Weg, den Brexit zu vollenden“, sagte der Abgeordnet­e Danny Kruger. Die Guardian-Kolumnisti­n Marina Hyde betrachtet das Theater dagegen als „einfache Geschichte“: „Ein Mann mit keinen Ideen ist zu verängstig­t, seinen Ideen-Mann zu entlassen.“

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BRADY/PA WIRE/DPA ?? Die Affäre um den Corona-Verstoß des Beraters Dominic Cummings bringt die Regierung in Not.
FOTO: BRADY/PA WIRE/DPA Die Affäre um den Corona-Verstoß des Beraters Dominic Cummings bringt die Regierung in Not.

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